Schwedisches Damenquartett in Augsburg 1874 – das erste seiner Art?

Das erste singende und reisende Damenquartett der Neuzeit* kam aus Schweden, das aus den Fräulein Hilda Wideberg (1841–1927), Amy Åberg (1845–?), Maria Pettersson (?–?) und Wilhelmine Söderlund (1845–1908) bestand. Sie tourten unter der Ägide ihres Impresarios Hofmann** 1874 auf Durchreise in Augsburg in der Goldenen Traube[1], von da über Stuttgart bis nach St. Petersburg und von dort offenbar in die USA, das begeistert so angekündigt wurde:

Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka
Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka

“Ein nicht alltäglicher Kunstgenuß steht dem Musik liebenden und Musik verständigen Publikum demnächst durch das Auftreten von vier jungen schwedischen Damen im Saale der goldenen Traube bevor. In Leipzig, wo bekanntlich Gesang und Musik in hervorragender Weise gepflegt wird und das Publikum nur gediegenen Leistungen eine Beachtung zollt, fand das Quartett in den prachtvollen und großen Räumlichkeiten des Schützenhauses eine nahezu enthusiastische Aufnahme. Referent berichtet nicht nach ihm gewordenen Mittheilungen, sondern es ward ihm während der Ostermesse bei dem großen Buchhändler=Bankette dieser köstliche Ohrenschmaus selbst zu Theil. Reihen wir an das vokale Programm der Damen noch das musikalische der gleichfalls rühmlichst bekannten Virtuosen, der Herren L[eopold]. Grützenmacher [Grützmacher] (ein Cellist ersten Ranges), L[ouis]. Maas (Pianist) und P[aul]. Klengel (Violin=Virtuos), so dürfen wir also einem wirklichen Künstler=Concerte entgegen sehen.”[2]

Konzertmeldung in den Augsburger Neuesten Nachrichten 1874 © Screenshot Susanne Wosnitzka
Konzertmeldung in den Augsburger Neuesten Nachrichten 1874 © Screenshot Susanne Wosnitzka
Damenquartett gewinnt

Bereits 1865 gab es ein reisendes Damenquartett, aber streichmusizierender Art, gegründet in Wien von Marie Schipek (1841/44/47–?). Möglicherweise ist dieses damals berühmte schwedische Damenquartett eine Auskopplung des aus dem 1874 ebenfalls in Augsburg in der Goldenen Traube aufgetretenen skandinavischen Damenchors[3] unter Leitung von Fräulein Martini Leopold (?–?), der im Repertoire den erhaltenen Zeitungsanzeigen nach auch den Straussschen Donauwalzer hatte.

Auftritt skandinavischer Damenchor in Augsburg © Screenshot Susanne Wosnitzka
Auftritt skandinavischer Damenchor in Augsburg © Screenshot Susanne Wosnitzka

Der skandinavische Damenchor unter Direktion und Frl. Martini Leopold und des Kapellmeisters Nils-Korander fand in Augsburg trotz dessen reichhaltigem Chorangebot auch mit einem Damengesangverein keinen Anklang. So schrieben die Augsburger Neuesten Nachrichten dazu:

“Der scandinavische Damen=Chor wurde in Augsburg von entschiedenem Pech verfolgt. Während bei der ersten Produktion die Zahl der Zuhörer sich immerhin auf 50–60 belief, war zur gestrigen 2. Vorstellung ein Publikum von nur 6 Personen erschienen, in Folge dessen die Aufführung unterblieb und die schönen Skandinavierinnen über Augsburg grollend noch gestern Abends die ungalante Stadt verließen.”[4]

Verschollene Fräulein

Ich betone hier das Wort “Fräulein” besonders für weiterführende Forschungen: Damit man weiß, dass das ihre Geburtsnamen waren & kein angeheirateter Name. Fräuleins dieser Zeiten verschwinden mit einer Heirat oft aus dem Fokus durch den neuen Namen: Man findet sie nicht mehr, wenn man nicht weiß, dass oder wen sie geheiratet haben.

Googelt man nach den Namen der im Damenquartett singenden Frauen, so findet sich Hilda Wideberg als einzige mit Wikipedia-Artikel und mit Porträt. Im Artikel wird nur die Europa-Reise aufgeführt. Ob es das Quartett wirklich auch bis in die USA geschafft hat? Dort kannte man zumindest die ‘schwedische Nachtigall’ Jenny Lind (1820–1887) unvergessen bis heute.
Auch Amy Åberg findet sich noch im Porträt. Etwas zu Maria Pettersson (?–?) zu finden, erweist sich als schwierig. Ein Abbild fand sich hier auf die Schnelle nicht, dafür von Wilhelmine Söderlund. Vielleicht findet sich im Lauf der Zeit ja die verschollene Maria Pettersson noch. Aus den vier Porträts könnte man zum Beispiel ein historisiertes Star-Plakat kreieren.

