Juliano Donato, der einbeinige Tänzer (1837/38–1865)

Wahrscheinlich haben Sie ebensowenig wie ich bislang von Juliano Donato (1837/38–1865), dem Ersten Tänzer des königlich-spanischen Theaters Madrid,[1] gehört, über den ich gerade zufällig beim Durchlesen einer Augsburger Zeitung gestoßen bin – er hatte nämlich nur ein Bein, was als die eigentliche Sensation galt. ‚Freakshows‘ waren nicht nur in dieser Zeit beliebte Unterhaltungsmittel: Für viele behinderte Menschen war das Sich-Zeigen in der Öffentlichkeit in Menagerien oft die einzige Einnahmequelle, um überhaupt eigenes Geld verdienen zu können und unabhängig von Almosen zu werden – zum Preis des Angeglotzt- und Ausgestelltwerdens in Zirkussen und reisenden Jahrmarktsbühnen wie die ‚größten‘ Schweizerinnen.

Juliano Donato © photovintagefrance
Juliano Donato © photovintagefrance

Fotografien von Juliano Donato finden sich einige im Netz, Angaben zu seinem Leben und Wirken aber so gut wie keine. Daher dieser Blogartikel mit den auf die Schnelle gefundenen Informationen aus zeitgenössischen Zeitungen, um ihn künftig besser zu finden.

Kein Freak: Juliano Donato

Juliano Donato hatte es mit seiner Behinderung im Vergleich zu anderen ‚Freaks‘ auf die ganz großen Bühnen der damaligen Welt geschafft: Im Dezember 1864 tanzte Donato in Hamburg. In Berlin verdiente er an der Kroll-Oper pro Abend die große Summe von 160 Talern, in Prag 1125 Gulden pro Vorstellung[2] – unglaublich viel Geld in dieser Zeit. Der ehemalige Torero hatte sein rechtes Bein durch den Angriff eines Stiers verloren.[3]

In der Augsburger Postzeitung fand sich diese zauberhafte Beschreibung von einem seiner Auftritte in Wien:

„Am Theater in der Josephstadt in Wien ist dieser Tage das erste Auftreten des einfüßigen spanischen Tänzers Donato erfolgt. Wiener Blätter sagen darüber: Mit sehr gemischten Gefühlen erwartete offenbar das Publicum das Auftreten des einfüßigen Tänzers; die Unterhaltung vor Beginn des Theaters und in den Zwischenacten legte Zeugniß davon ab. Niemand aber war von der Furcht frei, es werde mehr das Mitleid mit einem Unglücklichen wachgerufen, als ein ästhetischer Genuß geboten werden. Das Eintreten des einfüßigen Künstlers konnte diese Ansicht nur bestärken. Der Vorhang erhebt sich, es erscheint ein Einfüßiger im Balletcostüme, auf eine Krücke gestützt, auf der Bühne, hinkt bis an die Rampe und legt die Krücke dann auf die Seite; nun aber scheint plötzlich in der Persönlichkeit selbst eine Umwandlung vorzugehen. In raschen Sprüngen unter dem Klange der Castagnetten, tritt vor dem Publicum ein Tänzer in Stellungen, Bewegungen und kreiselförmigen Schwenkungen auf, die an jedem Balletkünstler Aufsehen, Verwunderung und Beifall finden müßten. Man vergißt, daß Alles, was vorgeführt wird, nur auf Einem Bein getanzt wird; man sieht einen vollendeten Künstler vor sich; aber doch weiß man, ohne eben daran erinnert zu werden, daß er mit physischen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die unüberwindlich scheinen. Die Pirouetten namentlich schlägt Herr Donato mit einer unerhörten Ausdauer und Schnelligkeit, man zählte 57 Umdrehungen seines Körpers in einer halben Minute.“[4]

Bemantelte Tänze

Verschiedenen Zeitungen nach hatte er als Programm diverse spanische Tänze wie einen Manteltanz, Bolero oder auf den Postillon von Lonjumeau (?) „mit einer an’s Unglaubliche grenzenden Gelenkigkeit und – was noch merkwürdiger ist – Zierlichkeit. Es ist fast wunderbar, wie sich dieser junge Mann diese Fähigkeit hat aneignen können.“[5]

Und weiter dasselbe Blatt: „Was Herr Donato eigentlich leistet, läßt sich schwer beschreiben, es muß gesehen werden. Herr Donato, ein junger Mann mit einem intelligenten, hübschen Gesichte und einer zierlichen Gestalt, erscheint auf der Bühne mit einer Krücke, wirft diese weg und beginnt nun auf einem Fuße zu tanzen – aber er tanzt nicht nur, er führt auch die schwersten Pas, Pirouetten und Sprünge aus, und dreht sich mit Blitzesschnelle dreißig, vierzig Mal um sich selbst, ohne zu wanken, er unternimmt die gewagtesten Positionen und alles das mit Grazie und einer Ausdauer, die geradezu unbegreiflich ist. Was die besten Tänzer mit beiden Beinen leisten, leistet Herr Donato mit einem. Sein Manteltanz, während dessen er den Marsch, die Exercitien, die Vertheidigung eines angegriffenen Kriegers meisterhaft ausführt, gehört zu den sehenswerthesten Leistungen. Herr Donato wird mit Beifall überschüttet und wiederholt gerufen; sein Tanz ruft allgemeines Staunen hervor.“[6]

Juliano Donato © Theatermuseum Wien (gemeinfrei).
Juliano Donato © Theatermuseum Wien (gemeinfrei).

