Auch zum diesjährigen #Spooktober veröffentlichte ich auf Twitter täglich einen Thread mit grauenvollen Nachrichten aus alter Zeit – nun bereits im dritten Jahr – und dieses Jahr mit Schwerpunkt auf historischem Femizid:
#Spooktober
Heute startet wieder die daily Gruselreihe mit unbekannten schaudererregenden Nachrichten & Geschichten aus alter Zeit, die ich in historischen #Augsburg|er Zeitungen der Jahre 1876–1878 aufgefunden habe. Manche sind noch immer bittere Realität von Frauen #Femizid
#1 pic.twitter.com/2v777JjWj8— Susanne Wosnitzka 🍹📝🌴 (@Donauschwalbe) October 1, 2022
Dieses Jahr aus den Jahren 1876 bis 1878, gefunden in historischen Augsburger Tageszeitungen dieser Zeit, die ich im Rahmen meiner musikgeschichtlichen Forschungen bislang für die Jahre 1746 bis nun 1878 auf interessante Nachrichten aller Art abgetippt habe:
Von musikalischen Anzeigen, spannenden Neufunden zu zum Beispiel Clara Schumann in Augsburg oder zu den nicht zufällig beiden verschollenen Oboen-Konzerten von Beethoven UND Mozart auch zu Natur- und anderen Katastrophen, Wetter und Klima, Hygiene- und Seuchengeschichte Augsburgs, zur gesamten Theatergeschichte Augsburgs und Geister- und Mordgeschichten wie zum sog. Zopfabschneider und Mädchenschneider von Augsburg. Also auch einem bedeutenden Teil Frauengeschichte.
Femizide in erschreckendem Ausmaß
Besonders eindrücklich sind die Meldungen zu Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen (auch dahingehend kam noch Unbekanntes ans Tageslicht) und zu Femiziden. Meist alle paar Wochen, manchmal aber auch alle paar Tage fanden sich Berichte über Ermordungen zu Frauen, die aus missbräuchlichen Ehen mit Gewalt fliehen wollten, die ledig und schwanger getötet wurden, damit sie gewissen Männern nicht ‘unbequem’ das Leben ‘zerstörten’. Frauen, die vor ihren Partnern fliehen, um in Freiheit leben zu können – Männer, die (ihre) Frauen ermorden, um ihnen dieses Recht auf eigenständige Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung zu nehmen.
Diese Geschichten aus alter Zeit lesen sich wie heutige Femizid-Meldungen (ein Beispiel von vielen hier), als habe sich über die letzten 200 Jahre nichts geändert am Verhalten solcher Leute. Erst gestern meldete der Österreichische Frauenring den 28. österreichischen Femizid in diesem Jahr. 2020 wurden in Deutschland 139 Frauen durch aktuelle oder bestehende Partner getötet und es nimmt kein Ende.
Jeanne Vingerhoets Geschichte
Eine besonders grausame Geschichte aus alter Zeit ist das Schicksal von Jeanne Vingerhoets, die von ihrem Ehemann nicht nur mit einem Beil erschlagen, sondern auch zerstückelt wurde:
#Spooktober #Femizid
Manchmal gehen einem die Worte aus. Aber lest selbst. Gefunden in einer #Augsburg|er Tageszeitung der Jahre zwischen 1876 & 1878.
#18
„(Entsetzlicher Mord.) Ganz #Belgien ist gegenwärtig durch ein furchtbares Verbrechen aufgeregt, das ein Schneider, Namens pic.twitter.com/XyfbagneaH— Susanne Wosnitzka 🍹📝🌴 (@Donauschwalbe) October 18, 2022
Oben getwittert, hier nochmal ausgeschrieben, auch mit Überlegungen dazu:
„(Entsetzlicher Mord.) Ganz Belgien ist gegenwärtig durch ein furchtbares Verbrechen aufgeregt, das ein Schneider, Namens Mestdagh, in Antwerpen an seiner Frau beging und das an Grausamkeit und Bestialität seinesgleichen sucht. Mestdagh hat ein umfassendes Geständniß abgelegt. Er bekundet etwa Folgendes: Am Abend des 13. August v. J. kam er stark angetrunken nach Hause. Seine Frau, die dem Laster der Trunksucht ebenfalls fröhnte, war noch berauschter als er und empfing ihn nach ihrer Gewohnheit mit einem Strom von Schimpfworten. Ihn übermannte der Zorn und in seiner durch den Trunk gesteigerten Erregtheit ergriff er ein Handbeil und versetzte dem keifenden Weibe einen heftigen Schlag über den Kopf, so daß es todt zur Erde niederstürzte. Er verbarg die Leiche, suchte eine Kneipe auf und um 2 Uhr Nachts schleppten ihn von dort Bekannte, da er sich im Zustande sinnloser Betrunkenheit befand, nach seiner Wohnung. Was er in den nächsten Stunden gethan, schwebt jetzt seiner Erinnerung nicht mehr deutlich vor; doch glaubt er sich noch entsinnen zu können, daß er den Leichnam mittelst des sehr scharfen