Am 18. Dezember und schon ein paar Tage vorher in der Mediathek wird in ARD, ORF2, BR und MDR der neue Film Bach – ein Weihnachtswunder (Regie: Florian Baxmeyer) erstmals ausgestrahlt. Darin geht’s um die (fiktive) Entstehung des berühmten Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach (1685–1750) mit seinem großartigen Jauchzet, frohlocket. Darin kommt auch seine zweite Frau Anna Magdalena Bach (1701–1760) vor, die wir hauptsächlich für das bekannten Notenbüchlein für Anna Magdalena kennen, das vielfach Standard in Musikschulen ist. Anna Magdalena Bach wird im Film von Verena Altenberger verkörpert.
Verena kenne ich seit einigen Jahren über X (damals Twitter) und Instagram – sie ist mir über ein Schwarz-Weiß-Foto in schwarzem Rollkragen-Pullover aufgefallen. Über den Podcast der Großen Töchter von Beatrice Frasl zu Körperbildern, #metoo und Wut (2020) habe ich angefangen, Verena zuzuhören. Und Verena irgendwann mir in meinem Mikroblogging auf X zu Komponistinnen und anderes aus historischen Zeitungen. Als sie für ihre kurzen Haare bzw. ihre Glatze, die sie sich für ihre Rolle einer Krebskranken in Sterne unter der Stadt hat schneiden lassen, furchtbar misogyn angegangen und ihr ihre Weiblichkeit abgesprochen wurde, unterstützte ich sie, weil ich für meine kurzen Haare auch schon belästigt wurde (diese aber aus anderen Gründen kurz trage) und wusste, wie sich so etwas anfühlt. Als der Polizeiruf 110 zu Frau Schrödingers Katze im Olympiapark open air 2021 seine Uraufführung hatte, in dem Verena die Rolle der Polizistin Elisabeth (Bessie) Eyckhoff übernommen hatte, bin ich kurzerhand von Augsburg aus hingefahren, weil nicht weit. Dort habe ich sie einfach angesprochen. Seitdem sind wir in lockerem Austausch.
Dass ich dann die Antrittspremiere ihres Jedermann bzw. der Buhlschaft in Salzburg im gleichen Jahr miterleben sowie im Jahr darauf in ihrer zweiten und letzten Saison dort in der Generalprobe mit dabei sein konnte, war ganz besonders, hatte mir das Sein dort doch aufgezeigt, wo nach verheerenden Corona-Jahren mein Platz war: In der Kulturvermittlung. Insofern haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt, online wie offline.
Und dann kam plötzlich eine konkrete Anfrage von Verena: Sie hätte da eine Filmrolle zu einer Frau des frühen 18. Jahrhunderts, zu der sie Hilfe brauche. Das war dann die Rolle der Anna Magdalena Bach. Und so setzte ich mich hin, stellte mir Verena als Anna Magdalena Bach vor und erstellte für sie mit Hilfe vergleichbarer Frauenschicksale und meinem Wissen aus historischen Zeitungen des 18. Jahrhunderts vor allem zum Alltag von Menschen in dieser Zeit ein Profil für eine mögliche Interpretation dieser Rolle, denn von Anna Magdalena gibt es keine Selbstzeugnisse und nur wohl dieses einzige Abbild:
Jedenfalls war Verena dann in der Lage, sich in diese Zeit hineinzuversetzen, was ihr hervorragend gelungen ist, denn davon konnten wir uns am 30. Oktober bei den Biberacher Filmfestspielen überzeugen, wo Bach – ein Weihnachtswunder mit einem Teil der Besetzung und Crew bejubelte Weltpremiere feierte.
Am 3. Juli hatten wir uns vorab in München getroffen, wo ich sie zur Entstehung des Films, zum Einfinden in die Rolle mit expliziten Einblicken zum Dreh, zu weiblichem Musikschaffen, Ungerechtigkeiten, zu ihrem derzeitigen Bühnenprogramm Den Göttern in die Seele blicken und zu wunderbaren Omas befragte. Und damit steigen wir direkt ein:
Sou: Was hat dich an Anna Magdalena Bach so begeistert, dass du sie als Rolle unbedingt spielen wolltest?
Verena: Da muss ich jetzt ein bisschen zurückdenken, das es ist immer ein bisschen absurd, wenn man schon wieder in einem neuen Projekt steckt. Also: Die Anfrage kam im Herbst 2023 und sogar direkt von Regisseur Florian Baxmeyer. Es gab kein Casting oder so, sondern er hat mir einfach das Drehbuch geschickt und mich gefragt, ob ich auf diesen Film Lust hätte, und auch schon mit der Info, dass Devid Striesow den Johann Sebastian Bach spielen würde. Den Florian kannte ich damals noch nicht persönlich, aber ich hab eine ganz tolle Serie von ihm gesehen – Tribes of Europa. Von dieser ist bei mir vor allem hängengeblieben, dass Florian Frauenfiguren erzählt hat, die ich so noch nie, oder so noch nicht oft gesehen habe. Ich könnte jetzt nicht mal mehr die Geschichte richtig zusammenfassen, aber ich könnte dir noch die Frauenfiguren beschreiben: Zum Beispiel eine Frau, die Sklaven gehalten hat, aber es war fast, als hätte man eine Männerrolle geschrieben, sie dann aber von einer Frau spielen lassen. Also da war wenig klassische Weiblichkeit, genau das hat mich total interessiert. Und Devid Striesow ist bekannt als sehr lustiger, sehr kollegialer und feiner Mensch. Dazu ein wunderschönes Drehbuch: Also die Erzählung wunderschön, stimmig, stimmungsvoll, die Musik ganz klar die Hauptdarstellerin, für die Frauenfigur hat mir aber noch Futter gefehlt. Das ist allerdings oft so. Als Schauspielerin fungiere ich als Anwältin für meine Figur, und für Frauenrollen muss man oft aktivere Anwältin sein, als für die Männer. In Filmen passiert zum Beispiel immer wieder mal, dass wenn Frauen Texte haben, sie sehr oft den Namen ihres Partners sagen. Das ist offensichtlich ein klassisches Füllwort, also die Frau tritt auf und sagt: „Matthias!“ – ja, und was?