Nicht alle Kritiken überschlugen sich wie die aus Wien. In Breslau war man von seiner Kunst allerdings weniger angetan:

„Die Sensation des Ballettjahres aber war das sechsmalige Auftreten des einbeinigen spanischen Tänzers Juliano Donato, der zwar als ein modernes Wunder bezeichnet wurde, dessen erstaunliche Leistungen jedoch feinfühlige Gemüter weder als schön noch als erheiternd bezeichneten. Bei seinem Auftreten war das Haus jedoch stets bis an die Decke voll und sein Quartier in der Goldenen Gans ständig von Neugierigen belagert, die begierig waren, ihn in seinem auffallenden Kostüm zu sehen.“[7]

Trittbrettfahrer und Kulinarisches

So große Sensation erzeugt oft Trittbrettfahrer. So warnte Donatos Agent Franz Kratz vor einem ‚falschen Donato‘, einem Tänzer (?) namens A. Conradini, der sich den Namen Donato II. gegeben hatte und in Wiener Wirtshäusern „hupfte“. Conradini, dem das Bein in seiner Kindheit bis zur Kniescheibe abgenommen worden war, ließ sich seinen Überrest aus Donato-Enthusiasmus heraus so weit verkürzen, dass dieser so kurz wie der von Donato war.[8] Ein I. Baum-Donato produzierte sich zeitgleich in München mit 52 Auftritten alleine dort, darüber hinaus in Wien, Linz, Danzig, Stettin, Zürich, St. Gallen, Genf, Brüssel und Hamburg.[9] Noch im Jahr 1868 soll in Stamford/Lincolnshire in England ein Donato aufgetreten sein, dessen Echtheit in diesem kurzen Blogartikel mit Originalzeitungsartikel aus Stamford auch richtigerweise hinterfragt wird.

So mancher Kritiker wollte im echten Juliano Donato aber doch lieber den Behinderten statt den Künstler vor sich sehen:

„Seine Leistungen also lassen den mangelnden rechten Fuß nicht im Geringsten vermissen, aber der Stumpf erinnert uns nur zu beredt daran, daß wir einen Krüppel vor uns haben, und läßt so eine rechte Freude nicht aufkommen, denn das Mitleid mischt sich mit der Bewunderung.“[10] Auch die Gastronomie sprang auf den Vermarktungszug auf: So bot das berühmte Café Sperl, in dem gerne und oft auch Johann Strauss Sohn verkehrte, „ein Haxel à la Juliano Donato“.[11]

© Screenshot Susanne Wosnitzka
© Screenshot Susanne Wosnitzka

Hochzeit mit Chaos und Jubel

Am 12. oder 13. Juni 1864 heiratete er die 20jährige Schauspielerin Antonie Ros. Julius, die Mitglied des Josephstädter Theaters war, inkognito mit anschließender Party im Hotel (goldenes) Kreuz in der Mariahilferstraße mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen und unter Aufspielung des Orchesters des Theater in der Josephstadt, was fast im totalen Chaos endigte[12]:

„Im Laufe des Nachmittags stellten sich Hunderte von Menschen, zumeist Frauen und Kinder, vor der Mariahilfer Kirche auf, um den Hochzeitszug zu erwarten. Doch, man hatte sich getäuscht. Donato und seine Braut erschienen ganz inkognito in der Sakristei und verrichteten daselbst die hl. Beichte. Dann fuhren sie nach Mauerbach [ca. 20 km (!) westlich von Wien] zur Trauung. Man wußte aber, daß die Hochzeitstafel im Gasthause zum „Kreuz“ (Hotel Krenn) in Mariahilf stattfinden werde – und so wartete das Volk, bis endlich um halb 7 Uhr Abends der Hochzeitszug, aus sechs Wagen bestehend, bei dem Hotel anlangte. Im ersten Wagen fuhr das junge Ehepaar. Herr Donato trug ein prächtiges violettfarbiges spanisches Nationalkostüm, seine junge Gattin, eine hübsche freundliche Blondine, ein prächtiges, weißes Spitzenkleid und in den Haaren einen Myrthenkranz. Außerdem führten sie mit sich im Wagen einen frischen Blumenstrauß von wirklich colossalem Umfange. […] Lebhafter noch als in dem Kreise der Hochzeitsgäste ging es auf der Straße und auf dem vor dem Hotel befindlichen Platze zu, auf welchem viele Tausende von Neugierigen sich versammelten, als auf dem Balkon die Musik aufzuspielen begann. […] Da aber der Wagenverkehr auf der Mariahilferstraße durch das zahlreich herbeiströmende Volk immer mehr in Stockung gerieth und endlich ganz unterbrochen wurde, soll sich die Polizeibehörde veranlaßt gefunden haben, das Weiterspielen des Orchesters zu verbieten. Das Publikum aber nahm den Abzug der Musikanten von dem Balkone mit größtem Mißvergnügen auf, es schrie etwa eine Viertelstunde lang fortwährend nach der Musik, rief den „Einhaxl“ heraus, und als dies Alles nichts half, fing es an zu murren, schreien, pfeifen u. s. f.; eine Katzenmusik war im vollsten Anzuge. Nun riß Herr Donato schnell die Fenster des Saales auf und das nun in diesem Saale postirte Orchester fing sofort wieder an zu spielen, was von dem Straßenpublikum mit endlosem Jubel gutgeheißen wurde. Die Leute unten riefen nun Donato stürmisch heraus und als Herr Donato auf dem Balkon erschien und nach Art großer Herren sich dreimal vor dem Volk verbeugte, da wollte der Jubel kein Ende nehmen. Endlich mußte auch Frau Donato, „die Einhaxlin“, wie die Schusterbuben sagten, dem Volke sich zeigen und der Empfang, welcher der hübschen Dame zu Theil wurde, scheint Herr Donato so entzückt zu haben, daß er nicht umhin konnte, photographische Visitkarten mit seinem Porträt vom Balkon aus auf die Straße hinabzuwerfen, welcher originelle Gedanke nicht verfehlte, eine zündende Wirkung auszuüben. Die Leute rauften und balgten sich mit aller Gemüthlichkeit, um in den Besitz einer Visitkarte zu gelangen. Erst um 1 Uhr Nachts zerstreute sich das Volk, nachdem es sich überzeugte, daß das neue Ehepaar wirklich auf einem guten Fuße lebt.“[13]

Juliano Donato © Wien Museum, Inventarnummer HMW 53350 (gemeinfrei).
Juliano Donato © Wien Museum, Inventarnummer HMW 53350 (gemeinfrei).

