Karl the Ripper – der Mädchenschneider von Augsburg

Maximilianstraße Augsburg um 1835 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Maximilianstraße Augsburg um 1835 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

In der Dämmerung schlitzte er drauf los, der sog. Mädchenschneider von Augsburg. Er trug einen weiten Mantel, hatte sein Gesicht durch eine ausladende Mütze verborgen und lauerte jungen Frauen heimtückisch in abgeschiedenen Augsburger Gassen auf. Allerdings so, dass er sie nicht umbrachte, sondern mit einem scharfen Gegenstand am Arm und/oder an den Händen aufschnitt und teilweise auch würgte. Im Gegensatz zu Jack the Ripper, der 1888 in London sein tödliches Unwesen trieb, kam keine der derart angegangenen Frauen zu Tode, aber seine Überfälle hielten die ganze Stadt in Angst und Schrecken und führten so weit, dass ein Unschuldiger durch Polizei- und Obrigkeitspfusch als Sündenbock in den Tod getrieben wurde.

Der Mädchenschneider geht um

In einer historischen Augsburger Zeitung, dem Augsburger Tagblatt, stieß ich erstmals auf diese traurige Geschichte aus dem Jahr 1832, als ich auf der Suche nach Meldungen zum Musikleben in der Goldenen Traube war. Im Januar 1832 wurde aus den Gerüchten in der Zeitung Wahrheit: Nach mehreren unheimlichen Umtrieben wurde vom Magistrat der Stadt Augsburg auf den „Ripper von Augsburg“ ein Kopfgeld von 50 Gulden ausgesetzt – damals viel Geld. Als er Ende Februar noch immer nicht gefasst war, wurde das Kopfgeld auf 100 Gulden erhöht.[1] Eine der betroffenen Frauen – Karoline Eislin (16 Jahre alt, Dienstmagd) – berichtete, wie der Täter vor sich ging: „Abends ¾ auf 6 Uhr“ war sie „mit einem Krug in der rechten Hand, um Bier zu holen, ausgegangen. Unterwegs habe sie an der Ecke des Bäckerhauses in der Schmidtgasse [Schmiedgasse] einen Mann stehen sehen, an dem sie vorbei und auf die andere Seite der Gasse gegangen sei; dieser sei bis zum Bierwanger’schen Bräuhause neben ihr hergegangen. Als sie bereits auf den Antrittsstufen des Bräuhauses gestanden, sei plötzlich dieser Mann über die Gasse herüber gesprungen, auf sie zu, und habe ihr au den rechten Vorderarm, in der Gegend des Ellenbogens, eine Fingerlange Schnittwunde versetzt. Der Täter sei […] von großer magerer Statur, und habe einen runden schwarzen Hut und einen bis an die Waden reichenden Rock getragen.“[2]

Die Fälle häufen sich
Das Schokoladenmädchen (Dienstmädchen). Jean-Étienne Liotard, um 1754 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Das Schokoladenmädchen (Dienstmädchen). Jean-Étienne Liotard, um 1754 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Eine andere junge Frau, Katharine Huber (19 Jahre), gab an, dass sie im Klostergang von St. Max in den Keller gegangen sei, um ebenfalls Bier zu holen, als „ihr von der entgegengesetzten Seite ein in einen langen blauen „Wienermantel“ mit mehren Krägen gekleideter großer, ziemlich schlanker […] Mann, der einen runden Hut getragen, entgegen gekommen und habe sie mit den Worten: „guten Abend Mamsell“ gegrüßet. Sie habe wieder gegrüßt und sei in den Keller hinabgegangen. Nun sei sie aber kaum hinabgekommen, als ihr jener Mann schon nachgefolgt, ihr das Licht ausgelöscht und sie [hatte] packen wollen.