Ich kann mich nicht erinnern, wie oft genau Magdalena auftrat und „Sebastian PunktPunktPunkt sagte, aber hätte ich ein Trinkspiel daraus gemacht, wäre ich am Ende ziemlich besoffen gewesen. Es ist so offensichtlich, dass man oft nicht weiß, was die Frau sagen soll, also lässt man sie den Namen des Mannes sagen. Wieso sagt diese Frau zu ihm „Sebastian“ und nichts weiter? Da hatte ich mir dann echt gedacht, dass ich da nochmal drüberschauen möchte: Was will diese Frau, was redet diese Frau überhaupt? Was sind ihre Ansichten, Wünsche, Hoffnungen?
Historischer Korrektheit geschuldet, hatte Anna Magdalena für die im Film angedachte Zeit ein zwei- oder dreijähriges Kind plus die älteren aus Bachs erster Ehe mit Maria Barbara Bach (1684–1720) dazu, und ich habe mir gedacht: Wenn man zwei Monate lang mit einem zweijährigen Kind spielt, dann macht man zwei Monate lang nichts anderes, als sich um dieses Kind zu kümmern. In der Szene und auch abseits, weil Kinder am Set eine große Verantwortung mit sich bringen. Man ist natürlich ständig bemüht, die Stimmung aufrechtzuhalten und das Kind zu bespaßen – wenn ein Kind aber nicht mehr drehen will, dann will es nicht mehr drehen, dann ist es vorbei. Und so kam ich zu dem Schluss – Achtung, das ist jetzt sehr zynisch zusammengefasst –, dass ich eine Frau würde spielen, die sich um ihren berühmten Mann kümmert und ihr Kind auf der Hüfte sitzen hat. Also wirklich sehr zynisch zusammengefasst. Und dann hab ich mit Florian telefoniert, der von Anfang an gesagt hat, er möchte an der Frauenrolle noch arbeiten. Er hat jeden meiner Einwände verstanden. In der zweiten Fassung des Drehbuchs, die mir dann vorgelegt wurde, war Anna Magdalena dann richtig da: Oh mein Gott, ja, so will ich das unbedingt spielen! Ich habe sehr schnell zugesagt, weil mir eben klar war, dass Florian diese Figur nicht durchfallen lassen würde. Ich konnte mich drauf verlassen, ohne ihn persönlich zu kennen. Und wie gesagt: Ich habe hier jetzt zynisch übertrieben, aber das waren so meine Kritikpunkte. Das ganz kleine Kind wurde dann gestrichen, was auch die Produktionsbedingungen maßgeblich erleichtert hat. Man kann dann auch ganz andere Arbeitszeiten einplanen. Man braucht nicht die Ruhepausen, und dadurch wurde die Figur der Anna Magdalena Bach auch befreit, weil ich nicht ständig ein Kind tragen wollte im wahrsten Sinne des Wortes *lacht* Und wir haben wahnsinnig schöne Texte gefunden, und vor allem ist auch im Hauptstrang des Films thematisiert, dass Anna Magdalena in dieser Zeit der größere Star war als Johann Sebastian. Es geht darum, dass er am Hof in Dresden angestellt sein wollte, aber nur sie auch tatsächlich das Angebot bekam, dort als Hofsängerin zu wirken. Es geht hier ja aber um die Musik von Johann Sebastian und nicht um ihre Karriere, aber es geht im Seitenstrang des Films eben auch darum, wie sie mit diesem Angebot umgeht.
Und auch da haben wir noch während des Drehs echt sehr gekämpft und viel diskutiert, auch wie wir ihr immer genügend Raum geben. Man kann manche Stellen im Drehbuch auch nicht umschreiben, wenn es um diese Person geht – manchmal muss man sich auch einfach damit abfinden. Manche Konflikte der Anna Magdalena Bach sind aber ein Nebenstrang als Teil des Weihnachtsoratoriums. Wir haben immer sehr darum gerungen, wie man kleine Möglichkeiten noch ‚schnell‘ einbauen und filmen kann, ohne dass man jetzt alles umschreiben oder die Dramaturgie über 70 Seiten ändern muss. Zum Beispiel bekommt Anna Magdalena einen Brief mit dem Dresdener Angebot, und wir haben überlegt: Wo taucht dieser Brief wieder auf, wo versteckt sie den, trägt sie ihn immer bei sich oder lässt sie ihn offen liegen. Das macht ja was aus in einer Geschichte. Also wir haben uns jeden Tag intensiv damit auseinandergesetzt, was Anna Magdalena eigentlich damit vorhat und tut und leistet und was davon gesehen wird und was nicht. Und da bin ich Florian wirklich zu großem Dank verpflichtet und Devid natürlich auch, dass sie dem Ganzen diesen Raum auch gegeben haben. Den Film selbst habe ich noch nicht [Stand: 3. Juli 2024] gesehen. So ein Film entsteht ja drei Mal: Beim Drehbuchschreiben, beim Drehen und dann im Schnitt. Das heißt, ich weiß während des Drehs selbst noch nicht, was dabei herauskommt. Aber mit dem, was ich vor Ort erlebt habe und vor allem auch in den Auseinandersetzungen während des Drehs bin ich nun wahnsinnig glücklich damit und hab das Gefühl, für Anna Magdalena eingestanden zu sein *lacht herzlich*
Wir brauchen solche Filme und Dokus zu solchen Frauen einfach, und oft kommt nach solchen Filmen im TV dann noch eine Doku nachgeschoben „Wie sie wirklich war“…
Ja, es bräuchte echt noch eine Doku zum Film und dann nochmal eine eigene Doku zu ihr. Jetzt fallen mir auch wieder diese ganzen kleinen Sachen ein. Wenn es im Film etwas zu zahlen gab, dann hat Anna Magdalena bezahlt …
… ah, als Haushaltsvorstehende …
Genau, also dieser Microfeminism *lacht*
Hast du ihre Lieblingsblumen, gelbe Nelken, auch einbringen können?