Handbeils und eines Messers in 2 Hälften theilte. Auch weiß er noch, daß er nach einem anderen, auf 2 Seiten geschliffenen Handbeile, das sich in seiner Wirthschaft befand, suchte, ohne es finden zu können. Nachdem dieses haarsträubende Werk vollendet war, legte er die eine Hälfte des Körpers in einen großen kupfernen Kessel und steckte die andere in einen Sack, den er auf die Schultern lud. Er verließ das Haus und stand in der Straße. Die Nacht war nicht allzu finster und hell genug, um die vorübergehenden Personen zu erkennen. Mestdagh traf aber keinen seiner Bekannten. Er setzte sich in Marsch, ohne zu wissen, wohin er sich mit seiner grauenhaften Bürde wenden solle. […] Bei Einbruch der Nacht kehrte er nach Hause zurück und begann, den Leichnam mit dem Messer zu skeletiren, d. h. das Fleisch von den Knochen zu lösen, um in dieser Weise das Gewicht des Knochengerüstes zu verringern. Die abgeschnittenen Fleischfetzen warf er in einen Kessel, den er, so oft derselbe gefüllt war, in die tiefe Senkgrube des Hauses leerte. Als endlich die nackten Knochen und der Kopf dalagen, packte er diese Reste wieder in einen Sack und begab sich von neuem in den Friedhof. [etc. steigt über Mauer und vergräbt] […] Wie bereits erwähnt, ist das Verbrechen erst jetzt, also fast ein halbes Jahr nach der That, entdeckt worden. Als nämlich die Verdachtsgründe gegen Mestdagh wegen des unerklärlichen Verschwindens seiner Ehefrau sich häuften, schritten die Behörden zur Ausschöpfung der Senkgrube und es wurden die 157 Fleischstückchen herausgefischt. Die Knochen des Leichnams hat man noch nicht zur Stelle, da der Mörder behauptet, die Stelle, wo dieselben auf dem Friedhofe vergraben sind, nicht angeben zu können und die Nachforschungen blieben bis jetzt vergeblich.“[1]
Im Original nachlesbar
Zu dieser grauenvollen Geschichte gibt es nicht viel, aber etwas Niederländisches im Netz, und zwar die Originalnachricht übertragen von dort. Und genau da wird es spannend, wie sehr Zeitungsmeldungen auch voneinander abweichen und eine Täter-Opfer-Umkehr (auch Victim Blaming genannt) stattfinden kann.
In der niederländischen Originalnachricht kann man lesen, dass Jeanne von ihrem Ehemann mehrfach brutalst misshandelt worden war, wovon die Tochter mitbekommen hatte und ihre Mutter suchte. In der deutschen Nachricht ist die Frau das keifende Weib, das dem Mann dadurch ein ‘Motiv’ liefert, sie zum Schweigen zu bringen. Die Kinder, die ihre Mutter vermissten und die Mär vom plötzlichen Verschwinden nicht glaubten, bestanden auf polizeiliche Nachforschungen.
Man fand die Leichenteile der Frau dann zwar wie beschrieben; dass die Frau aber im Streit mit ihrem Mann lebte, gehe auf Behauptungen einer Nachbarin zurück, mit der der Ehemann Jeannes fremdging. Erst dann gab Mestdagh zu, dass er es war und wo genau er die Gebeine vergraben hatte: “Mestdagh war erst 33 Jahre alt; seine Frau war fast 50 und hatte ein gewisses Vermögen. Die Gier scheint also auch bei diesem schrecklichen Verbrechen eine Rolle zu spielen.” (Google-Übersetzung)
Quellenforschung
Wenn möglich, sollte man stets mehrere Quellen überprüfen auf genau solche bedeutenden Unterscheidungen, damit es zu keiner Täter-Opfer-Umkehr kommen kann wie in der deutschen Zeitung. In diesem Fall wurde durch die deutsche Berichterstattung dem Opfer zusätzlich furchtbares Unrecht angetan. Interessant wäre noch, wenn man herausbekommen könnte, über wie viele Wege die Originalnachricht nach Deutschland in die Presse kam. Zwar gab es damals bereits so etwas wie eine Presseagentur zur Nachrichtenübermittlung, aber Sie wissen ja bestimmt alle selbst, wie sich Nachrichten beim einfachen Spiel Stille Post über wenige Menschen verteilt verfälschen können.
Obige Nachricht ist nur eine von vielen Dutzenden, aus vielen Ländern und Regionen. Wenn ich Zeit finde, veröffentliche ich mehr davon. Besser wäre hingegen eine fundierte Quellenpublikation all dieser Nachrichten, auch als weitere Forschungsgrundlage.
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Einzelnachweis
[1] Augsburger Neueste Nachrichten, No. 17. Sonntag den 20. Januar 1878, S. 136.
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