Donato-Kult und kein Ende

Donato tanzte nicht nur im Josephstädter Theater, sondern auch im Wiener Thalia-Theater, wo er als „Seitenstück der berühmten Fanni Elßler“ angesehen wurde:

„Die letzten zehn Vorstellungen Donatos hatten dem Thaliatheater zwölf Tausend Gulden eingetragen. Seinen Nachklang soll der Donato=Enthusiasmus in einer Ehrenkrücke für den Gefeierten finden. Natürlich ließen die Lorbeeren Donato’s I. Donato II. nicht lange schlafen. Auch er machte vor seinem Publikum Glück. Es steht nur zu fürchten, daß dieser Donato=Cultus endlich zu Selbstverstümmelungen verleiten und unsere Caloris, Frapparts und Price’s der Zukunft nur mehr mit einem Beine um die Lorbeeren Terpsychorens zu ringen wagen werden.“

Mit seinem Sein als einbeiniger Tänzer brachte er auch einer kranken Tänzerin neue Hoffnung, die an starken Fußschmerzen litt, und „man erzählt sich, daß sie allen Ernstes damit umgehe, sich ein Bein amputiren zu lassen, um fortan ihre Triumphe auf ihr zweites zu beschränken, das sie zu desto höherer Vollendung ausbilden lassen möchte.“[14]

Nach seinen Wiener Shows soll Donato dann weiter über Graz mit Vorstellungen im dortigen Thalia-Theater über Brünn/Brno nach Pest gereist sein.[15] Höchste Zeit, weiterzuziehen, denn seine letzte Vorstellung im Theater an der Wien hatte das Haus nicht mehr vollgebracht.[16]

London fatal

Mit seinen Shows und seinem Talent zur Unterhaltung schien Donato nun ein gemachter Mann gewesen zu sein: Ein Ruf nach London lockte:

„Herr Russel, Direktor der Nationaloper in London, hat das bekannte „Einhaxl“ Juliano Donato auf die Zeit vom 26. Dezember 1864 bis 15. Juli 1865 für die kolossale Summe von 180,000 Francs engagirt, wofür derselbe täglich einmal tanzen muß. Die Vorstellungen beginnen im Coventgarden=Theater und werden nach Beginn der italienischen Saison in den Krystallpalast verlegt.“[17] Also der ultimative Ort!

Und dann ist etwas sehr Schönes eingetreten: Als ich gestern ein bisschen etwas zu Donato in den Social Media schrieb, antworteten ein paar begeisterte Leute, legten zum Beispiel Grundzüge für einen Wikipedia-Artikel für ihn an, schauten nun gezielter international noch nach oder trieben sogar die Info auf, dass jemand für Donato einst Musik geschrieben hat: In London widmete ihm der Komponist Louis Rènard seinen Donato Waltz (1865), die Noten zum schönen Deckblatt gibt es noch in der British Library:

Deckblatt "The Donato Waltz" © New York Public Library (gemeinfrei).
Deckblatt „The Donato Waltz“ © New York Public Library (gemeinfrei)

So sah eine Werbung dafür aus. General Tom Thumb und die anderen Leute in dieser Reklame waren Kleinwüchsige, die mit ihren Shows ebenso international tourten. Tom Thumb – der ‚Däumling‘ – trat mit seiner Truppe auch mehrfach im alten Stadttheater am Lauterlech in Augsburg auf:

"The Musical World", 24. Dezember 1864 © Screenshot Susanne Wosnitzka
„The Musical World“, 24. Dezember 1864 © Screenshot Susanne Wosnitzka

Tritt ins Unglück

Und so wurde ihm London zum Verhängnis:

„Juliano Donato, der spanische Tänzer auf einem Beine, ist am 10. Juni in Frankreich, in dem Städtchen Eyragne, gestorben. Derselbe hatte sich in London eine innere Verletzung zugezogen, sein Zustand wurde jedoch von den Aerzten nicht erkannt und er wurde in ganz falscher Behandlung nach Nizza geschickt. Auf der Reise dahin, Anfangs dieses Jahres [1865], beschloß er, einige Tage in Eyragne – woselbst die Bewohner ihm viel Ehren erwiesen haben – zu verbleiben; allein sein Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag und er konnte das Städtchen nicht mehr verlassen. Am 10. Juni um 10 Uhr Abends erlag er in den Armen seiner Gattin, der Schauspielerin Julius, einer Wienerin, seinen Leiden. Das Leichenbegängniß fand am 13. Juni unter einem ungeheuren Andrange von Menschen und in großer Feierlichkeit statt.“[18] Zuvor hatte er noch während eines Aufenthalts von zwei Monaten im Heilbad Eyragues – ca. 16 km von Avignon gelegen – versucht, seine Leiden zu heilen oder zu verbessern und wollte sich nach erfolgter Heilung in Graz niederlassen und von dort in Paris touren.[19]

Jähes Ende einer großen Liebe

Seinem ausführlichen und berührenden Nachruf in der Konstitutionellen Volks-Zeitung nach hatte sich der ehemalige Kunstreiter die innere Verletzung bei einem unglücklichen Tritt durch eine schlecht verschlossene Versenkung zugezogen:

