Schädelschicksale

Barthel Bruyn, "Vanitas", 16. Jh. © Wikimedia.Commons (allgemeinfrei)
Barthel Bruyn, “Vanitas”, 16. Jh. © Wikimedia.Commons (allgemeinfrei)

Was haben Franz Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart und Friedrich Schiller gemeinsam? Sie waren deshalb so genial, weil sie gleich zwei Schädel hatten. Alter Witz, aber noch immer für ein Verblüffen gut. Dabei ist das gar nicht so lustig, sondern wirklich so. Anknüpfend an einen meiner alten Blogs komme ich endlich mal dazu, über dieses interessante Thema zu schreiben – wer heutzutage Schädelweh hat, wurde vielleicht in einem vorigen Leben Opfer des berühmt-berüchtigten Dr. Franz Joseph Gall (1758–1828). Jedenfalls: all diese Herrschaften – und vielleicht ein paar Unbekannte mehr – waren A-Promis. Und daher begehrte „Ware“.

Faszination und Grauen

Um 1800 verbreitete sich eine Pseudo-Wissenschaft, die ihren traurigen Höhepunkt in der „Rassenlehre“ der Nationalsozialisten erlebte: Die sog. Phrenologie (Schädellehre), die der im Badischen geborene Dr. Gall von Wien aus verbreitete. Die Gehirnwindungen und Ausbuchtungen würden sich seiner Theorie nach auf den Schädel übertragen – somit würden die geistig-charakterlichen Eigenschaften auch rein äußerlich am Schädel abzulesen sein.

Ein riesen Boom setzte ein, für den sich sogar Goethe begeistern ließ. Kaiser Franz II. fand diese Idee im wahrsten Sinne des Wortes hirnrissig, verbotderartige Gesellschaften und ließ Dr. Gall sogar 1805 aus Österreich ausweisen. Dieser ließ sich daraufhin in Paris nieder und trieb dort weiter sein Unwesen, denn er und seine Schüler waren scharf auf immer neuen Schädelnachschub – bald schreckten sie auch vor Grabschändungen nicht mehr zurück.

Schädelschicksale

Auch Shakespeare hat keinen Kopf mehr: Dieser wurde 1794 vom Friedhof gestohlen und gilt seither als verschollen. Den echten Schädel Mozarts (der „falsche“ befindet sich im Salzburger Mozarteum) nahm wohl der Totengräber 1801 an sich, als er das mehretagige Schichtgrab ausräumte. Mozarts Grab war nämlich – entgegen der Darstellungen in Film und auch so mancher Literatur – keineswegs unbekannt. Aber das ist eine andere spannende Geschichte. 1809 verlor Haydn nur wenige Tage nach seiner Bestattung den Kopf – geklaut von einem Gall-Schüler! Das kam aber erst 1820 zu Tage, als Fürst Esterházy (sein ehem. Arbeitgeber) den berühmten alten Herrn nach Eisenstadt umbetten lassen wollte:

„Der Fürst war anwesend. Als die Überreste Haydns das Sonnenlicht erreichten, sah man, dass sie aus Knochen, Kleidern und des Meisters bekannter Perücke bestanden – der Kopf aber fehlte! Wo war der Kopf? Der Fürst beschämt und erzürnt über seine Blamage, die wie er glaubte, ihm angetan sei, verließ den Friedhof und übergab die Sache der Kriminalpolizei.“

Schädel-Stationen

Über die Abtrennung des Kopfes und dessen Verbleib kursierten die fürchterlichsten Geschichten. Gestohlen hatte ihn der Gall-Schüler Rosenbaum, der nach den Verhören einen „echten“ Haydn-Schädel zurückgab, der nach Eisenstadt gelangte. In Wirklichkeit war dies aber der falsche Schädel, denn den echten wollte Rosenbaum natürlich nicht herausrücken. Über zig Stationen fand der echte Haydn-Schädel erst 1954 (!) ins richtige Grab.

Friedrich Schillers Haupt besteht hingegen noch immer aus zwei Köpfen, denn bis heute hat man noch nicht herausgefunden, welcher der echte ist: zu Rate zog man verschiedene Bilder und Grafiken, die den Dichter zeigten. Man modellierte beide Schädel nach, kam aber trotzdem zu keinem Schluss. Warum passt auch der Beethoven-Schädel nicht zur echten Totenmaske? Warum wurde der Schädel der Heiligen Birgitta (ihre Leiche wurde nach ihrem Tod ausgekocht und dann erst verschickt) 1645 gestohlen? Warum ist Napoleon Buonaparte nicht verwest? Wie wurden die Gebeine der russischen Zarenfamilie Romanow identifiziert? Ironie des (Schädel-)Schicksals: auch Dr. Galls Schädel landete nach seinem Tod in seiner eigenen Sammlung!

Also: Bloß nicht den Kopf verlieren!

Buchtipp:
Herbert Ullrich: Schädel-Schicksale historischer Persönlichkeiten. München 2004.

Text erstmals veröffentlicht am 23. Juli 2013 auf Facebook