Ich habe darum gebeten, und wir hatten eine andere: Hyazinthen! Die haben wir dann verwendet. Es gab ein wahnsinnig stimmiges Argument der Ausstattung, warum wir die Lieblingsblumen von Anna Magdalena Bach nicht nehmen konnten, weil die am Set zu schnell verblüht wären oder so. Was ich jetzt vergessen habe in meiner Aufzählung – aber ich habs nur vergessen, weil du mir gegenüber sitzt und das so omnipräsent grade ist: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, wusste ich ja gar nichts zu den Begleitumständen. Ich konnte zwar als Schauspielerin beurteilen, ob mir die Frauenfigur gefällt oder nicht oder ob ich das Gefühl habe, dass mir diese Rolle taugt, aber ich konnte nicht sagen, ob das so der echten historischen Person gerecht wird, und da war mir dein Dossier natürlich die Grundlage für jede Argumentation, die ich am Set geführt habe beziehungsweise im Vorfeld sagen zu können: „Äh, so war das nicht, das hätte sie so nicht gesagt“ – das kam alles aus deinem Dossier *lacht beglückt*
Wow, das ehrt mich wirklich, nun ein Teil davon zu sein.
Für mich ein ganz ausschlaggebend wichtiger!
Danke! Also wenn diese Figur ein totales Arschloch gewesen wäre: Hättest du es dir dann nochmal überlegt oder auch wieder etwas draus gemacht?
Ja, absolut! Also über ihren Charakter wissen wir ja nun nichts, das heißt vielleicht war sie ja tatsächlich auch ein Arschloch *kichert* – we don’t know. Aber dahingehend hat man ja, wenn etwas wirklich so lange her ist, eine gewisse künstlerische Freiheit. Aber für die charakterlichen Nuancen ist es meine Aufgabe als Schauspielerin, das zu erspüren und mir vorzustellen, wie sie vielleicht war und wie sie in manchen Situationen vielleicht nicht gehandelt hat. Das tut jetzt nicht so weh, finde ich. Die eine interpretiert es so, die andere so, und dann kommt auch noch die Regie dazu und die Drehpartnerinnen und die ganze Situation, in der du mal extrem bist und mal weniger. Aber was mir wirklich weh getan hätte: Den Wert, den Anna Magdalena hatte, nicht richtig darzustellen. Das hätte mir mehr wehgetan, als wenn jetzt im Nachhinein irgendjemand sagt – oder zu wissen glaubt –, wie sie nun charakterlich gewesen sei oder „Das war doch gar nicht so“ – we don’t know!
Da haben wir jetzt aber echt das wohl Bestmögliche für den Film zusammen herausgekitzelt…
*nickt heftig* Total! Auch vor allem, dass du was zu ihren Zeitgenossinnen zusammengestellt hast zum Vergleich, von denen man mehr weiß…
Mehr können wir auch fast nicht machen: Wo waren diese angestellt, wie war es dort, wie wurden sie dort behandelt und so weiter und zu den Bedingnissen, die eine Frau in so einer Zeit hatte oder durchleben musste, gerade auch zu Hygiene…
… aber sowas von! Oha! Am meisten habe ich die Leute am Set mit einem Detail aus deinem Dossier amüsiert: Wie man sich nach dem Klogang gesäubert hat, also mit dem Schwamm am Stock… *lacht* Es muss so grausam gewesen sein… *lacht angeekelt amüsiert-mitleidsvoll*
Ich weiß es noch von den Erzählungen meiner Oma oder von den ganz alten Frauen, dass sie noch lange Schlitze in den damals noch weiten Unterhosen hatten, um es in der Straße einfach laufen lassen zu können. Weißt du, woher das Wort „schiffen gehen“ kommt? Die hatten ja noch früher diese weiten Kleider mit Unterröcken und Krinolinen und Zwischenkleidern aus Draht, und damit sie aufs Klo gehen und sich nicht ausziehen mussten, hat man einen Nachttopf auf ein mit Rollen und einer Schnur versehenes schmales Holzbrett gestellt, das die Form eines Schiffchens hatte, das unter den Rock geschoben und das Ganze dann an der Schnur wieder hervorgeholt wurde.
Aaaah, I love it!
Unglaublich solche Geschichte, die man fast nicht mehr kennt…
Ah, da fällt mir noch zum Thema Erspüren ein: Für mich gab es mal einen ganz schwierigen Tag beim Drehen, und zwar am Todestag von Anna Magdalena Bach. Da steht man dann so am Set… Ich war die Einzige vor Ort mit dieser wissenden Verantwortung…
Warst du an diesen Orten, an denen ihr gedreht habt, auch selbst auf den Spuren von solcher Frauengeschichte, also in der Stadt unterwegs zum Akklimatisieren? Oder zum Schauen: Was ist noch da, das auch Anna Magdalena gesehen haben könnte und sowas?
Man dreht ja oft nicht da, wo es tatsächlich ablief. Aber wir waren eine Woche in Weimar, wo wir eine ganz tolle Stadtführung mitgemacht haben. Da war natürlich das Haus, wo Bachs Söhne von seiner ersten Ehefrau geboren wurden, aber dann auch viel Goethe. Der war glaub ein riesen Arschloch… *kichert*
…also teils-teils *kichert mit*: Mal war es der mega Zuvorkommende und kam dann wieder mit einem krassen Spruch ums Eck… Ich war in seinem Gartenhaus letztes Jahr, wo er immer zum Baden ging – alles toll, und die Frauen, die da in dem Haus waren, unglaublich fantastisch, auch seine Reisekutsche in seinem Haus am Frauenplan… Die Frauen haben ihn ja auch sehr geschätzt, weil es damit einen geistigen Aufbruch gab…
Ja, die Stadtführerin hat bei den drei bis vier Stunden Führung auch erzählt: Hier hat er eine Freundin gehabt, sie dann aber nie wieder besucht. Er hat viele Frauen unglücklich gemacht oder unglücklich zurückgelassen, und dann gabs noch die Geschichte, wie er die kleinen Katzen einer Bäuerin getötet hat. Was bei mir auch hängengeblieben ist: Er war ja unter den ganz vielen Aufgaben, die er in Weimar hatte, auch für die Parkanlagen zuständig, hat aber Hunde gehasst und die gleich darin verboten oder hat zum Beispiel Menschen mit Brillen den Zugang in Parks verweigert. Nur ‚Gesunde‘ sollten da rein.