„Vor seinem Tode war er noch so glücklich, in Paris seine Mutter und seinen Bruder, von denen er seit vielen Jahren keine Nachricht hatte, wiederzusehen und sich mit ihnen zu versöhnen [weil er als Kind/Jugendlicher geflüchtet ist]. Sein Vater war bereits vor sieben Jahren gestorben. […] So bot man ihm in Newyork 4000 Dollars für eine Vorstellung und selbst von Australien bekam er Anträge. Nur aus Rücksicht für die Gesundheit seiner Gattin wollte er eine Seereise vermeiden. […] Tausenden hat er Wohlthaten gespendet, besonders liebte er es, die Hütten des Elendes zu besuchen und ihren Bewohnern selbst Nahrungsmittel und Kleidungsstücke zuzutragen. […] Darum hing er aber auch an seiner Gattin mit unbegrenzter Liebe. Sie war sein Alles, auch seine Lehrmeisterin. Von ihr lernte er erst die Elemente des Lesens und Schreibens und er freute sich wie ein Kind, als er heuer im Frühjahre den ersten Brief an seine Schwiegermutter nach Wien schrieb, worin er ihr den Fortschritt seiner Genesung und einen baldigen Besuch anzeigte“ – und ein Buch zu seinem Leben erscheinen sollte.[20]

Juliano Donato mit wahrscheinlich seiner Frau Antonie geb. Julius © Wien Museum, Inventarnummer HMW 53509 (gemeinfrei).
Juliano Donato mit wahrscheinlich seiner Frau Antonie geb. Julius © Wien Museum, Inventarnummer HMW 53509 (gemeinfrei).

Sein Tod muss verheerend gewirkt haben. Abertausende Menschen kamen zu seiner atemberaubenden Beerdigung in Eyragues aus Nah und Fern:

„Ein Zug von 2300 Fackeltragenden, darunter die Maires von Nancy, Montpellier u. s. w., folgten dem auf weißen Tüchern ruhenden Sarge und Jeder, der den Dahingeschiedenen kannte, legte nach Landessitte ein kleines Weiheopfer von Blumen oder Früchten auf sein Grab. Ein roher Marmorblock von dreizehn Centnern Schwere ist sein Denkmal; die eingelegte Metalltafel trägt die Inschrift: Hier ruht Juliano Donato, gestorben im Alter von 27 Jahren, am 19. Juni 1865. Gewidmet von seiner tieftrauernden Gattin.“[21]

Auf sein Grab wurden ein Granatapfelbaum und ein Rosenstock gepflanzt – vielleicht Sinnbilder für ihn, da aus dem Süden stammend, und für seine geliebte Frau als Rose, dort vereint.

Relikte und Fragen

Einem Brief zufolge, den Antonie Donato am 15. Juli von St. Veit bei Wien an die Redaktion der Presse schickte, um richtigzustellen, dass ihr Mann nicht doch lebend in St. Petersburg gastierte, soll er bereits am 11. Juni, also einen Tag nach seinem Tod, bestattet worden sein,[22] was vorbereitungstechnisch aber eher unwahrscheinlich gewesen sein dürfte. Auch durften Tote in dieser Zeit wegen größter Angst vor Scheintod offiziell nicht so schnell unter die Erde gebracht werden.

Friedhof Eyragues © Google Maps (Screenshot Susanne Wosnitzka).
Friedhof Eyragues © Google Maps (Screenshot Susanne Wosnitzka).

Der Friedhof des südwestlich von Avignon gelegenen Eyragues ist nicht sonderlich groß. Falls sich Donatos Grab oder Grabstein dort noch erhalten haben sollte, wäre ich für ein Foto sehr dankbar, sollte es je jemand von Ihnen dort hinschaffen.

Nichtsdestotrotz war er sicherlich ein Vorbild für behinderte Menschen oder Eltern von behinderten Kindern, dass aus diesen ‚Missgeburten‘ und ‚Krüppeln‘, die oft als ‚Strafe Gottes‘ oder bei Angeborenheit misogyn als Fehler der Mutter ausgelegt wurden, doch auch etwas werden konnte. Sollte ich noch mehr zu diesem erstaunenden Mann herausfinden können, werde ich Neues als Update hier einpflegen.

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Einzelnachweise
[1] Mährischer Correspondent, Nr. 189, 5. August 1964, S. 7.
[2] Signale für die musikalische Welt, Nr. 43, 21. Oktober 1864, S. 767.
[3] Tagespost (Graz), Nr. 107, 12. Mai 1864, S. 1.
[4] Augsburger Postzeitung, Nr. 110, 10. Mai 1864, S. 740.
[5] Gemeinde-Zeitung, Nr. 18, 5. Mai 1864, S. 283.
[6] Gemeinde-Zeitung, Nr. 35, 7. Mai 1864, S. 279.
[7] Ludwig Sittenfeld: Geschichte des Breslauer Theaters 1841–1900. Breslau (Preuß & Jünger) 1909, S. 112.
[8] Wiener Theater-Chronik, Nr. 29, 21. Juli 1864, S. 116, und Gemeinde-Zeitung, Nr. 25, 22. Juni 1865, S. 398.
[9] Aussiger Anzeiger, Nr. 31, 3. August 1865, S. 242.
[10] Wiener Theater-Chronik, Nr. 19, 12. Mai 1864, S. 75.
[11] Fremden-Blatt, Nr. 157, 8. Juni 1864, Beilage S. 2.
[12] Fremden-Blatt, Nr. 165, 16. Juni 1864, S. 5.
[13] Gemeinde-Zeitung, Nr. 46, 18. Juni 1864, S. 366.
[14] Tagespost (Graz), Nr. 104, 8. Mai 1864, Beilage S. 3.
[15] Vereinigte Laibacher Zeitung, Nr. 156, 12. Juli 1864, S. 623.
[16] Gemeinde-Zeitung, Nr. 96, 13. Dezember 1864, Beilage S. 3.
[17] Gemeinde-Zeitung, Nr. 90, 22. November 1864, Beilage S. 2.
[18] Signal für die musikalische Welt, Nr. 31, 29. Juni 1865, S. 509.
[19] Konstitutionelle Volks-Zeitung, Nr. 69, 25. Juni 1865, S. 5.
[20] Fremden-Blatt, Nr. 87, 29. März 1865, S. 7.
[21] Ost-Deutsche Post, Nr. 174, 26. Juni 1865, S. 2.
[22] Die Presse, Nr. 198, 20. Juli 1865, S. 5.