Man kann auf das Fragezeichen im Titel des Artikels wohl verzichten: In all den Jahrzehnten davor, die ich die Augsburger Tageszeitungen nach solchen Meldungen vom Jahr 1746 an bis heute durchforstet habe, gab es bis 1874 keine vergleichbare (reisende) Besetzung. Die Schwedinnen dürften daher die ersten Frauen dieser Art gewesen sein.

Quartett-Sensation in Augsburg

Das singende Damenquartett war für Augsburg jedenfalls eine riesen Sensation. Selten findet sich in den Augsburger Blättern der Zeit eine hinreißendere Kritik, besonders unter großem Lob des Pianissimo:

“Wohl selten hat der Saal zur „Traube“ eine so zahlreiche, andächtig lauschende Zuhörerschaft gesehen, wie sie gestern das Conzert des „schwedischen Damen=Quartett“ herbeigelockt. Und in der That, eine in ihrer Art einzige Vereinigung der herrlichsten Stimmen, der vollendetsten gesanglich musikalischen Bildung, des geradezu fabelhaften – wir finden kein bezeichnenderes Wort – harmonischen Einklangs stellt dieses herrliche Sängerinnen=Vierblatt dar. Sie treten auf, ein leiser Ton – wie ein Hauch schwebt von Lippe zu Lippe, – sie sind eingestimmt! Der Einsatz ist wie ein Hauch, die vier Stimmen wie eine einzige, vom Ausdruck aufjauchzender Freude bis zum kaum flüsternden und doch im ganzen Saal vernehmbaren Pianissimo eine Gleichmäßigkeit, wie wir sie bisher nur geahnt haben! Das zur lautesten Begeisterung hingerissene Auditorium kargte nicht mit dem reichsten Beifall, und die liebenswürdigen Künstlerinnen waren so freundlich, den stürmischen Dacaporufen folgend, noch zwei reizende Lieder zuzugeben. Uns und gewiß allen Anwesenden wird dieser musikalische Abend unvergeßlich bleiben, und die Mittheilung des Impressario, Hrn. Hofmann, daß am Sonntag noch ein Concert stattfinden werde, war gewiß für Alle eine Aufforderung, am zweiten Abend wieder vollzählig am Platze zu sein. Auch die übrigen Künstler des Abends dürfen sich rühmen, des reichen, wohlverdienten Beifalls die Fülle sich erworben zu haben.”[5]

Gone with the wind

Zu schade, dass es Tonaufnahmen erst später gab. So müssen wir uns mit dieser Imagination begnügen, erhalten so aber einen Eindruck des Tönelauschens der frühen Kaiserzeit.

 

Schwedisches Damenquartett © Sibeliusmuseum SmF5142
Schwedisches Damenquartett © Sibeliusmuseum SmF5142

+++Update+++
Enidu10 (Twitter) fand noch dieses Abbild einer historischen Fotografie, auf der alle vier Frauen des Quartetts zu sehen sind. Das Original befindet sich im Sibelius-Museum in Finnland. Der deutschen Betitelung nach dürfte es sich um ein Merchandising-Produkt für deutschsprachige Länder gehandelt haben.

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* Neuzeit deshalb, weil es in der ‘Altzeit’ schon ähnlich welche gab: die sog. concerti delle donne von zwei bis drei singenden und musizierenden Frauen der Renaissance.
**Hofmann war ihr Impresario, der alles für Reisen und Auftritte organisierte und der sich mit den Auftritten mit einem Anteil viel Geld verdienen konnte. Dieses Imrepsariotum kam massiv aus der Zeit um 1840 vor allem für Tourneen europäischer Künstler:innen in den USA auf.

Einzelnachweise
[1] Vgl. Augsburger Neueste Nachrichten, No. 50. Freitag den 27. Februar 1874, S. 632.
[2] Vgl. ebda., No. 275. Samstag den 21. November 1874, S. 3570.
[3] Vgl. ebda., No. 50. Freitag den 27. Februar 1874, S. 632.
[4] Vgl. ebda., No. 51. Samstag den 28. Februar 1874, S. 638.
[5] Vgl. ebda., No. 282. Sonntag den 29. November 1874, S. 3659.