Sie habe sich gewehrt und auch schreien wollen, allein er habe ihr mit der Hand den Mund zugehalten, und da sie sich immer noch gewehrt, so habe er ihr, während er ihr mit beiden Händen den Mund zugehalten, mit dem Fuß einen Stoß gegeben, so daß sie rücklings zu Boden gefallen sei. Jetzt seien ihr von ihm mit einem Stricke die Füße unten am Knöchel kreuzweise über einander gebunden worden, dann habe er ihr einen Strick um den Hals geworfen, der sie ziemlich gedrosselt, so daß sie nicht habe schreien können. Er habe ihr sodann das Halstuch, das gestrickte wollene Kittelchen und die Schürze vom Leibe gerissen, und sie in beide Vorderarme, dann in die linke Wange und an der Stirn geschnitten – Alles ohne ein Wort zu sprechen. Jetzt habe sie vor Angst und Schrecken das Bewußtsein verloren, […]“ In diesem Zustand hatte man sie dann gefunden und befreit. Bereits vier Monate vorher habe sie auf einer Stiege im Dunkeln wie aus dem Nichts „einen so derben Streich auf den Kopf erhalten, daß sie bewußtlos zu Boden gesunken sei“.[3]

Über die Jahre
Polizeiblindheit. Karikatur in "The Punch" 1888 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Polizeiblindheit. Karikatur in “The Punch” 1888 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Diese Begebenheiten geschahen allerdings nicht im Jahr 1832, sondern bereits im Jahr 1820: Der Täter ging nämlich episodenhaft vor. Über viele Jahre konnte er nicht gefasst werden. Als er 1832 erneut zuschlug, waren die Geschehnisse aus der Zeit von 12 Jahren vorher noch nicht vergessen gewesen. Dieses erneute Auftreten in dieser Brutalität in Zusammenhang mit der Machtlosigkeit der Polizei, die verstärkt Patrouillen lief, sorgte dann dafür, dass eine Art Panik ausbrach und auch die Bürger:innen damit begannen, alles und jeden zu verdächtigen, der ihnen irgendwie seltsam vorkam. Polizei als auch Stadtmagistrat wurden dadurch zusätzlich unter Druck gesetzt und der bis dahin unbescholtene Bankangestellte Georg Rügemer, der aus Frankfurt/Main stammte, verdächtigt und am 26. Februar 1820 – also auf den Tag genau vor 200 Jahren – verhaftet, als er nach dem Weg zu einer Gaststätte fragte.[4]

Unschuldiges Opfer

Durch seine Gefangennahme verlor er auf der Stelle seinen Job. Zwar wurde er nach wenigen Tagen Gefängnis wieder freigelassen, wurde aber aus Augsburg ausgewiesen: „Unter Benachrichtigung des Magistrats der Stadt Frankfurt [wurde er] von dem Grunde seiner Ausweisung, bis an die würtembergische Grenze transportirt, wo er von der Polizeibehörde in Ulm, sich auf geradem Wege in seine Heimath zu begeben, bedeutet wurde. – Durch das verbreitete Gerücht der Transportation des Mädchenschneiders in allen den Orten, wo er durchgeführt wurde, dem Hohne und der Verachtung der Menge Preis gegeben, von seinen Eltern deshalb verstoßen, und eine neue Stelle zu finden außer Stand gesetzt, blieb ihm nur als letzte Zuflucht eine Entschädigungsklage gegen den damaligen Bürgermeister und Magistrat von Augsburg übrig, die er auf einen jährlichen Gehalt von 2000 Fl. [Gulden] oder ein Kapital [einmalige Schadensersatzzahlung] von 30,000 Fl. stellte, und, da auch dieser letzte Anker keine seiner Hoffnung brach, endigte der Unglückliche durch einen Pistolenschuß sein Leben.“[5]

Georg Rügemer hatte wie ein Löwe von Frankfurt aus um sein Leben gekämpft, eine Anzeige gegen die Polizei, den gesamten Magistrat sowie gegen den damals regierenden Augsburger Bürgermeister Johann Nepomuk von Caspar[6] erstattet wegen Inkompetenz, unsäglicher willkürlicher Behandlung und Missbrauch richterlicher Gewalt, die zum Verlust seines bürgerlichen Lebens und seiner Existenzgrundlage geführt hatte. Eine Handhabung, wie in einem solchen Fall der Falschbeschuldigung amtlich und gerichtlich vorzugehen, das Opfer zu entschädigen und zu rehabilitieren sei, lag bis dato offenbar noch nicht vor, sodass der Magistrat der Stadt Augsburg diesen Fall ad acta legte und Georg Rügemer auch noch alle Kosten für den Aufwand anlastete.