Franz Gremsers Altar aus Elfenbein – historische Sensation in Augsburg?

Elfenbein. Der heute im Neuzustand aus Tier- und Artenschutzgründen verbotene Werkstoff war in den vergangenen Jahrhunderten besonders für Kunstanfertigungen kostbarstes exotisches Arbeitsmaterial. Die ältesten bislang bekannten Kunstwerke aus Elfenbein sind die sog. Venus vom Hohlefels und der sog. Löwenmensch (allerdings ohne Mähne), die rund 40.000 Jahre alt sind und die man im Tal der Ur-Donau bei Schelklingen gefunden hatte. Nicht weit davon befindet sich das kleine ehemalige Reichsstädtchen Blaubeuren mit seinem bekannten Blautopf, der auch durch die Erzählung von Eduard Mörike (1804–1875) der darin aus Sexismus heraus verbannten Schönen Lau berühmt wurde, und das ehemalige Kloster, in dem auch Friedrich Hölderlin (1770–1843) sein Abitur ablegte.

Augsburg als Elfenbeinzentrum

Dieses ehemalige Benediktinerkloster ist nicht nur berühmt wegen seiner ehemaligen Bewohner, sondern für seinen 1494 fertiggestellten Hochaltar, deren Figuren in der Werkstatt des Ulmers Michel Erhart (um 1440/45–nach 1522) und wahrscheinlich auch von dessen Sohn Gregor (um 1465–1540) geschaffen wurden. Letzterer war später Bildschnitzer und Steinbildhauer in Augsburg, und Augsburg hatte – neben München und Florenz – einen legendären Ruf als Schöpferin von Elfenbein-Intarsien und ganzer Truhen aus Elfenbein.

Eine der Augsburger Sensationen des 19. Jahrhunderts, die bis zum Erscheinen dieses Blogtexts offenbar komplett vergessen ist, war ein aus Elfenbein gefertigter Altar: Ein Nachbau des berühmten Blaubeurer Hochaltars. Doch wo befindet sich dieser heute? Eine forensisch-geschichtliche Spurensuche beginnt.
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Vilma von Webenau – verwehte Spuren?

Konzertplakat in Wien © Susanne Wosnitzka
Konzertplakat in Wien © Susanne Wosnitzka

Ein Forschungseinblick von Susanne Wosnitzka

Text erstmals veröffentlicht am 30. Juni 2019 unter https://www.jourfixe-muenchen-ev.com/vilma-von-webenau-verwehte-spuren-finden/ als Gastbeitrag für jourfixe München (ursprüngliche Webseite allerdings nicht mehr vorhanden, daher hier noch einmal wiedergegeben)

Die Lebensspuren einer äußerst bescheidenen Frau wiederzufinden ist nicht einfach.[1] Ab 1898 studierte Wilhelmine Eveline Maria von Webenau (1875–1953) – genannt Vilma – beim damals 24-jährigen Arnold Schönberg (1874–1951) als dessen erste bekannte Privatschülerin. Auf seine Einladung folgte sie ihm um 1900 nach Berlin, gab Konzerte in London, lebte zeitweise in München und dann in Wien, wo sie später in drückender Armut starb. Von Schönberg als Komponistin ihrer Zeit geschätzt, ist ihr Name heute in keiner einzigen Schönberg-Biografie als Schülerin/Studentin zu finden. Puzzlestück für Puzzlestück zusammengetragen ergibt sich nun ein Bild mit Potenzial zu Großem: Mehr als 100 Werke Vilma von Webenaus harren in Wien noch ihrer Entdeckung!

Vilma Webenau im Jahr 1927, Fotografie, für den 50. Geburtstag von Arnold Schönberg, © gemeinfrei, Schönberg Center Wien
Vilma Webenau im Jahr 1927, Fotografie, für den 50. Geburtstag von Arnold Schönberg, © gemeinfrei, Schönberg Center Wien

Mit vier daraus ausgesuchten Werken Webenaus begann musica femina münchen e. V. (mfm), diesen unglaublichen und nahezu völlig vergessenen Schatz zu heben – sie erklangen am 3. Dezember 2014 im Rahmenprogramm der Ausstellung Ab nach München! Künstlerinnen um 1900 im Münchner Stadtmuseum als wohl deutsche Erst- oder vielleicht auch als Uraufführungen. Dieses Event, meine Forschungen und Veröffentlichungen stellten den Auftakt dar zu einer daraufhin einsetzenden Nachfrage nach Wissen zu Vilma von Webenaus Leben und Werk. Dieser Blogtext stellt keinen wissenschaftlichen Artikel dar, sondern soll einen Einblick in einen Teil meiner Arbeit geben. „Vilma von Webenau – verwehte Spuren?“ weiterlesen

Gioachino Rossini – Superstar mit Pelz in Weinheim/Bergstraße

Es war einmal ein Mann, der – in Pelz gehüllt – an einem Tag im Herbst des Jahres 1856 im kleinen Weinheim an der Bergstraße (zwischen Frankfurt/Main und Mannheim gelegen) für einen Straßenauflauf sorgte. Eigentlich sorgte nicht der Mann in Pelz für Furore (der niemand Geringeres als der berühmte Komponist Gioachino Rossini war), sondern womit er reiste: Mit der Extrapost, das heißt einer extra schnellen Kutsche mit vier Pferden für geballte Vorwärtskommkraft und mit zwei Postillonen auf dem Kutschbock, die nicht überall hielt.

