Zum 8. März | Das Vorbild der Ulmerin Barbara Kluntz (1661–1730)

Am 8. März 2022, dem Internationalen Frauentag bzw. Feministischen Kampftag, veröffentlichte ich auf Twitter als @Donauschwalbe einen Thread zur Ulmer Komponistin Barbara Kluntz (1661–1730), aber nicht nur zu ihr, sondern deshalb, weil sie ein Vorbild hatte. Das haben zwar viele, aber von historischen Persönlichkeiten sind nicht so viele auch manifestierte und nachgewiesene Vorbilder bekannt.

Miniatur in einer Pariser Handschrift der Cité des Dames © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Miniatur in einer Pariser Handschrift der Cité des Dames © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Barbara Kluntz‘ Vorbild war die französische Schriftstellerin, Dichterin, wohl Musikerin und wahrscheinlich sogar auch Komponistin: Georgette de Montenay (1540–1606/07). Diese ist relativ nah an einer anderen, noch wesentlich älteren/früheren Schriftstellerin, Christine de Pizan (1364–nach 1429), die ein wunderbares Buch von der Stadt der Frauen verfasste. Darin sieht man in noch wunderbareren Bildern, wie Frauen an ihrer eigenen Stadt bauen, richtig mit Steinen und Kellen in der Hand. Für Christine de Pizan war jeder Stein eine Frauenpersönlichkeit aus der Geschichte selbst: Auf Frauen konnte sie verlässlich bauen, eine Stadt aus und für Frauen war stabil und für die Zukunft. Eine für die damalige Zeit unglaublich moderne Ansicht. Barbara Kluntz befindet sich also selbst in dieser Kette.

Hier erzähle ich den Twitter-Thread noch einmal nach:

Frauen und ihre Vorbilder

Frauen und ihre Vorbilder, zumindest die direkt bekannten – wäre eine gute Buchidee! So ein ganz großes Vorbild hatte das “Schneiderbärbele” von Ulm, die Komponistin Barbara Kluntz (1661–1730), von der sich zwei von drei Choralbüchern (wenn auch schon mit Tintenfraß) erhalten haben. Hier auf diesem Ölgemälde, das sich im Museum Ulm befindet, sehen wir sie mit ihrem verschollenen dritten Choralbuch, in einer reich geklöppelten Ulmer Tracht, einer goldbestickten typisch schwäbischen Haube.

Ölgemälde Barbara Kluntz © Foto Susanne Wosnitzka
Ölgemälde Barbara Kluntz © Foto Susanne Wosnitzka

Sie zeigt mit der linken Hand auf ein kleines Tischkreuz, um zu sagen: “Seht, von da kommt alles”. Davor ein Tintenfass mit Federkielen darin, um darauf zu verweisen, dass sie das Notenbuch, das sie vor sich hat, selbst geschrieben hat. Man sieht auch eine Zitrone. Stillleben? Jein, denn eine Zitrone weist als Südfrucht darauf hin, dass sich Barbara Kluntz so etwas durchaus leisten konnte.

Zugehörigkeiten

Im Hintergrund des Bildes sehen wir in eine Landschaft. Das soll darauf verweisen, dass das eine Länderei – Ersingen – sein könnte, die zu Barbara Kluntz’ Wirken gehört hat. Sie war nämlich eine sog. Sammlungsfrau, eine protestantische Ordensfrau, die in der ‘Sammlung’ lebte, einem Kloster an der Ulmer Frauenstraße (daher auch der Name dieser Straße), deren Nonnen auch schon bei der Grundsteinlegung des berühmten Ulmer Münsters mit dabei waren.

Die Sammlung war ein recht freier Orden, den die Schwestern bei Heirat (Männerbesuche waren erlaubt) auch ohne Probleme verlassen konnten. Barbara Kluntz war dort für die Musik zuständig und unterrichtete in der Stadt auch Patrizierskinder. Die Kluntzin war Tochter eines Schneiders, hatte ihr Wissen um die Musik und für Sprachen aber vielleicht von ihrer Mutter. In einem der Choralbücher, die sich im Stadtarchiv Ulm befinden, findet sich an erster Stelle vorne drin eine Widmung in Französisch an Barbaras großes Vorbild, die Dichterin und Gelehrte Georgette de Montenay (1540–1606/07).

