WAB, G, BWV, L, B, HWV, D, HWV & HLV – HEGDL!

WAB, G, BWV, L, B, HMV, D, HWV und HLV – HEGDL*! Neusprech, Sprachunfälle oder Geheimcodes? Letzteres! Falls Ihnen diese Buchstaben-Abfolgen schon mal irgendwo aufgefallen sind, Sie sich aber keinen Reim drauf machen konnten. Es sind Abkürzungen von Werkverzeichnissen in der Musik!

WAB = Werkverzeichnis Anton Bruckner, G = Luigi Boccherini, L = Claude Debussy, B = Frédéric Chopin, HWV = Georg Friedrich Händel, D = Franz Schubert, HWV = Fanny Hensel Werkverzeichnis, HLV = Fanny Hensel Liedverzeichnis.

Köchel-Verzeichnis Deckblatt © wikimedia.commons CC BY-SA Mateus2019
Köchel-Verzeichnis Deckblatt © wikimedia.commons CC BY-SA Mateus2019

Wir kaufen ein D

What? Warum soll D für Franz Schubert stehen? Da ist doch gar kein D in seinem Namen drinne?! Manche Werkverzeichnisse wie bei BWV sind auf den Komponisten gemünzt, damit es sofort klar ist, um was es geht. Es war eine immens nerdige Aufgabe, solch Werkverzeichnisse überhaupt zusammenzutragen. Das kam im Zuge des sogenannten Geniekults auf, der kurz nach Mozarts Tod einsetzte und ein neues Feld in der Musikwissenschaft ansetzte, auch mit dem Ehrgeiz verbunden, herauszubekommen, was das erste und was das letzte Werk eines Komponisten war.

Ich schreibe hier zunächst im Maskulinum, weil das alles einst nur auf die Werke von Männern ausgerichtet war, weil man in diesen frühen Zeiten noch glaubte, dass nur Männer zu solchen Geniestreichen fähig gewesen wären. Für die Werke von Frauen hat man sich deshalb nicht interessiert. Frauen waren für diese Art Forschung aber immens wichtig: Ohne sie wäre nämlich das Zusammenhalten der Werke oft gar nicht möglich gewesen. So hat zum Beispiel Clara Schumann auch die Werke ihres Mannes Robert zusammengehalten und herausgegeben. Ohne ihre Arbeit und Aufführungen würden wir die meisten seiner Werke gar nicht kennen.

Frauen in der ersten Reihe

Constanze Mozart hat die Werke ihres Mannes zunächst zusammengehalten und erst um 1800 aus Geldmangel verkauft – an den Musikverleger André, der damit 1841 ein Werkverzeichnis mit dem Vorhandenen erstellte. Ludwig von Köchel hat sich aber noch akribischer damit befasst und 1862 ein neues Verzeichnis erstellt, das fortan seinen Namen trug als Ehre für diese immens wichtige Arbeit. Im Lauf der Forschung kamen dann durch weitere Auffindungen Einschübe hinzu:

So gibt es ein KV 206 (Marsch in D-Dur), KV 207 (Violinkonzert) und ein KV 206a (Cellokonzert). Bei Letzterem fand man heraus, dass es nach dem bereits bestehenden KV 206 und vor dem bereits bestehenden KV 207 entstanden ist. Daher dann diese Ausweichlösung mit dem ‘a’. Es gibt diverse Restaurants mit Musikbezug, die ihre Speisekarte ‘Köchelverzeichnis’ nennen. Da freut man sich dann immer beim Essen.

Ein vollständiges BWV zu erstellen war nur möglich, weil in Berlin ein Johann Sebastian Bach’scher Superfan saß, nämlich Anna Amalia von Preußen, Schwester des ‘Alten Fritz’ und selbst Komponistin. Sie sammelte alles, was sie zu Johann Sebastian Bach in die Finger bekommen konnte und wies in Berliner Dialekt Widmungen von Werken moderner Komponisten wie Christoph Willibald Gluck als ‘neumodischen Scheiß’ zurück.

Nr. 1 ≠ Nr. 1

Nicht immer muss ein Opus 1 auch die allererste Komposition sein, denn in alter Zeit war es üblich, dass mit Opus 1 das allererste gedruckte Werk gemeint war. Beethoven hat seine handgeschriebenen Sachen nach Druck nicht mehr beachtet. Für ihn war das dann Makulatur und Altpapier ohne Wert. Fans haben sich dann daraus bedient, und vielleicht wurde erst dadurch ermöglicht, dass sein verschollenes Oboenkonzert gegen widriges Wissen auf Reisen gehen konnte und unter anderem in Augsburg gespielt wurde, was ich vor 2 Jahren auf teils verbotenen Wegen herausfinden konnte. Der Schlüssel, um das Original oder Abschriften wiederzufinden?

Von Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy haben sich rund 450 Kompositionen erhalten, die über viele Jahrzehnte niemanden interessiert haben. Eva Rieger fand sie Anfang der 1980er Jahre in der Mendelssohn-Sammlung in Berlin achtlos auf einem Stuhl aufgeschichtet, ohne jeglichen Schutz. Barbara Heller, Elke Mascha Blankenburg – Mitgründerinnen des Archivs Frau und Musik – haben sich dann daran gemacht, auch ihr Werk zu untersuchen, einzuordnen, zu drucken und wiederaufzuführen. Eine unglaubliche Pionierinnen-Arbeit!

Erst im Jahr 2000 konnte Renate Hellwig-Unruh durch diese Vorarbeit das erste Fanny-Hensel-Verzeichnis herausgeben. Kurze Zeit später hat man eines zu Clara Schumann zusammengetragen; es hat allerdings bis heute keinen ‘richtigen’ Namen oder keine Abkürzung CSWV würde ich hier vorschlagen. In diesem Portal findet sich Clara als junges Mädchen ganz rechts im Headerbild.

Nachhaltigkeit benötigt

Sie sehen: Zu Komponistinnen gibt es erst seit rund 50 Jahren fundierte Forschung; es gibt also jede Menge aufzuholen. In Tübingen wurden beim diesjährigen Komponistinnen-Festival (29. September bis 8. Oktober 2023) mehrere Lieder Josephine Langs aus der Zeit um 1850 ur(!)aufgeführt. Sie hat noch gar kein fixes Werkverzeichnis. Arbeit ohne Ende, die sich lohnt. Arbeit, die diese Arbeit von verstorbenen Frauen ehrt. Weil es nicht einfach Werke von Frauen sind, sondern weil sie es wesentlich schwerer hatten, ihre Werke überhaupt zu schreiben und zu veröffentlichen. Und: Weil es genauso GUTE MUSIK ist!

P.S.: Eine Liste mit Werkverzeichnissen (unvollständig) finden Sie hier. Dort können Sie herausfinden, wofür das D bei Franz Schubert steht.

* HEGDL hingegen ist eine Abkürzung aus der Jugendsprache und bedeutet Hab Euch Ganz Doll Lieb