Hoch auf dem gelben Wagen
Hermann Kauffmann, Extrapost im Schneesturm, ca. 1855 © darkclassics.blogspot.com
Hermann Kauffmann, Extrapost im Schneesturm, ca. 1855 © darkclassics.blogspot.com

In der Zeit der Romantik waren Postkutschen ein beliebtes Motiv von Maler:innen. Solche Kutschen scheinen um 1856 offenbar aber bereits eine Seltenheit gewesen zu sein; erst wenige Jahre zuvor hatten moderne Eisenbahnen damit begonnen, die althergebrachten Reise- und Postkutschen nach und nach zu verdrängen. Zumindest auf den Straßen, die auf den kürzesten Strecken zwischen A und B mit Schienen für das Dampfross versehen wurden. Mit dem Zug kam man schneller und bequemer voran als in einer Kutsche, deren Pferde zudem an den einzelnen Wegstationen ausgetauscht und/oder umgespannt werden mussten. Die Cholera kam dadurch auch schneller von A nach B, aber das ist eine andere Geschichte.

Rossini im Klangrausch?

„Gioachino Rossini – Superstar mit Pelz in Weinheim/Bergstraße“ weiterlesen

Ethel Smyth – Suffragette in München | #femaleheritage

Read this article in English here: Ethel Smyth – a  firecracker in Munich. Thanks to Gabriella Di Laccio to publish it on her website ‚donne – women in music‘ (28, Juni 2021)

Ethel Smyth (1858–1944) war ein Kracher. Sie ließ so gut wie nichts anbrennen, war ihrer Zeit voraus, bewegte sich in höchsten und coolsten Kreisen, war musisch wie schriftstellerisch höchstbegabt, war unglaublich mutig, indem sie sich gegen gesellschaftliche Normen und Frauenhasser stellte und dadurch großartiges Neues schuf, darunter ihr The March of the Women, den sie 1910 für die Treffen und Demos der britischen Frauenwahlrechtskämpferinnen zusammen mit der Poetin Cicely Hamilton (1872–1952) verfasst hatte. Dieser Marsch ist in den letzten Jahren bekannter geworden und wird gerne – weil er so wunderbar eingängig ist – mittlerweile wieder besonders zu Veranstaltungen rund um den Internationalen Frauentag gesungen. Auch im Film Suffragette (2015) konnte man einen Teil davon bei einer nachgestellten Demo hören.


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Leipzig, ick hör dir trapsen

Ethel Smyth, aufgewachsen in einem Vorort von London in einer Familie der gehobenen Mittelschicht, hatte eine deutsche Nanny, die in Leipzig pianistisch ausgebildet worden war und Klein-Ethel Klavierunterricht gab. Es stellte sich schnell heraus, dass Ethel für Musik besonders begabt war. In ihr reifte die Idee, ebenfalls in Leipzig zu studieren. Aber nicht das Klavierspiel, um Interpretin zu werden, sondern um Komponistin zu werden! Das galt damals als ziemlich aussichtslos, da Frauen aufgrund ihres Geschlechts keine Chance hatten, als Kapellmeisterin einen Job zu bekommen. Was mit ein Grund ist, warum Großwerke von Frauen heute kaum bekannt sind – sie konnten ihre Werke eben nicht einfach mit einem Orchester, dem sie vorstanden, einüben und selbstverständlich aufführen.[1] Sie hätten dazu ein Orchester und einen Konzertsaal anmieten und hätten selbst für Werbung etc. sorgen müssen. Emilie Mayer (1812–1883) konnte das eine Zeit lang, weil sie über entsprechendes Privatgeld verfügt hatte – das dann irgendwann aufgebraucht war, sodass weitere Großwerke wohl deswegen zu Lebzeiten nie auf die Bühnen gebracht wurde. „Ethel Smyth – Suffragette in München | #femaleheritage“ weiterlesen

Recycling 1850 – aus Obstkisten werden Särge

In den 1830er/1840er Jahren setzte durch Trockenperioden eine starke Nahrungsmittel- und Holzteuerung ein (was zu organisiertem Abbau von Torf führte). In Augsburg kauften sozial eingestellte Kulturvereine große Holzlieferungen an, um diese an arme Menschen auszuteilen. Das dafür benötigte Geld wurde zum Beispiel durch Benefizkonzerte in der Goldenen Traube erspielt. In jener Zeit wurde verwertet, was zu verwerten war. Recycling spielte von jeher eine große Rolle zum Beispiel in der Verwertung von alter Kleidung, aus der Papier hergestellt wurde.[1]

Durch Seuchen wie die Cholera, „nervöses Fieber“ unbekannter Art und Blattern, die in den 1830er und 1840er Jahren von St. Petersburg bis Paris besonders stark wüteten, hatte man für pietätvolle Bestattungen einen erhöhten Bedarf an Holz. Da dieses rar war, kam man in London auf eine findige Idee, diesem Mangel abzuhelfen: Man wies Händler im nahen Ausland an, ihre Warenkisten bereits in bestimmten Größen und Formen anfertigen zu lassen, die in London dann nur noch schwarz angestrichen werden mussten. Fertig war der Recycling-Sarg!

Recycling gruselhaft
Recycling: Obstkisten zu Särgen
Recycling: Obstkisten zu Särgen

Augsburger Tagblatt, No. 137. Montag 20. Mai 1850, S. 691: „In London hat man in der neuesten Zeit eine eigenthümliche Art ausfindig gemacht, England ohne große Unkosten mit Särgen zu versorgen: London bezieht Obst, Geflügel, Eier und andere Lebensbedürfnisse von Holland, Belgien und Frankreich; seit Monaten haben nun die Londoner Einkäufer ihren „Recycling 1850 – aus Obstkisten werden Särge“ weiterlesen

Wie im Sog

Ethel Smyth bei der Einweihung des Pankhurst-Memorial 1930 © Flickr (allgemeinfrei)
Ethel Smyth bei der Einweihung des Pankhurst-Memorial 1930 © Flickr (allgemeinfrei)

Veröffentlicht am 26. Oktober 2017 

Wie im Sog schaute ich mir diese Bilder auf Flickr an – Suffragetten in Aktion. Eine solche Fülle an Bildmaterial fand ich noch nie an einer Stelle. Darunter auch zwei – rechtefreie – Fotos mit Komponistin Ethel Smyth, die im engsten Kreis der Suffragetten ganz vorne mit dabei agierte.

