Wer waren die größten Schweizerinnen der 1850er Jahre? Da gab es zum Beispiel Wilhelmine von Hillern (1836–1916) – Tochter der höchst erfolgreichen Dramatikerin und (zugereisten) Züricher Theaterdirektorin Charlotte Birch-Pfeiffer (1800–1868) –, die zuerst als Schauspielerin agierte, sich aber nach ihrer Hochzeit von der Bühne verabschiedete (oder verabschieden musste) und der Schriftstellerei zuwandte. Deren heute bekanntestes Werk ist die vielfach verfilmte und legendäre Geier-Wally.
Groß, größer, am größten
Oder auch Anna Susanna Fries (1827–1901, kein Link, da leider noch kaum Informationen im Netz) aus Zürich, die sich trotz des Widerstandes ihres Vaters der Kunst widmete und an den Kunstschulen in München und Paris und dann bei einzelnen Malern in Zürich studierte. Mitte der 1850er Jahre ließ sie sich als Porträtistin in ihrer Heimatstadt nieder und malte u. a. die weltbekannte Schriftstellerin Johanna Spyri (Heidi, 1827–1901) – auch diese eine der größten Schweizerinnen. Durch den Auftrag, die niederländische Königin und deren Hof zu porträtieren, arbeitete Anna Susanna Fries für zwei Jahre in Holland. In Florenz gründete sie Anfang der 1870er Jahre eine Kunstschule für Frauen, in der sie zwölf bis zwanzig Schülerinnen hatte. Nach einer Reise in den Orient malte sie besonders auch Landschaften und Figuren. Ihre eigentliche Stärke aber war die Porträtmalerei.[1]
Seltene Angaben
So weit, so groß. Aber wer waren denn nun die wirklich größten Schweizerinnen der 1850er Jahre? In ganz, ganz seltenen Fällen kann man das nämlich auch auf die pure Körpergröße anwenden, sofern sich Angaben zu Körpergrößen von Menschen aus dieser Zeit überhaupt erhalten haben.
Einer dieser Fälle kam heute während meiner Recherchen in einer historischen Augsburger Tageszeitung zu Tage. Darin wurden zwei Schweizer Schwestern als wandelnde Riesensensation angekündigt mit folgenden Worten:
„Im großen Saale des Gasthofes zur „goldenen Traube“ sind nur 3 Tage lang Mittwoch, Donnerstag und Freitag den 3., 4. und 5. März und nicht länger
Die größten Schweizerinnen
Maria und Agathe Schubiger, vom Canton St. Gallen, erstere 22 Jahre alt, 6 Fuß 8 Zoll hoch, letztere 19 J[ahre]. alt, 6 Fuß 4 Zoll hoch zu sehen. Dieselben haben bereits alle größten Städte Europas durchreist und sind überall als eine große Naturseltenheit anerkannt und bewundert worden; besonders haben sie in Paris, Leipzig, Bremen, Hamburg und Berlin den ungetheiltesten Beifall gefunden. Beide sind der Deutschen, Französischen und Italienischen Sprache mächtig. Eintrittspreis: Erster Platz 12 kr. Zweiter Platz 6 kr. Kinder die Hälfte. Der Zutritt ist von Morgens 7 bis Abends 10 Uhr. Um zahlreichen Besuch bitten
Die größten Schweizerinnen.“[2]
Umrechnen
Fuß und Zoll. Damit rechnen wir heute nicht mehr. Laut einer Tabelle zu historischen Größen, Volumen und Gewichten hatte ein Augsburger Fuß 29,62 cm. Ein Zoll waren ca. 2,62 cm. Wenn man nun also die historischen Größenangaben umrechnet, dann war Maria 1,99 Meter und Agathe 1,88 Meter groß gewesen.
Auch im Würzburger Anzeiger vom 4. Januar 1858 finden sich Größenangaben der Schwestern Schubiger, allerdings davon abweichend mit 7 Fuß 5 Zoll (Maria) und 7 Zoll (Agathe). Hier muss man allerdings die für Würzburg gültigen Größenangaben berücksichtigen. Aus dem Würzburger Anzeiger lässt sich auch entnehmen, dass die Schwestern auf ihrem Weg nach Berlin waren, das heißt, dass sie sich im März 1858 wahrscheinlich auf dem Rückweg in die Schweiz befanden, da sie im Augsburger Tagblatt auf Berlin als Tournee-Ort aufmerksam machen.
‚Freakshows‘
Oft waren Menschen, die nicht in gesellschaftlich genormte Schubladen passten und dadurch auch nur schwer Arbeit fanden, darauf angewiesen, ihr Geld in reisenden ‚Freakshows‘ zu verdienen und sich begaffen zu lassen – abhängig von einem Agenten oder Menagerieleiter. Maria und Agathe schienen allein gereist zu sein. Leider verliert das Augsburger Tagblatt weiter kein Wort zu den drei Augsburger Auftritten von Maria und Agathe Schubiger. Da der „Zutritt von Morgens 7 bis Abends 10 Uhr“ erfolgte, kann davon ausgegangen werden, dass sich die beiden Frauen bei möglicherweise Handarbeiten oder anderen stehenden Tätigkeiten die ganze Zeit über beobachten ließen, bei denen ihre Größe auch gesehen werden konnte. Reguläre Konzerte und Veranstaltungen dauerten in der Goldenen Traube in der Regel sonst abends rund zwei Stunden. In der Fremden=Anzeige des Augsburger Tagblatts lassen sich die Schwestern nicht nachweisen; möglicherweise übernachteten sie daher privat.
Rekonstruktion möglich?
Würde man nun für die in den Anzeigen genannten Städten nach weiteren Ankündigungen oder Berichten oder in der Schweiz selbst nach weiteren Informationen suchen, kann man das Leben dieser bemerkenswerten, aber heute unbekannten Schwestern damit vielleicht noch weiter rekonstruieren.
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Einzelnachweise
[1] Vgl. http://statistik.stadt-zuerich.ch/modules/StatNat/1962/1962_ZSN_Frauenarbeit-im-Kunstgewerbe-in-der-Architektur-und-in-der-bildenden-Kunst.pdf (Stand: 18.03.2021), S. 198.
[2] Vgl. Augsburger Tagblatt, No. 62. Mittwoch 3. März 1858, S. 498.
Ein Gedanke zu „Die größten Schweizerinnen 1858“