Seit gestern online findet man im Netz bzw. auf der gemeinsamen Website Die Podcastin der Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Dr. Isabel Rohner und der Historikerin und Politikwissenschaftlerin Dr. Regula Staempfli – kurz: die Rohnerin und laStaempfli – eine grandios-frische Folge der Podcastin über Komponistinnen. Da die Einbettung nicht funktioniert hat, bitte aufs eingefügte Bild klicken, und Sie gelangen direkt zur Podcastin:
laStaempfli: „[Auf das Thema] bin ich gestoßen dank Susanne Wosnitzka, die ist großartig auf Twitter als @Donauschwalbe, die macht wahnsinnig viel, kümmert sich extrem um das Archiv Frau und Musik […] und weiß extrem viel über Komponistinnen und um die Mechanismen der Sichtbarmachung. Also sie bietet uns großartige Werkzeuge, um den Kanon [der festgefahrenen klassischen Musik] völlig zu verändern.“
Rohnerin: „Folgt ihr unbedingt auf Twitter, und – liebe Leute, die ihr bei den Medien arbeitet: schreibt sie an für Expertise, nehmt sie auf, interviewt sie. Das ist die Expertin für Komponistinnen.“
Vielen Dank für die Blumen, die ich an euch zurückgeben kann, weil auch ihr in euren Sparten und mit der Podcastin so hervorragende Arbeit leistet, auch beim Netzwerken!
Auf den Schultern von Gigantinnen
„Auf den Schultern von Gigantinnen“ – das beschreibt auf der Website der Podcastin sehr gut, worauf wir bauen: Auf eine unermesslich wertvolle Vorarbeit von Frauen, die diese historischen Komponistinnen nach vielen Jahrhunderten und Jahrzehnten der ‚Vergessenheit‘ wieder zum Klingen und ins Bewusstsein gebracht haben. Das ist vor allem in erster Linie den Frauen um den Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik zu verdanken, der das Archiv Frau und Musik ins Leben gerufen hat. Dort voran Elke Mascha Blankenburg, die Werke von Frauen buchstäblich aus dem Müll von Archiven (!) gefischt hat, weil sich niemand anderes dafür interessierte. Frauen wie Eva Rieger – die demnächst einen großen runden Geburtstag hat – und mit ihrem Werk Frau, Musik und Männerherrschaft (1981) erstmals die Mechanismen der Verunsichtbarmachung und Kleinhaltung von Frauen im Musikbetrieb schriftlich dargestellt hat. Frauen, die Werke ihrer Vorgängerinnen wieder spielten, weil andere deren Musik für wertlos hielten. So führte musica femina münchen Werke von Fanny Hensel (heute eine der besterforschten Komponistinnen, aber immer noch ohne Gesamteinspielung) noch in den 1980er Jahren urauf!
Vorbilder
Auch meinen Chefinnen/Kolleginnen/Freundinnen ist zu verdanken, dass man Musik von Frauen hört. So stellt sich zum Beispiel die Musikwissenschaftlerin und Dirigentin Mary Ellen Kitchens (ehrenamtlich im Vorstand des Archivs Frau und Musik) zu jedem Konzert die Aufgabe, wenigstens oder mindestens ein Werk einer Frau aufzuführen. So füllt die Profi-Gitarristin Heike Matthiesen (ebenfalls ehrenamtlich im Vorstand des Archivs) eine immense Lücke im Gitarrenbereich mit ihren Aufführungen und Wiederentdeckungen von Werken für Gitarre (CD Guitar Ladies) aus der Feder von Frauen. Und dank der Fülle des Archivs Frau und Musik wäre das bei jedem Konzert problemlos möglich!