Eines davon zeigt sie wohl bei einem Päuschen in ihre Ehrendoktorinnen-Robe gehüllt zusammen mit einer kleinen Musikkapelle und Geistlichkeit. Während Flickr dazu nur „Ethel Smyth 1930“ schreibt ohne weitere Informationen, weiß ich, zu welchem Anlass dieses Foto gemacht wurde, weil ich „Wie im Sog“ weiterlesen

Pictures from the past

Ethel Smyth bei der Einweihung des Pankhurst-Memorial 1930 © Flickr (allgemeinfrei)
Ethel Smyth bei der Einweihung des Pankhurst-Memorial 1930 © Flickr (allgemeinfrei)

Erstmals veröffentlicht am 22. Juli 2015 auf Facebook

Ab und zu ergänze ich Wikipedia-Artikel. Immer wieder fallen mir Artikel auf, die eine Überarbeitung oder Ergänzungen brauchen, weil wichtige Daten, Fakten und Zusammenhänge fehlen oder unklar sind. Neulich ist mir wieder solch ein Artikel aufgefallen, der zum Thema das Emmeline and Christabel Pankhurst memorial in London hat. Was in diesem Artikel nicht erwähnt worden war: Dass die Komponistin Ethel Smyth (1858-1944) während der Einweihung des Denkmals zu Ehren der berühmten Frauenrechtlerin (Christabel kam als Figur erst später dazu) am 6. März 1930 die örtliche Polizei-Band dirigierte und ihren The March of the Women und einen Choral aus ihrer Oper The Wreckers dazu dirigierte! Der Marsch war die Hymne der Frauenbewegung.

Ethel Smyth Superstar

Ethel Smyth verfasste mit Zunahme ihrer Taubheit nicht mehr Musik, sondern autobiographische Texte, die einen absolut fantastischen Einblick in das Gesellschaftsleben ihrer Zeit bieten. Sie berichtete darin auch über Emmeline Pankhursts Verzweiflung im Holloway-Gefängnis: Als quasi Anführerin der Suffragettenbewegung war sie ständig im Fokus von Polizei und Ordnungsdiensten und wurde während Demonstrationen mehrmals verhaftet. Wie so viele ihrer Mitstreiterinnen ging sie in Hunger- und Durststreik, um mit noch größerem Eindruck das Frauenwahlrecht zu erwirken. Emmeline Pankhurst erzählte Ethel Smyth von ihren dunkelsten Nächten dort: „Pictures from the past“ weiterlesen

Sehen im Nicht-Sehen

Maria Theresia Paradis. Zeichnung von F. Parmantié, 1784. © Wikimedia.Commons (allgemeinfrei)
Maria Theresia Paradis. Zeichnung von F. Parmantié, 1784. © Wikimedia.Commons (allgemeinfrei)

Erstmals veröffentlicht am 4. April 2016 auf Facebook

Inspiriert durch den Versuch einer Facebook-Followerin, einer blinden jungen Frau zu erklären, wie Sterne aussehen oder wie sie sich anfühlen können, habe ich mich an eine Begebenheit der blinden Komponistin Maria Theresia Paradis erinnert, die durch magnetische Behandlung plötzlich die Sterne sehen konnte, aber den Klang ihrer Musik verlor.

Ich erzähle eine Geschichte von ihr: Es war einst ein kleines Kind, das ein ganz furchtbares Erlebnis gehabt haben musste, denn es wurde über Nacht blind. Man erzählte, es sei ein Feuer gewesen, das sie erschreckt habe, aber vermutlich war es Missbrauch: Ihre Augen verdrehten sich nach innen, sodass es absolut dunkel um sie wurde. Bald darauf stellte man fest, dass sie eine wunderbare Begabung für die Musik hatte und fantastische Melodien auf dem Klavier spielen konnte. Sie erhielt regelmäßig Unterricht und wurde zu einer Sensation, die auch eine Art Rente vom Kaiserhaus bekam. Manchmal spielte sie auch Orgel in einer der Wiener Innenstadtkirchen.

Karriere

Und Maria Theresia Paradis schrieb gern: Eigene musikalische Werke und Briefe an Menschen, die sie über Gespräche und sonstigen Austausch in privaten „Sehen im Nicht-Sehen“ weiterlesen

Vilma von Webenau (1875–1953) | Vortrag

Die Lebensspuren einer äußerst bescheidenen Frau wiederzufinden ist nicht einfach. Ab 1898 studierte Vilma von Webenau (18751953) beim damals erst 26jährigen Arnold Schönberg als dessen erste Privatschülerin. Bereits ihre Großmutter Julie von Webenau (18131887) war kompositorisch tätig: Diese hatte bei Franz Xaver Wolfgang Mozart (17911844) Komposition studiert. Julies Mutter Josephine Baroni-Cavalcabò wurde dessen Geliebte und Alleinerbin. Ob aus dieser Verbindung heraus Julie entstand, ist fraglich, aber möglich. Professionellen Klavierunterricht erhielt sie bei Cäcilie/Cäcilia Frank (1851–1936?) in Wien. Auf Schönbergs Einladung folgte ihm Vilma von Webenau um 1900 von Wien nach Berlin und gab um diese Zeit auch gefeierte Konzerte in London. Eine Zeit lang arbeitete sie in München als Musikpädagogin und folgte Schönberg zurück nach Wien, wo sie später in drückender Armut starb. Von Schönberg als Komponistin geschätzt, ist ihr Name heute in keiner einzigen seiner zahlreichen Biografien zu finden.

Vilma von Webenau – Rätselhaft

Puzzlestück für Puzzlestück zusammengetragen ergibt sich – vorsichtig gezeichnet – ein Bild mit Potenzial zu Großem: Mehr als 100 Werke harren in Wien ihrer Entdeckung! Mit vier Werken Webenaus begann ich in Kooperation mit musica femina münchen e. V., diesen unglaublichen Schatz zu heben. Mittlerweile wurde vom Certosa-Verlag begonnen, diese eindrucksvollen Werke herauszugeben.