Ah, das ist krass. Da fällt mir ein Spruch in der Bibel bei Leviticus ein, dass man sich einem Altar nicht nähern darf, wenn man eine Augenkrankheit hat, und daran muss ich jedes Mal denken, wenn sich ein Priester über Homosexuelle aufregt und mit Sprüchen aus der Bibel zu untermauern versucht, aber bei Predigten am Altar eine Lesebrille trägt. Und vielleicht hatte Goethe das ja auch so verinnerlicht irgendwie durch die strenge Glaubensmoral in dieser Zeit. Man konnte damals ja nicht nichts sein, alles war davon durchzogen, es gab kein Entrinnen. Aber manchmal wäre es ja nicht schlecht, wäre Radlermode aus manchen schönen Orten verbannt…
*kichert zustimmend* Wir haben auch im Dom in Merseburg gedreht, wo es einen riesigen Vierkanthof gibt, der wahnsinnig historisch ausschaut, und für den Film noch weiter historisiert wurde. Zum Beispiel wurde künstliches Efeu eingesetzt für Fassadenteile, die zu jung für die Bach-Zeit waren. Dann wurden noch ganze Tonnen an Stroh ausgestreut, und als wir dort gedreht haben, ließ man Schweine, Hühner und Ziegen frei herumlaufen, mit einer historischen Baustelle mit Flaschenzügen und Marktständen. Fisch wurde geräuchert – also das war wirklich eine Zeitreise, wirklich faszinierend. Und das ist das Tolle am Drehen: Dass man an Orten ist, die man im Originalzustand sehen durfte, und dadurch, dass dann mit den Tieren und den geräucherten Fischen auch der Geruch passte, also wirklich mit allen Sinnen eine Zeitreise machen zu können. Die Innenaufnahmen haben wir in Österreich gemacht, im Schloss Greillenstein in Niederösterreich. Da gibt es unterschiedliche Stockwerke und eines davon sehr, sehr original, wo für uns von unseren Set-Designern auch eine historische Küche und ein Ofen reingebaut wurde.
Im Salzburger Mozarthaus gibt’s ja noch eine Küche aus dieser Zeit, superinteressant…
… ich war schon lang nicht mehr dort. In Salzburg natürlich schon, aber die ganzen Sachen zum Anschauen das letzte Mal mit der Schule, insofern bin ich nur wenig auf Spuren von Anna Magdalena Bach gewandert, aber sonst viel aus dieser Zeit herausgelesen.
Wie wirst du solche Figuren wieder los? Geht das schnell oder hängst du ihnen noch nach oder kommt es irgendwann zu dem Punkt, dass du quasi von einer Käseglocke in die andere switchen kannst oder machst du eine richtige Verabschiedung?
Hm, also von allem ein bisschen was, mit Ausnahme von „weg damit“, denn das will ich auch nicht. Ich finde, dass das eigentlich Schöne ist, dass man diese Personen, die man gespielt hat, alle irgendwie als Gast bei einem behält, und natürlich verblassen die einen schneller als die anderen oder manche gar nicht. Aber viele Fragen bleiben bei mir wie zum Beispiel hier, wer Anna Magdalena Bach war, was sie geleistet hat, wo das Geld in dieser Zeit herkam – das könnte ich dir noch runterbeten. Zur Frage, ob ich Anna Magdalena gerecht werden konnte nach Drehschluss: Diese Frage muss ich bereits vor Drehbeginn für mich beantwortet haben, denn ab dem Zeitpunkt des Drehens verwandle ich mich ja und kämpfe für diese Figur, aber aus dieser Figur heraus und nicht mit diesem Schritt zurück, den man vorher hatte, wo man sich hinsetzt und erst nach dieser Figur schaut. Also ein emotionaler, aufgeladener Kampf, in dem es sich um andere Sachen dreht, im Gegensatz zu dem Teil: Wo und wie finde ich noch was zu ihr. Das ist Drehbucharbeit im Vorfeld: Wo krieg ich noch was rein, das mir wichtig ist. Ich könnte gar nicht anfangen zu drehen, wenn ich noch das Gefühl hätte, dass etwas dieser Rolle nicht gerecht wird. Sonst würde ich ja total nackt in den Dreh starten. Das muss ich zu Drehbeginn schon wissen, denn sonst scheitere ich. Bereits zu Drehbeginn weiß ich: Ich habe mein Möglichstes getan und… *zögert*
… und jetzt raus damit …
Genau! Also eigentlich hab ich meinen Anspruch zu Drehbeginn erfüllt, weißt du, was ich mein? Für die Rolle muss dieser Anspruch erfüllt sein, denn sonst habe ich‘s falsch gemacht. Im Bach-Fall war’s noch spezieller, weil ich in der letzten Drehwoche schon parallel einen anderen Film gedreht habe, also am Montag da, am Mittwoch dort und Freitag da – ich hasse das, aber das erleichtert den Ausstieg halt auch, weil du gar keine Zeit hast, irgendetwas nachzuhängen, also bist du montags Anna Magdalena Bach und dienstags Daniela Huber *lacht*
Gehen wir mal ein bisschen zu Komponistinnen weiter. Von Anna Magdalena Bach weiß man heute ja, dass sie auch als Kopistin gearbeitet hat, aber vor ein paar Jahren trat Musikwissenschaftler Martin Jarvis mit einer neuen These auf, dass sie auch einige Werke wie die Cello-Suiten selbst komponiert haben soll. Als Sängerin hatte sie ja die musikalische Bildung und die Klangvorstellungen dazu und hat bestimmt auch improvisiert beim Singen, und so eine Gesangsstimme lässt sich ja leicht in die Melodie von Instrumenten übertragen. Und es gab so viele Komponistinnen, die so sehr kämpfen mussten… Ab wann ist dir bewusst geworden, dass auch Frauen so schöpferisch tätig sein konnten? Bei Büchern sieht man den Autorinnenname, Bilder kann man ansehen und sieht die Sachen, auch wenn man sie nicht bewusst wahrnimmt. Sie begleiten einen aber. Musik muss man in der Regel aber eher ganz bewusst hören, um zu verstehen. Mir war der Umstand, dass Frauen ganz bewusst komponierten, lange Zeit gar nicht klar, weil einem dazu nichts erzählt wurde. Dann geht man davon aus, es sei halt normal, dass nur Männer komponieren können. In einem Interview der Vogue Austria hattest du ja gesagt, dass dir im Grunde Feminismus immer vorgelebt wurde, aber dass das eben nur nicht benannt wurde. Dass wir keine Worte dafür hatten. Man nimmt auch als Kind ja so viel auf, was man nicht benennen kann…
