Um 1850 existierten einige wenige fest eingerichtete Zoos und Tierparks wie z. B. der 1752 in Wien gegründete Tierpark in Schönbrunn, seit 1844 der Zoologische Garten Berlin oder der 1828 gegründete Londoner Zoo. Renner in dieser Zeit waren Menagerien, die von Stadt zu Stadt zogen und mit ihrem Angebot an exotischen Tieren (oder denen, die man dazu erklärte) und auch Menschen, die als „Sensation“ galten wie Schwarze und „behinderte“ Menschen, für großen Publikumsandrang sorgten. Was als „Völkerschauen“ deklariert war, war in Wirklichkeit ein grässliches Zurschaustellen kolonialer Menschenraube. Oft waren solche Zoos und Menagerien allerdings auch die einzige Möglichkeit für solche Menschen, überhaupt etwas Geld zu verdienen.[1]
Drinnen und draußen – Menagerien überall
Solche Menagerien machten auch in Augsburg Station – Nachrichten aus historischen Tageszeitungen zeugen davon. Schauplätze waren z. B. die Goldene Traube in Augsburg, die über entsprechend große Säle nicht nur für große Feste und Konzerte, sondern auch für Vorführungen wie Wachsfigurenkabinette, „Freakshows“ und andere Ausstellungen verfügte. Für exotische Tiere und Aktionen, die größere Flächen benötigten, eigneten sich besonders der „Schießgraben“ und auch die Maximilianstraße. Der Schießgraben war ein langgezogener Platz vor den damaligen Augsburger Stadttoren (heute Konrad-Adenauer-Allee), in dem ab 1695 die Armbrust- und Handbogenschützen trainierten.[2] Die Maximilianstraße gilt bis heute als Prachtstraße im Herzen Augsburgs.
Mit Napoleons Siegen in Europa wurden auch Kunstschätze aus den besiegten Ländern unter unfassbar großem logistischem Aufwand nach Paris transportiert und – nach Napoleons Sturz in einigen Fällen wie z. B. der Quadriga vom Markusdom in Venedig – wieder zurück.[3] So erging es auch Tieren aus dem Schönbrunner Zoo, die – einer Verlautbarung nach – 1809 nach Paris verbracht werden sollten, die Ende Oktober 1809 dort auch angekommen waren: Zwei Löwen, ein Kasuar und „Kangourus“ sowie „ein seltenes Beutelthier“.[4] Im Herbst 1809 wurde auch ein Elefant „männlichen Geschlechts“ über Straßburg nach Paris verbracht: „Seine Höhe beträgt 11 Fuß, und sein Vaterland ist die Insel Ceylon. Täglich wird er dreymal regelmäßig mit Brod, Kartoffeln, gelben Rüben, Heu, Reis etc. gefüttert. Zu seinem Gesellschafter hat er einen Hund, den er sehr liebt. Er ist 15 Jahre alt, ganz zahm […]“.[5]
Baboi – vergessenes Affenschicksal
Um 1818 gastierten die Herren Simonelli und Joh. Chiesa im Schießgraben und listeten in ihrer Zeitungsreklame auf, was sie alles im Gepäck dabei hatten: „1) Eine Löwin, 2) einen Tieger, 3) einen Leopard, 4) einen afrikanischen Baribal, 5) einen jungen großen Barbaro, 6) eine Familie kleiner Kapuziner, 7) eine Familie afrikanischer Affen, 8) zwey Ratzen aus dem nördlichen Amerika, 9) zwey bisher, sogar in der Naturgeschichte des Herrn Buffon, unbekannte Affen, 10 ) ein artiger kleiner A[]oke aus Denal, 11) vier Mandrillen, 12) der Quadrill aus Indien. NB. Ein Affe, Namens Baboi, aus Ostindien, hat am 28. März in Frankfurt einen Jungen zur Welt gebracht, es ist der erste welcher in Europa gebohren worden ist.“[6]
Hin und wieder sind nicht nur Theater abgebrannt mit vielen hundert Todesfällen, sondern auch Menagerien wie die des Kunstreiters Blondin, der schon in den 1820er Jahren sein Geschäft in Frankfurt/Oder amtlich angemeldet hatte[7]: „Die große Menagerie des berühmten Kunstreiters Blondin ist am 20. Febr. zu Braunschweig ein Raub der Flammen geworden. Nur ein einziger Affe und einige Papageyen sind gerettet worden. Einen herrlichen Löwen und seine Löwin, eine Hyäne, einen Eisbär, ein Zebra, einen Tschakal und die meisten Affen und Vögel fand man noch in ihren Käfigen, wahrscheinlich gleich vom Dampfe erstickt, unter dem Schutte. Ein Gelehrter zu Braunschweig soll die Thiere zu zootomischen Untersuchungen an sich gekauft haben. […]“[8]
Von starken Männern und Dompteurinnen
1826 tingelte auch Johann Karl Stark, der als Prenzlauer Herkules „das Publikum täglich mit abwechselnden, sehenswürdigen Künsten zu unterhalten bemüht“ war, durch Augsburg.[9]
Bei meinen Recherchen stieß ich auch auf ein wohl bislang unbekanntes Bild einer Dompteurin, die im Sommer 1850 in Augsburg und gerade als Frau in diesem Metier als Sensation galt: Sie reiste mit Gottlieb Christian Kreutzberg (1810/14–1874), der 1849 eine bereits existierende Menagerie übernommen hatte, weitere exotische Tiere von einem Londoner Tierhändler erwarb und auch Kunde von Carl Hagenbeck war.
