Mit Mozart in die Augsburger Straßenbahn – keine gute Idee

Wolfgang Amadé Mozart, erste Seite der 12 Variationen über das Lied "Ah! vous-diraj je, Maman"
Wolfgang Amadé Mozart, erste Seite der 12 Variationen über das Lied „Ah! vous-diraj je, Maman“

Immer wieder höre ich, ich solle doch diese eine halsbrecherische Geschichte erzählen oder zumindest mal aufschreiben, und dabei fangen die Leute schon an zu Glucksen vor Wonne, weil es mich wirklich bei Eintreten eines bestimmten Falles wohl den beruflichen Hals gekostet hätte – und das hatte mit einer gewissen Originalhandschrift von niemand Geringerem als Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791) zu tun. Da muss ich wohl nicht mehr erklären, wer das ist. Also los:

Im Jahr 2010 wurde mir die Mitvorstandschaft in der damals noch existierenden Augsburger Mozartgemeinde angetragen als Nachfolgerin des legendären Helmut Haug. Diese habe ich angenommen. Die Deutsche Mozartgesellschaft existiert bis heute in Augsburg und ist die Mutterorganisation aller deutscher Mozartgemeinden, wie das mancherorts noch etwas altertümlich heißt. Beide Vereine arbeiteten mit dem gleichen Ziel, nämlich das Wissen rund um den Namen Mozart in der einzigen ‚echten‘ deutschen Mozartstadt (weil da die Mozarts in echt gelebt haben und Leopold Mozart – Wolfgang Amadés Vater – in Augsburg aufgewachsen ist) aufrecht zu erhalten und zum Beispiel entsprechendes Kulturangebot in Kooperation mit anderen Kultureinrichtungen lokal, national und international bereit zu stellen.

Mozart in town

Es ging damals auch um eine Art Verschlankung und Arbeitserleichterung besonders der Mozartgemeinde, die zu diesem Zeitpunkt dann mich als jüngstes Mitglied hatte. Aus diesem Grund wurde eine Fusion beider Vereine überlegt und mit Hilfe einer Kanzlei auch durchgezogen. Dadurch endete die Existenz der Augsburger Mozartgemeinde. Im Zuge dessen wurden ihr Inventar und ihre Besitztümer gesichtet. Dazu zählte auch das superberühmte Ah! vous-diraj je, Maman in 12 Variationen jenes besagten noch superberühmteren Komponisten Wolfgang Amadé Mozart in Originalhandschrift, die in den 1950er Jahren für Augsburg erworben wurde (wobei es mit dieser recht kompliziert ist, was alles an einzelnen Teilen dazugehört und wie man das teils Zerschnittene wieder zusammengesammelt hat. Das kann man hier nachlesen).

Mozart, der Verkaufte
Wolfgang Amadé Mozart, posthumes Gemälde von Barbara Krafft 1819 © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Wolfgang Amadé Mozart, posthumes Gemälde von Barbara Krafft 1819 © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Allerdings ging es der Mozartgemeinde finanziell offenbar nicht immer blendend, und so kam eines Tages ein Vorstand von vor meiner Zeit auf die Idee, einen Teil jenes Ah! vous-diraj je, Maman recht eigenmächtig zu verkaufen für ich glaube damals um die 20.000 DM. Ein Schnäppchen für die einen, ein Grauen für die anderen, denn seitdem hatte die Stadt Augsburg nur noch den hinteren Teil dieses so bedeutenden Werks. Um so etwas Ähnliches in Zukunft zu vermeiden, war es dann nicht nur mir ein Anliegen, dass in den künftigen Statuten festgehalten wurde, dass derartige Werke und derartige Sammlungen weder zerschlagen noch veräußert werden dürfen. Bei Auflösung auch der Mozartgesellschaft, in die das Konvolut übernommen wurde, geht der Besitz an die Stadt Augsburg, und auch diese darf dieses materielle und immatrielle Weltkulturerbe auch bei allergrößter Not nicht verkaufen oder aus der Hand geben. So sagt es nun das Gesetz.

Mozart gesichert

Das war also nun gesichert. Das Werk lag bis dahin in einem Tresor einer Augsburger Bank. Zwar feuerfest deponiert, aber nicht klimatisiert oder sonstwie geschützt. Also löste mein damaliger Mitvorstand Prof. Berhard Tluck das Fach auf und nahm die Sachen darin an sich. Und so kam es, dass er mich einlud, sie bei sich daheim anzuschauen, bevor sie wieder in einem anderen und besseren Tresor verschwinden. Das war so sensationell, dass auch meine Mutter als riesen Mozart-Fan für dieses Ereignis nach Augsburg kam, und so saßen wir gemeinsam bei Prof. Tluck im Wohnzimmer und starrten auf das vor uns auf einem hell-beigen Marmortisch liegende Original. Das wir ganz vorsichtig auch anfassten. Ein ganz magischer Moment.

Mozart-Horror

Und der zerploppte in diesem Moment, als mich Prof. Tluck ganz beiläufig fragte, ob ich die Originalhandschrift nicht gleich in meiner Tasche mitnehmen wolle, um sie in jene dafür vorgesehene Bank bringen würde – in der Straßenbahn transportiert. Ich wurde blass und meine Mutter auch, wir guckten und guckten und mir drängten sich sofort die übelsten Horrorvorstellungen auf wie:

♣ Ich vergesse die Tasche samt Inhalt in der Straßenbahn. Das Original verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
♣ Die Tasche wird mir in der Straßenbahn oder auf dem Weg geklaut. Das Original verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
♣ Flüssigkeiten aller Art laufen dummerweise verunfallt auf und in die Tasche. Das Original wird unwiederbringlich zerstört oder so beschädigt, dass es seinen Wert verliert.
♣ Mitsamt der fetten Schlagzeile in allen Tages- und Fachzeitungen weltweit: „Augsburger Musikwissenschaftlerin zu dumm für Mozart“ und dergleichen.
♣ Und für all das springt natürlich keine Versicherung ein.

Mozart has left the building

Uff – ja, all das ploppte in diesem Moment vor meinem geistigen Auge auf. Nein, so wollte ich nicht enden und ich lehnte das sonst sehr, sehr vertrauensvolle Angebot ab. Also guckten und fühlten wir noch ein paar Augenblicke lang andächtig und überließen die Originalhandschrift dem weiteren Schicksal der etwas erprobteren Hände von Prof. Tluck. Der sie wahrscheinlich doch in der Straßenbahn transportierte. Aber von mir war diese immense Verantwortung weg. Da die neue Bank aber schon zu hatte, hätte ich das Original wohl oder übel erst noch zu mir nehmen müssen. Und dann hätte ich tatsächlich einen echten Mozart auch bei mir in der Wohnung gehabt. Welch Glanz in meiner Studi-Hütte wäre das gewesen – äußerste Verlockung und größtes Elend gleichermaßen. Ich ließ es bei der puren Verlockung.

Jener veräußerte erste Teil der Variationen von Ah! vous-diraj je, Maman befindet sich heute im Tresor des Mozarteums Salzburg, der zweite Teil nach wie vor gesichert in Augsburg. Und das war die so belustigende, schöne und in gewissen Teilen auch horrende Geschichte.

P.S.: Und in Berlin dann vor dem Original der Zauberflöte zu stehen und die Seiten umzublättern, ist wieder eine andere Geschichte. Oder die gefühlt 2-Euro-Stück-großen Goldnoten eines wunderschönen Missale aus dem Mittelalter zu sehen in einer kleinen Stadt bei Prag…

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