… Ich glaube, ich kanns beantworten: Ich hab überhaupt keine persönliche Erinnerung daran, wann mir bewusst geworden ist, dass es Menschen gibt, die Musik schreiben und das als Beruf machen. Das war so ein Wissen, das plötzlich da war. Es gibt bei mir keinen Aha-Moment, auch nicht die Fragestellung vorab, bzw. war bei mir auch das Unwissen dazu nicht präsent. Aber was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass für mich Musik und eigentlich auch das Schreiben oder Dichten oder das Komponieren von Musik immer weiblich besetzt war. Ich komm ja aus Dorfgastein, und was man bei uns wirklich viel auch in der Familie macht, ist Gstanzlnsingen, also das spontane Dichten von Schmähtexten mit Freundinnen, wo dann jeder mitsingt. Diese ganz frühen Erinnerungen, die ich hab, eben zum Beispiel vom Gstanzlnsingen bei der Oma in der Küche. Ich komm aus einer Familie, in der es zufällig ganz viele Frauen gibt. Meine Mutter hatte Schwestern und ich hab viele Cousinen, und deswegen seh ich immer eigentlich diese schwatzende Frauenrunde vor mir, die Gstanzln singt, und vielleicht sitzt der Opa hinten im Eck noch dabei, aber eigentlich nicht, da sind nur Frauen. Da sind keine Männer im Bild. Eine meiner Cousinen, die Astrid, hat eine unfassbar schöne Singstimme und ist hauptberuflich Pflegemutter, aber singt halt auf Taufen und Hochzeiten und hat immer wieder selbst wunderschöne Lieder geschrieben und mit der Akustikgitarre begleitet, und es war immer so, dass wenn wir ein Familientreffen hatten, dann immer eines der Highlights war, wenn Astrid dafür ein Lied komponiert hat. Meine Mutter hat nicht unbedingt Lieder gedichtet, aber hat immer wieder kleine Reime aufgeschrieben – man könnte fast Haikus dazu sagen –, wie zum Beispiel:
Samtige Reste von Schnee
suchen in schattigen Senken Schutz.
Zu schöpferischem Dichten aber auch zum Komponieren sehe ich vor meinem geistigen Auge immer viele Frauen, die das machen oder kreativ mit einer Gitarre oder Mundharmonika improvisieren oder eben etwas vorbereitet haben und dann im Familienverbund zum Besten geben.
Wenn ich über so viele Frauen red, dann ist das die mütterliche Seite. Auf der väterlichen Seite: Mein Vater ist ein Einzelkind, deshalb gibt’s da keine großen Gruppen. Aber meine Oma väterlicherseits, die sehr arm als Waisenkind aufgewachsen ist, konnte nur kurz die Schule besuchen, bevor sie abgehen musste, hat aber eine wahnsinnig schöne Singstimme gehabt und sich selber Akkordeonspielen beigebracht. Sie hatte eine ganz tolle Grundschullehrerin, die ihr ihr Akkordeon geliehen hat – ‚her moments to shine‘ waren immer die Weihnachtsfeiern, wo sie auf der Bühne den Ton angeben durfte im wahrsten Sinne des Wortes. Sie war Autodidaktin und trotzdem einfach die Beste, sie war super schüchtern, ihr Leben lang und auf der Bühne dennoch die Lauteste.
Sie wurde dann auch mal beim Singen entdeckt, als sie so 15 oder 16 war. Ich glaube durch einen Pfarrer, der ihr ein Chorinternat empfohlen hat und auch vermittelt und übernommen hätte, aber sie hat sich nicht getraut, aus Dorfgastein wegzugehen und deshalb ist sie nicht Chorsängerin oder Sängerin geworden und wer weiß, was sie geworden wäre, aber damals war immer diese Musik ein Mittel des Auf- und Ausstiegs, und wenn’s nur für den Moment war. Du bist niemand – bis zu dem Moment, wo du auf der Bühne stehst. Dann bist du kurz jemand durch die Kunst, die du machst, und dann bist du wieder niemand. Also insofern war Komposition und Musik schon immer weiblich, aber ich hatte jetzt nicht im heutigen Sinne zur Frage nach Komponistinnen ein Aha-Erlebnis oder so.
Ich kenne das ähnlich vom Gesangverein im Dorf, wo man immer von ‚Frau Musica‘ gesungen hat oder dass die Heilige Cäcilia eben die Schutzpatronin der Musik ist. Oder wenn die alten Frauen nachmittags in die Kirche gegangen sind, um uralte Marienlieder zu singen – was mit diesen alten Frauen ausgestorben ist. Die Frau Nagel hatte eine so wunderbare Altstimme und hat das Singen dort angeführt. Sie konnte auch Mandoline spielen. Der andere Teil war dann die männlich-heroische Kriegsmusik, also die Blaskapelle im Dorf, wo fast nur Männer drin waren, und das war gegenseitig wie so eine Art Ausgleich. Bei klassischer Musik muss man ja gezielt ins Konzert gehen. Hast du irgendwie in Wien mitgekriegt, ob es sich da im Konzertbetrieb dreht, also zugunsten von Frauen?
