Colette und Willy? Colette und Max!

Ich komme grade aus Colette, ein neues Biopic über die französische Schriftstellerin Colette mit Keira Knightley in der Hauptrolle.


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Man hätte meinen können, Colette hätte nicht in Paris gelebt, sondern weiterhin im Dorf oder in einer Kleinstadt – als hätte sie vom Lebensgefühl der Zeit nicht viel mitbekommen. Willy und Colette wäre passender gewesen – viel zu viel Schwerpunkt auf Willy. Colette erschien mir nur eher als Beiwerk, sie erfuhr kaum Aha-Erlebnisse im Gegensatz zum Beispiel zur Hauptprotagonistin in Suffragette. Viel zu viel My-fair-Lady-Story als Emanzipationsvorgänge. Ersteres war zwar auch Colettes Lebensthema, aber eher später und später in ihren Romanen umfassender verarbeitet.

Leider fehlt in diesem Biopic Colettes wichtige Bezugsperson Natalie Clifford-Barney, mit der sie zeitweise zusammenlebte und ein Liebesverhältnis hatte, komplett. Ebenso fehlen traurigerweise in Gänze die Women of the left bank.

Die Women of the left bank

In diesen Frauenkreisen verkehrte nämlich Barney, und wahrscheinlich hat Colette ihre Erkenntnisse zu/von emanzipierten Frauen auch von dort her. Die Women of the left bank waren nicht nur künstlerische Zirkel, sondern ein handfestes FrauenLesbennetzwerk mit herausragenden hochemanzipierten Schriftstellerinnen, zu denen auch die lesbische Gertrude Stein und Bryher gehörten. Nicht zu vergessen Djuna Barnes‘ Ladies Almanach, der diese Netzwerke etwas späterer Zeit wunderbar aufzeigt. Sehr schön und authentisch dargestellt im Film war hingegen die innenarchitektonische Ausstattung der Zeit. Sehr begeistert war ich von der guten Darstellung von Georges Wague (Pantomime) und der korrekten – allerdings nur kurzen – Darstellung einer Variété-Damenblaskapelle dieser Zeit um 1900, als diese boomten. Im Archiv Frau und Musik findet sich zu diesem Thema übrigens die weltgrößte Postkartensammlung.

Stellenweise war der Film schleppend, teils platt die Gespräche, was aber gewollt gewesen sein könnte, um die Drögität von Colettes Leben auch auszudrücken. Sehr schön Knightleys Tanzdarbietungen. Bei diesem Film fand ich ihr Spiel wesentlich differenzierter als bei ihren anderen Rollen zuvor, aber die Aufbruch-Szene, in der sich Colette endgültig von ihrem sie betrügenden Ehemann “Willy” trennt, hat mich nicht sonderlich vom Hocker gerissen. Überraschend gut auch der Auftritt des lesbischen Schauspielerin Fiona Shaw, die den meisten als Petunia Dursley in Harry Potter bekannt sein dürfte.

Klangeindrücke speziell

Als schwierig eingesetzt empfand ich teils die Musik: Entweder nahm ich sie als furchtbar unpassend wahr oder als gar zu viel und zu seltsam eingesetzt. So erklang zum Beispiel Orchesterwalzermusik in Salonräumen, wo nie ein Orchester hineingepasst hätte – das Publikum tanzte offenbar zu ganz anderer Musik, was irritierend wirkte, aber sonst auf keinen Effekt in der Szene hinauslief.

Mathilde de Morny aka Max © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Mathilde de Morny aka Max © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Grammophone liefen, klangen aber nicht echt: Glasklare Musik – kein Rauschen, kein Knattern, kein Kratzen – nichts. Sehr schön und authentisch dargestellt die weiter unten beschriebene lesbische Moulin-Rouge-Szene, die zum Tumult und sexuellen Skandal führte. Daher Filmwertung insgesamt: Gemischte Gefühle.

Sehr schön, dass relativ viel Wert gelegt wurde auf Colettes Beziehung mit Butch „Missy“ oder „Oncle Max“ – Mathilde de Morny (1862–1944).

Colette und Max

Ich will mich hier an dieser Stelle nicht weiter mit Filmkritik herumschlagen, sondern das Augenmerk auf Mathilde de Morny lenken.

Mathilde aka Max ist eine sehr faszinierende Butch, die dringend ein eigenes Biopic braucht bzw. wäre ein Biopic zu Colettes lesbischer Seite großartig.

Max’ Mutter soll eine illegitime Tochter des russischen Zaren gewesen sein, ihr Vater war ein Halbbruder von Napoleon III. In der Belle Époque war Max eine Legende, lebte offen lesbisch und kleidete sich wie ein Mann (was Frauen per Gesetz bis eigentlich 2013 in Paris verboten war. Mehr dazu erfahren Sie in meinem Vortrag Die Löwinnen von Paris – Frauen in Hosen an vorderster Front).

Aufstieg und Niedergang
Colette und Max © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Colette und Max © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Colette und Max arbeiteten zusammen in einer Variété-Gruppe in einer Szenerie à l’Égypt, in der Max als Archäologe eine ägyptische Frau (Colette) ausgräbt und sich beide Frauen auf der Bühne küssen – was zu einem immensen Tumult und zur Absetzung des Stückes führte. Ab da konnten Max und Colette ihre Beziehung nur noch heimlich ausüben für ca. fünf Jahre.

Max und Colette kauften zusammen ein Haus, der Kauf wurde Max allerdings verweigert, da Max als Mann erschien. Der Vertrag wurde dann von Colette unterschrieben. Ein Jahr später ging die Beziehung auseinander, Colette behielt das Haus.

Während Colette immer reicher und immer berühmter wurde, wurde es um Max’ Leben immer dunkler. Im Mai 1944 versuchte Max, sich per Harakiri/Seppuku umzubringen, die Aktion wurde allerdings verhindert. Einen Monat später gelang es Max dann, sich durch Gas das Leben zu nehmen, völlig verzweifelt und finanziell pleite.

Wie es zu dieser gewaltigen Schere zwischen den beiden Frauen gekommen ist, wäre hochinteressant und würde sich lohnen, akribisch aufgedröselt und aufgearbeitet zu werden.

Mehr zu Mathilde de Morny finden Sie hier (wikipedia.org), hier (strangeflowers.wordpress.org) und hier (lesbiannews.com)