Erneute Panik
Faites la Paix ("Friedenmachen") – Frau in Gefahr © Bibliothèque Nationale Paris (gemeinfrei)
Faites la Paix (“Friedenmachen”) – Frau in Gefahr © Bibliothèque Nationale Paris (gemeinfrei)

Nach Georg Rügemers Tod glaubte man, nun sei wieder Ruhe eingekehrt, bis der Mädchenschneider 1832 wieder zuschlug und klar wurde, dass Georg Rügemer nicht nur ein Justizopfer, sondern auch ohne sein Zutun von der Stadtbevölkerung und seinen Nächsten übelst ausgeschlossen worden war. Wieder war Augsburg in heller Aufregung. Sogar mit einem makabren ‚Lustspiel‘ versuchte man, die Einwohner:innen von diesem Grauen abzulenken, das am 2. April 1832 im alten Stadttheater am Lauterlech in einem Akt über die Bretter ging, geschrieben von Adrian Eben.[7] Nun schlug der Täter nicht mehr abends in der Dämmerung zu, sondern am frühen Morgen.[8] Junge Frauen wurden angehalten, nur noch in Begleitung auszugehen oder – sollte dies aus beruflichen Gründen nicht möglich sein – stets eine Mischung aus Sand, Salz und Pfeffer parat zu haben, um diese dem Täter im Fall des Falles in die Augen streuen zu können.[9] Eine frühe Form des Pfeffersprays.

Neue Opfer

Auch im Jahr 1836 war der Mädchenschneider noch unterwegs. Josepha Merk, die von ihm überfallen worden war, berichtete Folgendes: „Als sie vom Bäcker zurückgekehrt, und schon auf einer der Hausstaffeln gestanden sei, sei ein Mensch hinter ihr hergekommen, und habe ihr auf ihren linken Unterarm in der Nähe des Ellenbogengelenks mit einem Messer oder Stilet einen Schnitt versetzt. […] Sie habe […] ihrer Herrschaft davon erzählt, und die Vermuthung geäußert, daß jener Mensch der Mädchenschneider gewesen sei.“[10] Bereits 1835 gab Margarethe Kirchmaier an, dass sie bei einem Fest für Graf Fugger mit Nachtmusik unter einer Menge von zuhörenden Menschen gestanden sei und plötzlich an ihrem rechten Oberarm einen Schmerz verspürt habe. Sie fand eine tiefe Schnittwunde, die stark blutete.[11]

Mit der Dienstmagd Louise Günther war dann endlich der Tag gekommen, dass der ‚Ripper‘ gefasst werden konnte: „Am 6. Januar 1837 Abends nach 7 Uhr sei sie von ihrer Dienstherrschaft ausgeschickt worden und habe eine brennende Laterne bei sich gehabt. In der Nähe des Weißen Lammes sei ihr ein Herr entgegengekommen, der ihr im Vorbeigehen einen Stoß auf die Brust gegeben, worüber sie Mißfallen ausgesprochen“ habe. „Sie sei kaum 50 Schritte weiter gegangen, als ihr jener Herr wieder nachgekommen und rechts neben ihr gegangen sei. Als sie bis an das Gäßchen gekommen, welches von der Polizei auf den Heumarkt führt, habe ihr dieser Herr plötzlich auf die rechte Seite ihrer Brust einen Stoß gegeben und sei dann davon gelaufen. – Sie habe augenblicklich bemerkt, daß sie an ihrer Brust verwundet worden sei. […]“[12]

Erkennung und Verhaftung
Handschellen für Verbrechen. Karikatur 1867 © gemeinfrei
Handschellen für Verbrechen. Karikatur 1867 © gemeinfrei

Dieser Überfall zog die Verhaftung des Täters nach sich, da Louise Günther ihn erkannt hatte. Dabei handelte es sich um „Karl Bertle, 37 J. alt, lediger Weinhändlerssohn und Realitätenbesitzer zu Augsburg. […] Er gestand vor der Polizei=Commission, daß er nicht allein der Günter, sondern vor einigen Jahren auch mehren andern Mädchen solche Verletzungen beigebracht habe, worauf er dem Untersuchungsgericht übergeben wurde, wo er in einer Reihe von Verhören […] Geständnisse bewirkte.“[13] Dadurch wurden die alten Akten wieder hervorgeholt und festgestellt, dass man Georg Rügemer die ganze Zeit über Unrecht getan hatte. Eine offizielle Rehabilitierung fand anscheinend bis heute noch nicht statt. In diesem Sinne spreche ich Georg Rügemer nun offiziell von allen Anschuldigungen frei.