Da bin ich zu wenig drin in dieser Bubble, zu wenig Zeit. Aber doch: Mit den Wiener Philharmonikern, also dass dann auch mal die Frauen durften und es erstmals Vorspiele hinterm Vorhang gab, damit man nicht sehen konnte, ob da Frau oder Mann spielte, und als die Frauen in den Orchestern dann immer noch nicht mehr wurden, kamen sie drauf, dass es am Klang der Stöckelschuhe lag, die das Geschlecht auch hinter dem Vorhang verraten haben! Das ist so…so unglaublich… Also diese Dramaturgie der Geschichte, dass man dann sagte, dass es eben doch an der Qualität liegen müsse, wenn die Männer besser sind. Nein! Es ist echt Wahnsinn!
Ja, das Nächste wäre, dass man dann auch eine Frau ans Dirigierpult des Neujahrskonzert lässt. Da wäre die Naheliegendste und wohl auch Verdienteste Marin Alsop. Das wäre so nötig, aber wem erzähle ich das…
*Verena lacht-seufzt*
Ein Drama ist aber zum Beispiel, dass es durchaus gute österreichische Dokufilme zu Komponistinnen gibt wie zu Marianne Martines, die Haydn-Schülerin in Wien war und von der eine der frühesten Sinfonien stammt. Diese Doku lief wurde nur ein einziges Mal ausgestrahlt und verschwand nach einer Woche in der Mediathek komplett wieder in der Versenkung. Man steckt Geld rein, bekommt Förderung dazu und dann haben wir nichts davon. Auch der ORF hat ja eine Bildungsverantwortung. Was müsste man dazutun, damit dieses Wissen endlich mal unten ankommt. Daran hängen ja auch die Filmmusikkomponistinnen. Dafür gibt’s ja die Pro-Quote-Vereine, zum Beispiel Pro Quote Bühne, Pro Quote Film, woran die Filmmusikkomponistinnen hängen – wobei es interessanter Weise noch keine Pro Quote Musik gibt – oder dass das Ganze länderübergreifend wird. Was mich berührt hat, war beim letzten Österreichischen Filmpreis, als Eva Klampfer gewonnen und dann ins Mikrofon gefragt hat: „Kolleginnen, wo seid ihr alle? Ich fühle mich so allein!“ Netzwerke, Vorbereitungen und Wissen dazu – alles seit Jahrzehnten vorhanden…
Der Lobbyismus ist ja auch da. Wenn man mal zammzählt, wie viele Mozart-, Beethoven- und Bachfilme es gibt… Everybody’s darling sind halt alles Männer, die abgefrühstückt werden. Auch weil du den Bildungsauftrag angesprochen hast: Man müsste eigentlich viel mehr mit Filmen arbeiten, wie das zum Beispiel in Die beste aller Welten war zu Drogenprävention, aber das können ja auch andere Themen sein. Da versucht man als Produktionsfirma ja auch immer, an die Schulen ranzukommen. Was wichtig ist und jetzt am Beispiel Schule erklärt: Es darf nicht individuell bleiben, also man braucht nicht eine einzige engagierte Lehrerin, die sagt: Da geh ich jetzt mit der 8A rein, sondern das muss in den Lehrplan, das muss verankert werden, und genau dasselbe mit Quoten. Es reicht nicht zu sagen, wir machen was Einmaliges, oder dass es immer nur die gleichen Film-Produktionsfirmen sind, die was machen. Wir haben in Österreich ja eine Art Quote, die ich gar nicht unelegant finde: Im Filmfördergesetz. Das betrifft allerdings nur Produktion, Drehbuch und Regie. Da müssen nicht 50 % Frauen und 50 % Männer gefördert werden, sondern 50 % der Mittel müssen an Frauen gehen. Da muss man dann nicht sagen: Oh, wir haben jetzt noch einen Film, aber den macht ein Mann oder das kann kein Mann machen, weil wir jetzt eine Frau nehmen müssen – nein! Es geht ums Geld. Wir können 20 tolle Frauen und einen Mann fördern oder umgekehrt, und insofern haben wir da finde ich eine elegante Quote, aber halt noch nicht für Filmmusik – das ist noch eine Frage der Selbstverpflichtung, wenn überhaupt. Ganz wichtig sind natürlich auch Datenbanken dazu, die find ich maßgeblich wichtig. Das denk ich mir immer bei Experten-Runden, wenn es heißt, dass man keine Frau gefunden habe: Nononono, google das und du kannst 100 Frauen anschreiben. Und dazu müssen wir noch immer in die Welt tragen, dass es sowas gibt. Es darf sich niemand mehr trauen zu sagen, wir haben keine gefunden. In diesem Moment, wo so etwas gesagt wird, muss das als Lüge enttarnt werden. Deshalb müssen diese ganzen Datenbanken präsent sein. Das ist ja noch immer ein Hauptargument: Wir haben keine gefunden. Sei es in einer Talkshow oder whatever. Die Auswahl muss so gut gesammelt und präsent sein, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Und das ist schon ein richtiger Schritt.
Ja, wir haben das alles. Aber es muss diese Hilfe zur Selbsthilfe auch präsenter sein, nämlich wenn echtes Interesse da ist, dann kommen die Leute ja von alleine auf einen zu, und dass es leicht zugänglich ist.
Mahlen für dich die Mühlen langsamer oder hast du das Gefühl, da ändert sich gar nix?