Wie ihr sagt leistet das Archiv Frau und Musik seit 1979 bis heute eine hochbedeutende Arbeit und steht doch noch immer auf der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen und kreucht mit Projektanträgen und befristeten Stellen von Jahr zu Jahr mühselig vor sich hin. Und könnte mit entsprechender Förderung mit seiner unfassbaren Vielfalt den bestehenden Musikmarkt unglaublich bereichern – wahrlich blühende Landschaften könnten möglich sein. Weil es doch grundlegend um gute Musik gehen sollte. Und die ist dort definitiv in rauen Mengen vorhanden. Man muss halt darum wissen. Man findet dieses Archiv beim Stichwort Komponistinnen + Archiv auf der ersten Google-Seite. Es gibt heutzutage keine Ausreden mehr, warum man Komponistinnen nicht in den Musikprogrammen hat.
Fehlende Vorbilder
Ich selbst hatte bis vor rund 20 Jahren nicht den leisesten Hauch von Komponistinnen: Weil sie kein Thema im Klavierunterricht waren, kein Thema im Musikunterricht in der Schule, kein Thema an der Musikschule. Heute ist mir klar, warum nicht. Ich hörte erstmals an meiner Uni davon, als es ein Proseminar dazu gab (und ich mich darin mit der spektakulären Ethel Smyth befasste). Aber ansonsten waren Komponistinnen im Lehrkanon nicht enthalten. Sie waren eine ‚Extrawurst‘. Die Mechanismen der Verdrängung von Frauen wurden aber auch dort nicht besprochen – es war nur eine Themenfolge an Frauenbiografien ohne gesellschaftlich-soziale Kritik an herkömmlicher Musikwissenschaft. Daher hatte ich das auch bald wieder vergessen, da nur auf Komponisten der Fokus lag. Und nein: Frauen waren (und sind!) damit nicht mitgemeint.
Missgeschick mit Folgen
Erst ein Armbruch bzw. ein Bruch beider Arme einer Frau führte dazu, dass ich von diesem Thema gepackt wurde: In Augsburg existierte zu diesem Zeitpunkt noch die Avalon-Bibliothek im Frauenzentrum mit ihrer hervorragenden Sammlung zu Frauenliteratur (die sich nun in der Universität Augsburg befindet, da die Avalon-Bibliothek aufgegeben werden musste – einer Folge von nicht genügender Förderung). Das Avalon traf sich auf der jährlichen Versammlung des i.d.a.-Dachverbands deutschsprachiger FrauenLesbenarchive (daraus hervorgegangen das preisgekrönte Digitale Deutsche Frauenarchiv), zu der jeweils zwei Mitarbeiterinnen der einzelnen Mitgliedsarchive als Abgeordnete entsandt wurden.
Eine der beiden Augsburgerinnen, die dort hinreisen wollten, brach sich unglücklicher Weise beide Arme, und so wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, nach Luxemburg mitzufahren ins CID Fraen an Gender-Archiv (von dem ich noch nie zuvor gehört hatte). Für Ausflüge bin ich immer zu haben, und so reiste ich arglos mit. Vor Ort tat sich mir dann eine wahre Wunderwelt an Komponistinnen im CID-Archiv auf, und zudem lernte ich dort Frauen kennen, die für diese Sache brannten und andere damit begeistern konnten, einschließlich mich. So lernte ich auch in den Workshops des i.d.a.-Dachverbands das Arbeiten ‚hinter den Büchern‘ kennen. Eine Arbeit, von der man im Studium damals nichts erzählt bekam.
Tiefpunkt
Zu diesem Zeitpunkt war ich in meinem Studium an einem Tiefpunkt angelangt: Haydn, Mozart, Beethoven – was sollte man eigentlich über die noch schreiben, wo doch schön drölf8729342 Bücher dazu vorhanden sind? Auf anderes war man nicht sensibilisiert worden. Doch durch das Kennenlernen von Frauengeschichte und wie man damit arbeiten kann, erahnte ich plötzlich wieder einen Sinn hinter dem Ganzen. So setzte ich mich nach der Reise nach Luxemburg hin und überlegte. Und da es sonst nichts gab, an dem ich mich dahingehend orientieren konnte (so glaubte ich damals zumindest; Internet war damals kurz nach dem Jahr 2000 noch nicht wirklich fix), ich aber un-be-dingt mehr wissen wollte, dachte ich: Wenn es meinem Professor möglich ist, eine komplette Vortragsreihe zu Musik von Männern vom Mittelalter bis zur Gegenwart abzuhalten, ob es dann nicht auch möglich sei, dies zu Musik von Frauen zu machen.