Einblick in die Akten

All diese Geschehnisse wurden zusammengefasst und auch unter psychologischen Aspekten im Jahr 1838 aufgerollt und veröffentlicht. In dieser Publikation geht hervor, dass der Täter zu seinem Motiv befragt wurde. Er selbst gab an, dass er seit „ohngefähr 20 Jahren bedeutend an Nerven, worüber der Doctor Ahorner [Joseph (Georg Franz von Paula) Ahorner von Ahornrain; hütete er das als Arztgeheimnis?], der mich behandelt hat, die beste Auskunft geben kann.“ Dieses Leiden sei so stark gewesen, dass er die 1834 an ihn übergebene Weinwirtschaft nicht mehr betreiben konnte. Weiter fährt er fort: „Ich bin in meinem Leben mit weiblichen Personen nie in eine nähere Geschlechtsberührung gekommen, und habe immer eine Art Abscheu gegen sie gehabt, so daß ich wohl dem schönsten Mädchen nicht beiwohnen könnte. Zu Ende des Jahres 1819 oder Anfange 1829 überfiel mich das erste Mal ein unwiderstehlicher Trieb, Wei[b]spersonen leicht zu verwunden, indem dieses mir doch eine Art von Geschlechtslust ahnen ließ. Meinem Triebe folgend habe ich wirklich mehre Mädchen verwundet, und habe hierin auch wollüstigen Genuß empfunden, denn in dem Augenblicke der Verwundung habe ich immer Erectionen und Samenergießung bekommen. Nach einer jeden solchen Handlung habe ich mir große Vorwürfe gemacht, Gewissensangst bekommen und meinen Frevel zu vergessen mich bestrebt. – Auch bin ich jedes Mal darnach so angegriffen gewesen, daß ich immer den nächsten Tag einen Arzt brauchen mußte. […] Ich habe mir alle Mühe gegeben, jenen Trieb zu bezwingen, und es ist mir auch auf einige Zeit gelungen, allein im Herbste 1836 ist er in mir wieder mit neuer Kraft erwacht, und ich habe ihn dadurch zu befriedigen gesucht, daß ich Weibspersonen, die mir Abends begegneten, am Halse, jedoch nur ganz leise, drückte, wenn ich vor ihnen vorbeiging, […] Uebrigens muß ich bemerken, daß ich in der neuern Zeit gar keine Lust zum Schneiden mehr gehabt habe, sondern bloß zum Stechen, und daß eben die Idee, daß ein Mädchen in Folge eines solchen Stiches ein Weilchen blute, auf mich den angegebenen Reiz ausübte. Ein besonderer Reiz lag mir auch in der Idee, daß das Stechen gefährlicher sei, jedoch habe ich nie die Absicht zu einer bedeutenden Verletzung gehabt, denn um dieß zu thun, war ich zu religiös. Ich habe über meine Handlungen die tieffste Reue empfunden, und hatte mir jetzt fest vorgenommen, in meinem Leben Abends nicht mehr allein auszugehen und auch nie mehr ein Messer oder ähnliches Instrument mit mir zu nehmen.“[14]

Waffenhort und psychologische Einschätzung
Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Bei Karl Bertle wurden sieben Stilette und Degenstöcke gefunden, die er sich nach und nach angeschafft hatte.[15] „Der Selbstbefleckung habe er sich nie hingegeben, dagegen die Idee, daß er durch Schneiden von Frauenspersonen volle Wollustbefriedigung finden werde, habe ihn so sehr ergriffen, daß er selbst Nachts davon geträumt, und im Träume unter Pollutionen an Weibspersonen Verletzungen verübt habe.“[16] Karl Bertle wurde offenbar psychologisch untersucht, und zwar von einem Gerichtsarzt und dem Polizeiarzt Dr. Senger in München. Letzterer fand Karl Bertle als „imputationsunfähig“, also unzurechnungsfähig. Der Gerichtsarzt erklärte ihn jedoch für völlig zurechnungsfähig, jedoch „nicht im vollen Maße“. Daher wurde „noch ein Gutachten des Medicinalcomités erholt und dasselbe erklärte […] [Karl Bertle] für vollkommen zurechnungsfähig.“[17] Sein gesamtes Umfeld wurde durchleuchtet. Magdalene Deggendorfer, die 23 Jahre lang in Diensten von Bertles Eltern stand, gab an, dass er „immer melancholisch und in sich verschlossen“ gewesen sei: „Er hat mit Niemand Umgang gehabt, Niemand besucht, und ist auch von Niemand besucht worden. […] Verliebte Neigung zu dem weiblichen Geschlecht habe er nicht gehabt, und sogar öfters gegen seinen in München lebenden Bruder eine unwillige Verwunderung, wie derselbe gegen Frauenspersonen so höflich sein könne, geäußert.“[18] Andere Zeug:innen erklärten Ähnliches.