Es kommt langsam an, zu langsam. Vor 20 Jahren dachte ich, dass ich es noch erleben werde, dass Komponistinnen gleichberechtigt und gleich gewichtet in den Schulbüchern vertreten sein werden. Die besten Lehrbücher dazu sind aber in Eigenregie aus dem Notstand heraus entstanden, das Wissen dazu ist ja alles da. Viele hängen sich an den Komponistinnen-Trend dran, weil sie wissen, nicht mehr drumherum zu kommen, und dann gibt’s aber vielleicht nur eine einzige Komponistin im ganzen Programm. Und dann gibt es wiederum Dirigenten, die regelrecht angestürmt kommen: Was? Da gibt’s was mit Komponistinnen? Gebt uns! Aber dann auch Dirigentinnen, die anscheinend regelrecht Angst haben, auch Werke von Komponistinnen aufzuführen, weil sie nicht darauf abgestempelt werden wollen. Dabei geht es doch aber nur um gute Musik. Wenn man dann noch so Leute erlebt, die von sich behaupten: „Ich bin Musikliebhaber. Werke von Frauen interessieren mich nicht“, dann sind die halt keine Musikliebhaber. Und da haben wir noch so ein Gezerre beziehungsweise eine Art Schwelle. Schön wäre zum Beispiel mal ein Konzert mit den großen Nachnamen auf dem Plakat: SCHUMANN, BACH, MENDELSSOHN, aber dass dann erst im Konzert klar wird, dass es Musik von Clara Schumann, Maria Bach und Fanny Mendelssohn ist, die da gespielt wird ,und die Leute dann befragt werden: Hei, wie ging es euch mit dieser Musik? Habt ihr euch wohlgefühlt? Apropos wohlgefühlt: Du arbeitest derzeit ja auch mit einer Komponistin zusammen: Clara Frühstück in diesem tollen Stück Den Göttern in die Seele blicken, das du zusammen mit Mavie Hörbiger entwickelt hast und für volles Haus des Burgtheaters und anderswo sorgt. Wie begann das, wie habt ihr zusammengefunden?
Das begann mit mir *lacht* Das war so, dass ich seit drei bis vier Jahre Undine geht von Ingeborg Bachmann lese, weil das einer meiner Lieblingstexte – wenn nicht der Lieblingstext – ist und mit dem ich schon öfter aufgetreten bin. Und dann hat mich der Posthof in Linz letztes Jahr angefragt, ob ich Undine geht dort machen kann, aber sie bräuchten noch was dazu, also hab ich die Texte von Necati Öziri genutzt – ein junger Berliner mit türkischen Wurzeln, der Dramaturg ist und den Ring des Nibelungen neu gemacht hat, wo aber kein Wort auf dem anderen geblieben ist und ich damals die Uraufführung in der Schweiz gesehen hatte. Das Praktische daran ist, dass das acht Monologe sind und insofern angenehm für eine Lesung. Da habe ich dann Bachmann mit Öziri kombiniert.
Dieser Abend in Linz hat irgendwie super funktioniert und ich hatte schöne Kritiken (und sehr viel Spaß) und dann hat mich das Burgtheater angefragt, aber die wollten es wiederum eine Nummer größer. Ich sollte mir eine Partnerin aussuchen.
Da war dann ganz klar, dass ich mir die Mavie Hörbiger wünsche, und dann habe ich gefragt, ob ich mir auch Musik dazu wünschen dürfte. Das gab das Budget her. Ich kannte Clara Frühstück von einem Abend, den ich auch am Burgtheater machte. Wir machten an Silvester mal so eine Soirée, wo Clara zusammen mit einem Partner ein Programm gemacht hat und die Mavie und ich auf der Bühne miteinander geplaudert und Texte gelesen haben. Es war so eine Art Anti-Silvester-good-mood-Ding mit Liebeskummer und Alleinsein mit gemeinsamer Katharsis *lacht*, was von negativen Emotionen ins neue Jahr befreit. Und da hat eben Clara mit dem Oliver Welter zusammen auch Stücke gespielt. Das hat sich an diesem Abend schon so nach einem Zusammen angefühlt und es kam dann auf, dass ich es toll fände, wenn die Clara mit dabei wäre. Und dann habe ich ihr die Texte geschickt, und ausgehend von den Texten sagte sie dann, dass sie das interessiert und hat dann auch wirklich eigene Kompositionen auf Grundlage der Texte gemacht. Man muss auch noch dazu sagen, dass das Burgtheater auf Mavies Idee hin, beziehungsweise des Dramaturgen, der uns betreut hat, noch weitere Texte dazu gepackt hat. So ist das dann immer reicher geworden und so ist dieser Abend entstanden, der uns so viel Freude macht. Also wirklich: Wir sind alle drei so glücklich mit diesem Abend, und wir haben ihn jetzt viermal gespielt und haben mittlerweile auch eine Bookerin, die uns unter Vertrag genommen hat und es sich gut vorstellen kann, dass wir im kommenden Jahr damit auch in Deutschland unterwegs sein könnten, weil grundsätzlich so großes Interesse daran besteht…
… das schreit ja direkt danach, euch nach Augsburg zu holen …
*lacht* Jaaa, klar, man kann uns buchen! Es ist auch wirklich großartig: Die Texte sind so unterschiedlich. So stark, so lustig, so traurig, so sachlich, so sachlich wehtuend. Mein Lieblingsvergleich ist der, in dem Femizid damit verglichen wird, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer umbringen. Also man stelle sich vor, dass man jeden zweiten Tag in der Zeitung liest, dass ein Angestellter kündigen wollte und ihn der Chef daraufhin erschossen hat. Das gäbe einen riesen Aufschrei und wäre ein nationaler Skandal. Aber wenn jeden dritten Tag in der Zeitung steht, dass ein Mann seine Frau umgebracht hat, dann – Schweigen im Walde. Dann kommt Ingeborg Bachmann, die im Vergleich schon fast romantisch klingt, wo es auch um die Schönheit der Sprache geht: Mit Wiederholungen und Schlaufen, die der Text macht, wo es um Liebe geht, aber auch um Mord, Undine muss ja auch töten *lacht* Also auch eine Art Befreiung und dann eben Öziri, also was da schon bei der Aufführung vom Ring des Nibelungen so faszinierend war: Wir lesen nämlich Wotan und Brünhilde, und das symbolisiert quasi das Patriarchat mit dem alten weißen Mann und der Frau – also unsere Generation –, und das Tolle an diesem Abend ist, dass Öziri alle Figuren ernst nimmt, und jede einzelne Figur recht hat in ihrem Sein. Wir erklären nicht nur die Gegenseitigkeiten, sondern auch die Gemeinsamkeiten. Ja, es waren andere Zeiten, und ihr dachtet damals auch, dass ihr es schon besser macht als die Generation davor. Die Generation nochmal davor dachte ja auch schon, dass sie es besser macht und haben es in gewisser Form ja auch. Und dann kommen eben diese Texte, und Clara hat eigene Kompositionen dazu gemacht, die sie so toll mit ihrer Musik beschreiben kann. Wir hatten ein Standard-Interview dazu, wo sie genau beschreibt, wie sie das mit den Tonarten gemacht hat. Der göttliche Ton und so… Das versteh ich zwar nicht, aber ich liebs!
