Ohne Hefe kein Zwetschgendatschi – Datschipanik in Augsburg 1847

Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Die Stadt Augsburg und ihr Zwetschgendatschi: Myriaden an Artikeln[1] wurden bereits dazu verfasst, seit wann man diesen köstlichen Kuchen hier bereits kennt, woher das Rezept dafür sei oder wie dieser früher ausgesehen haben mag. Ein Thema, das dazu geführt hat, dass Augsburg auch ihren Zweitnamen Datschiburg irgendwann erhalten hat. Wie kam es dazu?

Es gab zwar bereits schon früh Haushaltungsschulen für Mädchen und junge Frauen in Augsburg; die Koch- und Backtraditionen scheinen darin aber eher vor allem mündlich weitergegeben und antrainiert worden zu sein, damit diese Künste dann im Familienalltag aus dem FF und dem Gedächtnis umgesetzt werden konnten, um auch Zeit zu sparen.

Kein halbgarer Zwetschgendatschi
Titelblatt Kochbuch Sophie Juliane Weiler 1788 © gemeinfrei
Titelblatt Kochbuch Sophie Juliane Weiler 1788 © gemeinfrei

Ein Rezept von Kuchen von frischen Zwetschken mit Hefenteig hat sich aus der Küche der Augsburgerin Sophie Juliane Weiler (1750–1810) erhalten, die 1787 die erste Ausgabe ihres legendären Augsburgischen Kochbuchs herausgab, denn sie hatte sich geärgert, dass „halbgemachte Werke dieser Art […] schon genug in der Welt sind“. Zudem entgegnete sie im Vorwort ihrer zweiten Ausgabe 1788 auch auf Kritik auf die Erstausgabe: „Einige sagten: Ich wollte nur meine Weisheit auskramen. Andere meynten: die fremden Frauen geberden sich nur so gescheid, und man gebe es am Ende doch für ein Augsburgisches Kochbuch aus. Ja, ich gebe es auch dafür aus, und das nach meiner Meynung mit allem Rechte“[2], und begründet dies auch sachlich-resolut. Ihre Rezepte sind ein furioser Ritt durch die Augsburger und süddeutsche Konsumgeschichte: Ihre Semmel=Knöpflein als Dreingabe in Suppen oder ihre Laubfrösche (= gefüllte Spinat- oder Mangoldblätter mit Brotfüllung) lesen sich so originell wie verheißungsvoll.[3]

Das Jahr ohne Sommer – die Katastrophe
Gottlob Johann Edinger: Einzug der ersten Erntewagen nach der großen Hungersnot am 4. August 1817 in Ravensburg © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Gottlob Johann Edinger: Einzug der ersten Erntewagen nach der großen Hungersnot am 4. August 1817 in Ravensburg © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Je nach Wetterverhältnissen gab es in Augsburg und Umgebung mehr oder weniger Zwetschgen: Etliche Meldungen über wetter- und klimatische Verhältnisse aus historischen Augsburger Tageszeitungen wie zum Beispiel dem Tagblatt oder der Postzeitung zeichnen über viele Jahrzehnte ein dicht gestricktes Bild der Zeit von Abhängigkeiten und äußerst fragilen landwirtschaftlichen als auch politischen Verhältnissen. Ein Schwarm Heuschrecken oder starker Hagel, und die Ernte war stellenweise vernichtet. Regelmäßig wurde zum Kartoffelkäfer- und Raupenklauben aufgerufen. Im sog. Jahr ohne Sommer 1816 kam es durch die nass-kalte Witterung zu europaweiten verheerenden Ernteausfällen mit sogar Schneefall im Juli. In ihrem Dilemma versuchten die Menschen, Brot aus Stroh und Baumrinde herzustellen. Ursache waren Vulkanausbrüche des Tambora, dessen Rauch- und Asche-Aerosole um die Erde zogen und die Welt verdunkelten. Es folgte eine Teuerung der Nahrungsmittel, jüdische Menschen wurden als Kornhamsterer diffamiert; 1819 kam es auch zu Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Bevölkerung. Im Jahr ohne Sommer gab es allerdings auch ein paar wenige Lichtblicke: So saß die Schriftstellerin Mary Shelley (1797–1851) im Tessin fest und schrieb – anstatt herumzureisen – in klammem Zimmer ihren Frankenstein.