Anzahl der Fälle

Das Verbrechen „unnatürlicher Unzucht“ sei nicht begründet, da „B[ertle]. […] bei allen diesen Mißhandlungen weder eine unzüchtige Betastung verübt, noch eine körperliche Vereinigung der Geschlechtstheile bewirkt“ habe. „Hiernach ist die vorliegende Mißhandlung lediglich als die strafbare That der Körperverletzung“ sowie die „lange Arbeitsunfähigkeit“ der Opfer ein „Verbrechen nach Art. 179, Th[eil]. I d. St[raf]G[esetz].B[uch].“[19] Es werden weiterhin aufgezählt, wie viele Frauen er insgesamt geschnitten, gestochen und andersweitig angegangen hat: 1819 drei, von Anfang bis Mitte 1820 zehn, von dieser Zeit an bis 1832 zwei. Dann aber zwischen Januar und März 1832 alleine fünfzehn (!) und dann bis 1837 vier Fälle. Von diesen bekannten insgesamt 34 Fällen wurden 12 als „Verbrechen“ erachtet und von der Justiz näher beleuchtet: Den Fall von Karoline Eislin (16 Jahre, Dienstmagd), Katharine Huber (19 Jahre, Mesnerstochter) und Katharine Seiler (ohne weitere Angaben zur Person; allerdings stellte der Gerichtsarzt fest, dass die Waffe mit einer ätzenden, giftartigen Substanz versehen worden sein muss)[20], Therese Hillenbrand (Hökerstochter), Barbara Zettler (Dienstmagd bei Herrn v. Stetten), Katharina Holzschuh (Dienstmagd), Margarethe Gruber (Bürgerstochter), Veronica Geißer (Kupferschmiedstochter), Josepha Braumüller (Dienstmagd), Josepha Merk, Margarethe Kirchmaier (Passantin) und Louise Günther (Dienstmagd). Deren Verwundungen wurden ärztlich untersucht; die Frauen klagten teils auf Arbeitsunfähigkeit und auf Schadensersatz mit ihren Verletzungen.

Keine Verjährung

Da gesehen wurde, dass zwischen all diesen Taten ein Zusammenhang bestand, wurden die vielen Taten in den vergangenen Jahren davor trotz Tat-Pausen nicht als verjährt angesehen, sondern als Reihe von Verbrechen. Jedes einzelne Herangehen des Täters an seine Opfer wurde peinlich genau untersucht und justiziabel gewertet. Insgesamt kam man so auf 19 Tatbestände der Körperverletzung, teils auf versuchte Körperverletzung, die aber wegen mangelnder Beweise teils eingestellt wurden. Der Täter hatte sämtliche Kosten der Untersuchungen zu tragen. Die Frauen, die auf Schadensersatz plädierten, wurden an zivilrechtliche Verhandlungen weiterverwiesen. Wie Karl Bertle letztendlich verurteilt wurde, geht aus der Publikation nicht hervor: „Bei der Strafausmessung, die für das Verbrechen der Körperverletzung allein zwischen 1 und 4 Jahren Arbeitshaus gesetzlich bestimmt, steht dem Inq. [Inquisiten = Befragter/Beschuldigter] [straf]mildernd gar nichts zur Seite, als höchstens eine etwas fehlerhafte Erziehung, und sein sonstiges gutes Betragen; dagegen wirken erschwerend ein: a) die bedeutende Anzahl der eingestandenen Körperverletzungen im Vergehensgrade: „mittelst Waffen;“ b) die lange Zeit, während welcher er solche begangen und wiederholt hat; c) die Art der Begehung, nämlich auf hinterlistige Weise und einigemal mittelst Auflauerns; c) das Bewußtsein, welchen Schrecken er in der ganzen Stadt Augsburg und namentlich welche Furcht er bei den erwachsenen Frauenspersonen durch seine Mißhandlungen erregte; d) der Umstand, daß er einmal bei einer seiner ersten Mißhandlungen als verdächtig von der Polizei arretirt, und nur darum, weil die Damnificatin [= die betroffene Frau] ihn nur recognoscirte [wiedererkannte], wieder entlassen, aber gleichwohl hierdurch von weiteren ähnlichen Mißhandlungen nicht abgehalten wurde. Bei diesen weit überwiegenden Schärfungsgründen muß der höchste Strafgrad von vier Jahren Arbeitshaus angenommen, jedoch hiervon in der Rücksicht, daß der Arrest des Inquisiten bereits zwei und ein halbes Jahr, und hierunter ein halbes Jahr ohne alles Verschulden von Seite des Inquisiten andauert, ein halbes Jahr nach Art. 104. Th. I des Strafgesetzbuchs abgekürzt werden.“[21] Möglicherweise finden sich weitere Hinweise zur Verurteilung in Akten des Augsburger Stadtarchivs, falls dort noch vorhanden.