… Das Thema ist ja auch gewissermaßen zeitlos …
Ja, leider. Aber mal schaun, ob wir zum Ende des Jahres noch was Neues aufziehen.
… Noch eine Band ohne Namen …
*lacht* Wir konnten uns noch nicht mal einigen, was das Ganze jetzt darstellt: Ist es jetzt eine Lesung, eine Performance oder was auch immer es noch für Worte dafür gibt. Mavie zum Beispiel hasst das Wort Performance. Ich finde, es kommt dem aber am nächsten, was wir tun, weil es auch nicht einfach nur eine Lesung mit Musik ist. Aber bei Lesung mit Musik denke ich an zwei Frauen oder Menschen: Einer liest und dazwischen kommt Musik, klassisch abwechselnd. Und das ist es ja überhaupt nicht! Und ich verstehe Mavie auch, denn beim Wort Performance sehe ich fünf Nackte über die Bühne hüpfen *lacht* Wir wissen quasi eigentlich nicht, was wir da tun.
Dascha Dauenhauer ist Filmmusikkomponistin, war früher klassische Pianistin und ist jetzt quasi von der Bühne zurückgetreten. Sie hat die Musik für den Film geschrieben, den ich letztes Jahr in Warschau gedreht habe: No Beast. So fierce. Der ist noch nicht draußen, und sie ist so toll! Und für den Film, den ich derzeit drehe, macht sie auch wieder die Filmmusik: Das Leben der Wünsche. Ich darf eigentlich nichts verraten, aber es ist aber glaube ich nicht zu viel verraten, wenn ich sage, dass ich dazu ein Instrument lerne *lacht* Und sie hat dieses Stück, das ich auf diesem Instrument spiele, auch geschrieben und das ist wunderschön geworden – eine ganz tolle Frau. Wenn ich jetzt verrate, was das für ein Instrument ist, dann ist das schon zu viel… *zwinkert verschwörerisch*
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Also seien wir mal gespannt darauf, was noch alles kommt. Die Musik zu Bach – ein Weihnachtswunder wurde wunderbar durchdacht von Komponistin Martina Eisenreich geschrieben, die erst vor Kurzem für die neue Thriller-Serie Eine Billion Dollar mit dem Deutschen Filmmusikpreis ausgezeichnet wurde. Alles in allem also eine hervorragende Produktion mit dem Besten, was uns das Filmschaffen derzeit bietet.
Bach – ein Weihnachtswunder: 18. Dezember 20:15 Uhr in ARD, BR, MDR und ORF2 in der Weihnachtszeit. Hier gehts zum TRAILER.
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Zum Weiterlesen
♣ Eberhard Spree: Die Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach. Ein Zeitbild (2021)
♣ David Yearsley: Sex, Death, and Minuets: Anna Magdalena Bach and Her Musical Notebooks (2019)
♣ Maria Hübner: Anna Magdalena Bach. Ein Leben in Dokumenten und Bildern (2004)
♣ Möglicherweise kann die von mir wiederentdeckte Augsburger Sängerin Susanna Jacobina Jungert (1741–1799) als ‚Enkelschülerin‘ Bachs gezählt werden. Diese war in Augsburg Schülerin von Johann Caspar Seyfert, der an der Barfüßerkirche wirkte, der wiederum Schüler von Philipp David Kräuter war, der Schüler von Johann Sebastian Bach war
♣ Hier gibts einen schönen Einblick, wie die Kantorenwohnung in Leipzig beschaffen war
♣ „Ein Film zum Frohlocken! Verena Altenberger spielt (hinreißend!) Bachs Frau Anna Magdalena!“ – Reinhard Mawick (zeitzeichen.net)
♣ „Der Merseburger Dom wird zur Thomaskirche“ (Leipziger Volkszeitung)
♣ Interview des NDR mit Verena Altenberger zum Film am 15. Dezember auf Sendung
♣ Interview des Deutschlandfunk Kultur mit Verena Altenberger (12. Dezember 2024): „Wir sehen einen tiefen Einblick in die Dynamiken, die Hoffnungen, Träume und Ängste der Familie Bach, die vielleicht ziemlich genau so gewesen sind. […] Ich hatte eine ganz tolle Musikhistorikerin, mit der ich mich vorbereitet hab – Susanne Wosnitzka –, die mir so eine ganz dicke Dramaturgiemappe vorbereitet hat mit Briefen aus der Zeit, mit Zeitzeuginnen, Berichten, mit Links zu anderen vergleichbaren Schicksalen von damals, dass man sich so richtig gut einlesen und einfühlen kann, und dann kam das Kapitel Hygiene *lacht* Das waren so die ersten Seiten, wo ich hundert Kreuze gemacht hab, dass ich nicht 1734 lebe, und natürlich was in dem Film ganz stark zum Ausdruck kommt, das Thema Schwangerschaft bei Anna Magdalena Bach.“ – Verena Altenberger („Sie zelebrieren das perfekt!“ – Marco Schreyl)
Weihnachtsoratorium Teil 1 mit Jauchzet, frohlocket des Thomanerchors Leipzig (2010):
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