Gebildete Frauen
Georgette de Montenay © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Georgette de Montenay © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Barbara konnte deren Texte lesen. Wenn man hier in diesem Porträt von Georgette genau hinschaut, das sich auch bei Barbara Kluntz eingeklebt befindet, erkennt man fast dieselben Gegenstände wie auf dem Porträt von Barbara Kluntz: Noten (ebenfalls in Querformat wie bei Barbara), ein Tintenfass (wobei Georgette die Feder in der Hand hält) und eine umgedrehte Knickhalslaute. Das weist Georgette als mindestens auch Musikerin aus, möglicherweise aber selbst auch als Komponistin. In Barbara Kluntz’ Porträt findet sich ebenfalls ein Instrument, eine Orgel.

Das könnte Barbaras eigene Orgel gewesen sein: Auf der Rückseite des Ölgemäldes befand sich einst Barbara Kluntz’ handschriftliches Testament, in dem sie ihre Instrumente dem Kloster bzw. die Orgel dem Dorf bzw. der Kirche in Ersingen vermachte, das den Sammlungsfrauen in Gänze gehörte. Die Sammlungsfrauen vermachten ihr Vermögen nämlich einst untereinander, was der Stadt Ulm ein Dorn im Auge war. Um sich am Vermögen der Frauen zu bereichern, erließ die Stadt Ulm kurzerhand ein Gesetz, das den Sammlungsfrauen die Erbschaft untereinander verbot.

Schäbigkeiten

Verstarb eine Sammlungsfrau unverheiratet, musste sie ihr Eigentum an die Stadt Ulm abtreten. Auch auf diese schäbige Weise ist die Stadt Ulm zu Geld gekommen. Dort gab es auch ein Gesetz, das Ulmer Männern erlaubte, ihre Frauen prostituieren zu lassen. Davon nahm die Stadt Ulm ebenfalls einen gewissen Geldanteil. Ulm ist daher nicht nur über den Handel mit Barchent-Stoff so reich geworden, sondern auf dem Rücken von Frauen.

All das haben Ulmer Forscherinnen herausgefunden, denen man vor dem Ausgraben all dieses Wissens gesagt hat, Ulmer Frauen hätten keine Geschichte, das würde sich nicht lohnen. So schrieben sie dann ein Buch mit dem trotzigen Titel Ulmer Frauen HABEN eine Geschichte. Das Wissen zu Barbara Kluntz schaffte die großartige Ilse Schulz (1924–2009). Bis heute sind die Werke der Barbara Kluntz, zauberhafte auch weltliche kurze Arien sowie sogar eine Hymne auf Ulm, weder gedruckt noch als Faksimile/Scans erhältlich.

Das Vermächtnis der Barbara Kluntz

Als ich im Ulmer Stadtarchiv auf den bereits begonnenen Tintenfraß hinwies und ich nach Digitalisierung fragte, schaute mich eine Bibliothekarin an & meinte: “Noi, wieso? Isch des wichtig?” Unvergessen. Im Stil von Georgette de Montenay verfasste auch Barbara Kluntz kleine Gedichte, und in einem davon hat sie ihr wichtigstes Credo verfasst:

“Ich waiß nit z’sagen, wie vil Gut,
In Musica ist verborgen;
Gott und Menschen sie g’fallen thut,
Music vertreibt die Sorgen,
Music verjagt die Traurigkeit,
Music den Geist erneüet,
Music macht Lust, und kürzt die Zeit,
und ewig uns erfreüet.
Music lieb’ ich, so lang ich leb,
und frölich meine Stimm’ erheb,
und sing: O Music! Himmels Kunst,
du bist wehrt aller Ehr’ und Gunst.”

Der Wikipedia-Artikel zu Barbara Kluntz war mein allererster großer. Er entspricht nicht mehr den heutigen Standards, da es damals noch üblich war, keine Einzelnachweise zu setzen. Bei Gelegenheit werde ich das noch nacharbeiten.

Zu Barbara Kluntz biete ich auch einen Vortrag, in dem ich einen Teil ihrer zauberhaften Werke am Klavier auch singe und spiele.

Bilddetail rote Nelke © Susanne Wosnitzka
Bilddetail rote Nelke © Susanne Wosnitzka

P.S.: Schaut man sich das Porträt von Barbara Kluntz ganz genau an, dann sieht man darin auch eine ROTE NELKE, ein altes Blumensymbol für politisch-menschliche Gleichberechtigung. Zu Barbaras Zeit allerdings das Symbol für die Leiden Christi. Wobei besonders Frauen bezüglich ihrer Geschichte ebenfalls gelitten haben und ihre eigenen ‘Kreuzzüge’ gingen…

Lesetipps:
Kirstin Börchers, Svenja Blocherer (Hrsg.): Ulmer Frauen haben eine Geschichte. Von tatkräftigen und klugen Frauen
Ilse Schulz: Verwehte Spuren. Frauen in der [Ulmer] Stadtgeschichte

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