Teuerungen 1847

Ein weiteres verheerendes Jahr ergab sich 1847: Führte schon in den Jahren davor eine starke Holzteuerung zum Abbau von wesentlich billigerem Torf (und zur Entdeckung von Moorleichen), so verhieß eine scheinbar über Nacht aufkommende Teuerung des Getreides nichts Gutes. Fleisch war ebenfalls zur Mangelware geworden. In Augsburg durften per (Seuchen)Gesetz keine Schweine in der Stadt gehalten werden; eine Einfuhr von Fleisch durch Privatpersonen war untersagt. Hin und wieder wurden Leute an den Stadttoren erwischt, die versuchten, Pökelfleisch und Wurstwaren in die Stadt zu schmuggeln. Für die Fleischversorgung war ausschließlich die Metzgerinnung zuständig, die ihren Verwaltungs- und Verkaufssitz in der Stadtmetzg in der unteren Altstadt hatte. Die Verschiffung von lebendem Vieh zur Fleischlieferung ist keine moderne Angelegenheit: Bereits damals wurde Rind von Portugal nach England eingeschifft. In langen Trecks trieb man auch gigantische Rinderherden von Ungarn nach Deutschland, um die Reichsstädte mit Fleisch zu versorgen. Die schrecklichen Hungersnöte in Irland sorgten für massive Auswanderung in die USA.

Schmuggel von Unentbehrlichem
Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Der Schmuggel auch mit Korn und illegaler Handel durch sog. Kornkipperer (= Kornwucherer) nahm zu, zudem ging im Herbst 1847 einer der größten Kornlieferanten Europas, ein Herr Exel in Venedig, bankrott.[4] Durch die zunehmende Industrialisierung vergrößerte sich die Armut und Abhängigkeit von Arbeiter:innen; Streiks um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen wurden oft blutig klein gehalten – die Revolution von 1849 gegen die Obrigkeit und unsere heutige Demokratie hatten dort ihre Vorboten.

Diese Kornknappheit hatte nicht nur Auswirkungen auf die Bäcker, sondern auch auf die Bierbräuer in der Stadt Augsburg, besonders die Weizenbierbrauer. Bayerische Weizenbiere bestehen aus Gersten- oder Weizenmalz und werden mit obergäriger Hefe gebraut. Diese Hefe (auch Backhefe, Bäcker- oder Bierhefe genannt) wird aus jenem obergärigen Bier gewonnen.[5] Diese war allerdings – Mehl konnte man relativ lange aus besserem Vorjahr aufbewahren – im Jahr 1847 vergriffen. Das heißt, dass man auch keinen Zwetschgendatschi-Teig damit ansetzen konnte, der für die geliebte ‚Fluffigkeit‘ des Kuchenbodens diese Hefe braucht. Während man in Augsburg noch darüber rätselte, was diese Kornteuerung ausmachte, lief der Zwetschgendatschi Gefahr, dieses Jahr nicht gebacken zu werden. Eine Katastrophe für den schwäbischen Gaumen!

Hefeknappheit heute

Eine vergleichbare Hefeknappheit erlebten wir zu Anfang dieses Jahres 2020, als wegen Schüren von Corona-Panik in den Supermärkten und Läden nicht nur Nudeln, Reis, Mehl und Klopapier ‚geplündert‘ waren, sondern auch die Backhefe ein höchst vergriffenes Gut darstellte.[6] 1847 wurde Backhefe für „rarer als Gold“ erklärt und folgender Tatsachenbericht zum Zwetschgendatschi erzählt, als die Getreidepreise – kritisch beäugt – im benachbarten Friedberg etwas gesunken waren:

„Frage. Was ist jetzt hier wirklich rarer als Gold? – Antwort: „Bierhefe.“ Eine solche Nachfrage nach derselben, als der diesjährige Obstregen verursacht, war gar noch nie. Wenn es jemand möglich wäre, Hefe, die der Bierhefe gleichkäme, zu erzeugen, er könnte in Einem Monate dahier ein reicher Mann werden, tausend Gulden könnte er jeden Tag verdienen. Unsere Weißbier=Bräuhäuser werden darum von Städtern und Landleuten fast gestürmt, und von zehn Personen ist kaum eine so glücklich, so viel Hefe zu erhalten, um den Lieblings=Tatschi bereiten zu können. Es wurden hier vor Jahren schon Versuche mit einer getrockneten Hefe, dann erst vor einiger Zeit andere mit nasser künstlicher Hefe gemacht, aber beide entsprechen nicht. Ließe sich denn nicht ein Surrogat für diesen so geringfügigen und jetzt doch so wichtigen Artikel eben so gut auf chemischem Wege bereiten, wie Zucker aus Runkelrüben? (Wer will die tausend Gulden verdienen?)“[7]

Vom Gold zum Hüftgold
Werbung für Hefe. Augsburger Tagblatt 1847 © gemeinfrei
Werbung für Hefe. Augsburger Tagblatt 1847 © gemeinfrei

Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung dieses Artikels scheint Christoph Leiner, Bäckermeister am Perlachberg, sich an der goldenen Nase mit Hefe versucht zu haben, denn er bot „Germ“ (= Hefe, siehe Germknödel bzw. schwäbische Dampfnudeln) an, „welche bei richtiger Behandlung […] zu jedem beliebigen Backwerk mit dem günstigsten Erfolge zu gebrauchen ist, und deßhalb, so wie in Beziehung ihres guten Geschmacks einem verehrl[ichen]. Publikum und den Herren Bäckermeistern zu zahlreicher Abnahme bestens empfiehlt“.[8]