Psychologiefindungsprozesse
Rhynwick Williams und sein Opfer, 1790 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Rhynwick Williams und sein Opfer, 1790 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Die Publikation stellt abschließend die Frage, ob all diese Sachverhalte auch bei den sog. ‚Piqueurs‘ in Paris und London (wie z. B. im Fall des ‘Londoner Monsters’ Rhynwick Williams 1790) wie auch in einigen Städten in Italien auch bezüglich der psychologischen Entwicklung der Täter und der erfolgten Bestrafung vorliegen. Das heißt, dass durchaus Zusammenhänge bestimmter Verhaltensmuster bei Männern erkannt worden waren. Religiöse und gesellschaftliche Moral- und Rollenvorstellungen, psychische (vermutlich unbehandelte) Auffälligkeiten in Kindheit und Jugend bzw. verhängnisvolle Unauffälligkeiten, Einzelgängertum, Hass auf Frauen/starke Abneigung Frauen gegenüber, eventuell mögliche unterdrückte Homosexualität (die in der damaligen Gesellschaft auch generell keine Chance auf Befreiung hatte) – keine Merkmale nur unserer jüngsten Geschichte. Und keine Einzelfälle, sondern über Jahrhunderte zusammenhängend. Jedenfalls gibt dieser Fall des Augsburger Mädchenschneiders nicht nur ein hochinteressantes Beispiel an ineinander greifender Polizei-, Regierungs- und Justizarbeit, sondern auch ein Beispiel, wie man mit Frauen, die Opfer eines solchen Täters wurden, in dieser Zeit umgegangen ist.

Hörtipp
Das Monster von London. Podcast von Mirko Gutjahr aka Der Buddler | Das geheime Kabinett: Schräge Geschichten aus der Geschichte

Einzelnachweise
[1] Augsburger Tagblatt. Nro. 54. Donnerstag. 23. Februar 1832, S. 217.
[2] Julius Eduard Hitzig/Wilhelm Ludwig Demme (Hg.): Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechtspflege. Altenburg (Helbig) 1838, S. 204. Als Digitalisat: https://dlc.mpdl.mpg.de/dlc/view/escidoc:57121:7/recto-verso (Stand: 26.02.2020).
[3] Ebda., S. 208.
[4] Ebda., S. 39.
[5] Ebda., S. 37.
[6] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Nepomuk_von_Caspar (Stand; 26.02.2020).
[7] Augsburger Tagblatt. Nro. 91. Samstag. 31. März 1832, S. 368.
[8] Ebda., Nro. 53. Mittwoch. 22. Februar 1832, S. 213.
[9] Ebda., Nro. 34. Freitag. 3. Februar 1832, S. 137.
[10] Julius Eduard Hitzig/Wilhelm Ludwig Demme (Hg.): Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechtspflege. Altenburg (Helbig) 1838, S. 219. Als Digitalisat: https://dlc.mpdl.mpg.de/dlc/view/escidoc:57121:7/recto-verso (Stand: 26.02.2020).
[11] Ebda.
[12] Ebda., S. 220.
[13] Ebda., S. 196.
[14] Ebda., S. 197f.
[15] Ebda., S. 198.
[16] Ebda., S. 199f.
[17] Ebda., S. 201.
[18] Ebda.
[19] Ebda., S. 205.
[20] Ebda., S. 212.
[21] Ebda., S. 223f.