Eine Besonderheit von Kreutzbergs Menagerie bestand in den Auftritten von Dompteurinnen im Löwenkäfig: „So engagierte er die Tochter eines dänischen Zauberkünstlers und eine Sängerin aus Stockholm für diese Partie. Die ‚siebzehnjährige Schwedin‘ mit Namen Cäcilie Nicolai wurde so erfolgreich, dass Kreutzberg auch seine Tochter Emilie in dieser Rolle auftreten ließ, bis diese von einer Hyäne gebissen wurde und ihre Dompteusenkarriere beendete.“[10]
Historische Zeitungen als Wissenswunder
Die in der Augsburger Postzeitung aufgefundene Abbildung zeigt eine von drei Hyänen umgebene Frau in einem Auftrittsdress: Zwei Streifen- und eine Tüpfelhyäne. Die dazugehörende Zeitungsanzeige erzählt, dass diese Menagerie zu dieser Zeit offenbar zum niederländischen Königshaus gehörte und Madame Kreutzberg – also gar Kreutzbergs Frau selbst, zu der bislang keinerlei Information vorliegt – „mit einem lachenden Lamm in den Käfig der gefährlichen Raubthiere die schwersten, bis jetzt in keiner Menagerie von einer Dame gezeigten Exercitien“ ausführte.[11]
Zuckerbrot und Peitsche
Heinrich Leutemann stellte solch eine ungenannte Dompteurin auch in einem Kupferstich dar, in dem sie in einem ähnlichen weißen Kleid, einem schwarzen Oberteil mit Puffärmeln und einer Art weißen Schärpe peitschenschwingend in einem Käfigverschlag versucht, die „wilden Tiere“, die offenbar versuchen, sie anzugreifen, in den Griff zu bekommen: Ein Löwe, Raubkatzen und Tüpfelhyänen. Gottlieb Christian Kreutzberg selbst steht nicht weit von ihr lässig an eine Art Podest mit einem brüllenden oder fauchenden Löwen darauf in der Ecke gelehnt und scheint von der ganzen Situation völlig unbeeindruckt zu sein, während sich die Tiere auf engstem Raum gegenseitig angeifern und offenbar völlig ungezähmt scheinen.[12]
Wissen sichtbar machen
Kreutzbergs Menagerie, mit der er 1850 in Augsburg gastiert hatte, ging 1859 bei einem Schifffahrtsunglück teils oder in Gänze „verloren“: Durch ein Leck, das Wasser ins Boot laufen ließ, wurde das Schiff so schwer, dass man „sämmtliche Thiere mit ihren vergitterten Kästen über Bord“ hatte werfen müssen.
Viele weitere Schicksale und Geschichten von Dompteurinnen und anderem „fahrendem Volk“ finden sich bei Stefan Nagel, der sein großes Wissen in seiner Arbeit Schaubuden – Geschichte und Erscheinungsformen online anbietet.
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Einzelnachweise:
[1] Helene Heise: Menschen im Wildgehege. Zoo-Spektakel im Kaiserreich, in: Spiegel online, Artikel vom 4. Februar 2009 (Stand: 25.11.2019).
[2] Wolfram Baer: Art. Schießgraben, in: Günther Grünsteudel u. a. (Hg.): Augsburger Stadtlexikon. Online-Artikel. Augsburg 1998 (Stand: 25.11.2019).
[3] Ernst Busche: Wie im Leben schnaufend. Ausstellung in Berlin Die Pferde von San Marco, in: Zeit online, Artikel vom 26. März 1982 (Stand: 25.11.2019).
[4] Augsburger Odinari Postzeitung, Nro. 232. Donnerstag, den 28. Sept. Anno 1809, S. 1, Nro. 265. Montag, den 6. Nov. Anno 1809, S. 2, sowie Nro. 303. Mittwoch, den 20. Dez. Anno 1809, S. 1.
[5] Augsburger Ordinari Postzeitung, Nro. 253. Montag, den 22. Okt. Anno 1810, S. 3.
[6] Augsburgische Ordinari Postzeitung, Nro. 159. Samstag, den 4. Jul. Anno 1807, S. 4. Ob in älteren Menagerien wie z. B. im Schönbrunner Tiergarten schon weit vorher Affen gehalten wurden, die sich ggf. vermehrten, wäre herauszufinden. Entweder wurde dieser Umstand aus Unwissen angenommen oder aus Sensationsheischung.
[7] blha Brandenburg, Akten (Stand: 25.11.2019).
[8] Augsburgische Ordinari Postzeitung, Nro. 55. Montag, den 5. März. Anno 1821, S. 3.
[9] Zu Johann Karl Stark (evtl. Pseudonym), der möglicherweise als einer der „stärksten Männer der Welt“ auftrat, fehlt weitere Forschung.
[10] Wikipedia/Wikiwand: Art. Gottlieb Christian Kreutzberg (Stand: 25.11.2019) sowie Kreutzberg’s Menagerie (Stand: 26.11.2019).
[11] Augsburger Postzeitung = Nachfolgerin/Weiterführung der Augsburgischen Ordinari Postzeitung, No. 160. Montag, den 8. Juli 1850, S. 640.
[12] Heinrich Leutemann: Dompteurin in Kreutzbergs Menagerie. Wikimedia.Commons (gemeinfrei).
3 Gedanken zu „Menagerien – Reisende Sensation und Grausamkeit. Funde in historischen Augsburger Zeitungen“
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