Ob Augsburg dann mit den geliebten Zwetschgendatschi – und Leiners Taschen mit Gulden – geflutet wurde, ist nicht überliefert. Sophie Juliane Weilers Kochbuch von 1787 erlebte indes 1830 die 20. Auflage. Ihre Tochter Jakobina betätigte sich ebenfalls schriftstellerisch und gab nicht nur einen ergänzenden zweiten Teil zum Kochbuch ihrer Mutter heraus, sondern auch eine Cholera=Küche (erschienen bei Cotta) – gleichsam ein Ratgeber zur Kultur des Essens in Notzeiten.[9] Nur das Praktische Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche von Henriette Davidis (1801–1876) erhielt mehr Auflagen: Genaugenommen 62 (!) zwischen 1844 und 1942.[10]

Zwetschgendatschi-Rezept aus Jakobina Weilers Kochbuch

Hefenteig
Zwey Mäslein oder 12 Eßlöffel voll Mehl kommen in eine Schüssel, in der Mitte wird eine Vertiefung gemacht, in diese ein Eßlöffel voll dicke frische Hefe, mit einer Oberkaffeeschale voll lauwarmer Milch gethan, und ein Hefel angerührt. Dieser wird schön glatt geklopft, dann der Löffel rein gemacht, auf die Schüssel gelegt, ein reines Tuch darüber gedeckt, und in eine gleiche Wärme gestellt. Bis dieser Hefel schön geht, verrühre 4 Loth Butter, oder die Hälfte Butter, die Hälfte gutes Schmalz mit 2 Eyer recht schön, und so wie der Hefel hübsch gestiegen ist, wird die Butter und die Eyer hinzugethan, ein wenig gesalzen, und vollends nach und nach zu einem glatten dicken Teig mit lauer Milch angemacht und so lange geschlagen, bis er sich vom Löffel schält, dann wird er wieder wie vorher zugedeckt, und abermals in die Wärme bis er schön gegangen ist, gestellt.
[11]

P.S.: Zu Beginn meines Studiums besuchten mich meine Eltern zu meinem Geburtstag in Augsburg. Voll Freude hatte mir meine Mutter erzählt, sie mache ein ganzes Blech voll Zwetschgendatschi. Aus Vorfreude tropfte der Zahn nicht nur meinerseits sehr. Meine Mutter macht den Datschi mit Butter-Semmelbrösel-Streuseln obendrauf, also besonders lecker. In Augsburg angekommen stellte sich dann allerdings heraus, dass das Blech voll Zwetschgendatschi im Eifer des Einpackens und Einsteigens in der Garage vergessen wurde…

Einzelnachweise:

[1] Vgl. Nicole Prestle: Stammt der Datschi wirklich aus Augsburg?, in: Augsburger Allgemeine, 10. Oktober 2016, Online-Ausgabe: https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Stammt-der-Datschi-wirklich-aus-Augsburg-id39310407.html (Stand: 15.09.2020) oder Stadtarchiv Augsburg (Hg.): Zwetschgendatschi anno 1830. Ein Rezept im Augsburgischen Kochbuch der Sophie Weiler. Online-Artikel: https://www.augsburg.de/kultur/stadtarchiv-augsburg/das-historische-dokument/zwetschgendatschi-anno-1830 (Stand: 15.09.2020).
[2] Vgl. Sophie Juliane Weiler: An meine Leserinnen, in: Augsburgisches Kochbuch ausgearbeitet von J. S. W. Augsburg (Joseph Wolff) 1788, Vorwort S. VI.
[3] Ein wahrer Augenschmaus ist obgenanntes Kochbuch, das hier digital in 2. Auflage einzusehen ist: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10387717_00138.html (Stand: 15.09.2020).
[4] Vgl. Augsburger Tagblatt No. 269. Freitag 1. Oktober 1847, S. 1150.
[5] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Backhefe (Stand: 15.09.2020).
[6] Vgl. Andrea Jenewein: Letzte Hamsterkäufe in Stuttgart. Wo zurzeit im Supermarkt die Hefe zu bekommen ist, in: Stuttgarter Nachrichten, 7. Mai 2020, Online-Artikel: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.einzelhandel-in-stuttgart-die-hefe-geht-bald-wieder.c3156c3e-a4ce-4b99-bafc-461ed14fcfaa.html (Stand: 15.09.2020).
[7] Vgl. Augsburger Tagblatt No. 265. Montag 27. September 1847, S. 1127f.
[8] Vgl. ebda., No. 266. Dienstag 28. September 147, S. 1134.
[9] Vgl. ebda., No. 221. Donnerstag 14. August 1834, S. 886.
[10] Vgl. https://www.garcon24.de/2018/11/01/die-kartoffelkueche-nachgelesen-in-alten-kochbuechern/ (Stand: 15.09.2020).
[11] Rezept entnommen aus https://www.augsburg.de/kultur/stadtarchiv-augsburg/das-historische-dokument/zwetschgendatschi-anno-1830 (Stand: 15.09.2020).