Hoffnung
Ich recherchierte, und plötzlich tat sich mir ein unglaublich großer Kosmos auf, der noch unglaublicherer Weise bereits seit Anfang der 1970er Jahre bestand! Warum wusste ich nicht eher dazu etwas? Warum wurde all dieses Wissen an der Universität nicht genutzt und nur marginalst gelehrt? Warum wurde mir dieses Wissen offenbar gezielt vorenthalten? Ich wurde wütend. Das trieb mich an.
Es war jedenfalls eine immense Arbeit, neben dem regulären Studium und dem Nachholen des Latinums eine eigene Vortragsreihe zu entwickeln, die zunächst sechs Teile hatte – Vorträge von jeweils 1,5 Stunden von Hildegard von Bingen bis Nadia und Lili Boulanger. Als ich diese fertig hatte, zeigte ich meine Arbeit meinem Prof, der große Augen bekam und meinte: „Das nächste Semester machst du“, und so wurde ich tatsächlich studentische Dozentin. Der Seminarraum war jede Woche knackevoll – selbst die Lehrstuhlsekretärin war gekommen, um zu Komponistinnen zu erfahren –, und mein Prof saß da und hörte zu und bekam feuchte Augen, als ich von der legendären Lili Boulanger und ihrer genialen Musik der Zeit um 1900 erzählte, von der er selbst noch nie etwas gehört hatte, obwohl er u. a. auf Musik des Jugendstils spezialisiert ist.
Diesen diskriminierenden Kanon zu durchbrechen ist eine meiner dadurch gefundenen Berufungen.
Hätte, hätte – Fahrradkette
Man könnte es heute besser machen als noch vor 20 Jahren. Ihr erzähltet im Podcast auch davon, dass die jüngste Generation das Gefühl habe, es sei nichts passiert, als seien sie die ersten, die diese Frauen wiederentdeckten, und es ist beschämend, dass es diesen jungen Frauen heute noch so geht wie mir vor 20 Jahren. Das alles – auch der sich nur 4,5 % betragende Frauen-‚Anteil‘ im klassischen Konzert- und Radiobetrieb – eine Folge dessen, dass Komponistinnen und ihre Leistungen als auch die Geschichte der Frauenforschung bis heute in den regulären Lehrbüchern an Schulen und Musikschulen fehlen. Selbst in den Museen und neu erschaffenen Ausstellungen zu Komponistinnen wird dieses Wissen vorenthalten.
So selbst erlebt in der ansonsten wunderschön gemachten Ausstellung zu Fanny Hensel im Mendelssohn-Haus in Leipzig. Man erfährt im neu gestalteten Stockwerk zu ihr zwar viel über Fannys Leben und Schaffen, aber mit keinem Wort, wer dieses Wissen dazu erst ermöglicht hat. Nämlich die Frauen des Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik, die sich für ihre immense Arbeit auch noch Häme anhören mussten. Durch diese fehlende Darstellung in Museen wird suggeriert, dieses Wissen hätte sich halt über die Jahre entwickelt oder wäre der ’sich wandelnden Gesellschaft‘ oder ‚der Musikwissenschaft‘ zu verdanken. Auf der Webseite des Mendelssohn-Hauses geht zudem auf den ersten Blick nicht einmal hervor, dass Fanny überhaupt existiert hat. Das geht so nicht!
Hätten die Frauen des Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik damals aus der puren Not heraus nicht alles selbst gemacht, wüsste man über Fanny Hensel wohl bis heute noch nichts.
Also nochmals danke für diese wunderbare Podcastin – damit tragt ihr als Botschafterinnen für Komponistinnen und Frauengeschichte dieses Wissen in die Welt hinaus. Auch dafür sind Netzwerke so unglaublich wichtig.
Ein paar Gedanken und Rückbesinnungen an diesem Sonntagabend.
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