Verwehte Spuren?

Am 3. Dezember 2014 erklangen mehrere Kammermusikwerke rund 100 bis 80 Jahre nach ihrer Entstehung als wohl deutsche Erstaufführung in einem Vortrag mit Konzert im Rahmen der großen Sonderausstellung Ab nach München! Künstlerinnen um 1900 im Münchner Stadtmuseum, zusammen mit einem Vortrag von mir. Mit welch archäologischer Akribie in einem solchen Fall von teils fehlenden oder verborgen gehaltenen Grundlagen vorgegangen werden muss, zeige ich darin auf.

Derzeit bin ich eine von zwei bekannten Webenau-Forscherinnen weltweit. Meine bisherigen Forschungsergebnisse können Sie hier nachlesen (weitere Publikationen in Vorbereitung):

Susanne Wosnitzka: Vilma Weber von Webenau – verwehte Spuren?, in: Archiv Frau und Musik Frankfurt/Main (Hg.): VivaVoce Nr. 99, 2/2014, S. 2–5.
Susanne Wosnitzka: „Gemeinsame Not verstärkt den Willen“ – Netzwerke von Musikerinnen in Wien, in: Annkatrin Babbe und Volker Timmermann (Hg.): Musikerinnen und ihre Netzwerke im 19. Jahrhundert. Oldenburg 2016 (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts (Hg. Freia Hoffmann), Bd. 12). ISBN 978-3-8142-2338-4.
Susanne Wosnitzka: Vilma von Webenau – verwehte Spuren finden, in: Gaby dos Santos/Kulturplattform jourfixe-muenchen e. V. (Hg.): Online-Blog, veröffentlicht am 30. Juni 2019, https://www.jourfixe-muenchen-ev.com/vilma-von-webenau-verwehte-spuren-finden (Stand: 1. Juli 2019).

Links:
QWIEN – Ankündigung Festkonzert mit Vortrag Schloss Schönbrunn (17. Mai 2018), Susanne Wosnitzka (Vortrag)
mdw_Universität für Musik und darstellende Kunst Ankündigung Festkonzert mit Vortrag Schloss Schönbrunn (17. Mai 2018), Susanne Wosnitzka (Vortrag)

Hörbeispiel:
Vilma von Webenau, Befreiung


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Kosten:
VB (einzelne Vorträge ca. 90 Minuten; Anreise/Übernachtung exklusive)

Ideal für Kulturzentren, Firmenfeierlichkeiten, private Feste wie Geburtstage etc. – beschenken Sie einen Freund/eine Freundin oder Ihre Kundinnen und Kunden mit einem Vortrag aus meinem Repertoire | Hausvorführungen möglich – Beamer und weitere technische Gerätschaften vorhanden

Ethel Smyth (1858–1944) | Vortrag

Ethel Smyth (18581944): Suffragette, Komponistin, Schriftstellerin, Lesbe – Schöpferin des legendären The March of the Women, die – von Clara Schumann beeindruckt – in Leipzig Komposition studierte, von Johannes Brahms und Gustav Mahler aber als ‘Schrulle’ abgetan wurde. Einer ihrer großen Lieben, Pauline Trevelyan, widmete Ethel Smyth ihre spektakuläre Messe in D, zu der sie in München inspiriert wurde. Mit Emmeline Pankhurst, dem Flaggschiff der ersten Frauen(wahl)rechtsbewegung, demonstrierte sie um 1910 für die Rechte der Frauen, wurde eingesperrt und dirigierte selbst noch im Gefängnis ihren The March of the Women, der sogar zum Lebensretter von Emmeline Pankhurst wurde!

Ethel Smyth – Superstar

Nach dem Ersten Weltkrieg und einer Odyssee durch Europa und Ägypten bemerkte Ethel Smyth erste Anzeichen einer späteren nahezu völligen Ertaubung. In England lernte sie Virginia Woolf zu einer Zeit kennen (und lieben), in der sich auch die berühmte Schriftstellerin Gedanken um die Emanzipation der Frau machte. Mit ihren Opern und Kammermusikwerken und als Autobiographin setzte Ethel Smyth Marksteine. Heute gilt sie als einzige Komponistin Englands, die – trotz Anfeindungen – in einer Zeit erfolgreich war, in der Frauen in ‘Männerdomänen’ so gut wie noch keine Lobby hatten. Dieser Vortrag ruft die Bedeutung der “Felsensprengerin, Brückenbauerin und Wegbereiterin” (Virginia Woolf an Ethel Smyth), die Entstehungsgeschichte des The March of the Women und die frühe Lesben- und Frauenbewegung ins Gedächtnis. Ideal v. a. für Veranstaltungen rund um den Internationalen Weltfrauentag am 8. März! Wir singen den Marsch selbst!

Hörbeispiel:
Ethel Smyth, Mass in D (1891) – Hören Sie sich insbesondere ihr eindrucksvolles Gloria an, das sie an den Schluss der Messe setzte der enormen Prächtigkeit wegen (44:49):


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Kosten:
VB (einzelne Vorträge ca. 90 Minuten; Anreise/Übernachtung exklusive). Diesen Vortrag habe ich für verschiedene Situationen in verschiedener Ausführung parat: Einen ausführlichen biografischen Überblick samt ihren Werken und LIebshaften | Ethel Smyths Bedeutung in der Suffragettenbewegung | Ethel Smyth Leben mit eher München-Bezug.
Ein Vortrag über Ethel Smyths Hunde fehlt noch…

Ideal für Kulturzentren, Firmenfeierlichkeiten, private Feste wie Geburtstage etc. – beschenken Sie einen Freund/eine Freundin oder Ihre Kundinnen und Kunden mit einem Vortrag aus meinem Repertoire | Hausvorführungen möglich – Beamer und weitere technische Gerätschaften vorhanden