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Beethovens & Mozarts verschollenes Oboenkonzert – Spur in Augsburg

Oboenkonzert von Beethoven UND Mozart – heiße Spur in Augsburg © Collage mit Bildern der wikimedia.commons (gemeinfrei)
Oboenkonzert von Beethoven UND Mozart – heiße Spur in Augsburg © Collage mit Bildern der wikimedia.commons (gemeinfrei)

Seit 2002 gibt es nichts Neues mehr zu Beethovens verschollenem Oboenkonzert, von dem nur noch Stückelwerk existiert. Das originale Manuskript zu Mozarts Oboenkonzert fehlt ebenfalls – komplett. Auch Abschriften oder einzelne Teile davon sind nicht bekannt, von Mozarts Werk besteht immerhin eine Kopie in Salzburg. Ein Zufall, dass beide Originale fehlen? Nein. Ob man mit meinen neuen Spuren diesem alten Rätsel der Musikwissenschaft nun auf die Spur kommen kann?

2017 wurde in Salzburg ein Hinweis auf das Mozartsche Werk entdeckt – dort wurde es zumindest gespielt, aus dem Originalmanuskript. Ab da verlief sich die Spur wieder. Bis jetzt. Im Spätsommer 2019 fand ich erste weitere Hinweise durch meine langjährige Beschäftigung mit historischen Augsburger Tageszeitungen, von denen ich bislang neun zwischen 1746 und 1885 auf Musik- und andere interessante Meldungen untersucht habe.

Geheimnis in der unteren Altstadt?

Dadurch weiß ich, wo sich beide Original-Manuskripte zeitgleich befunden haben. Nicht bei Diabelli oder Artaria in Wien, sondern – genau – in Augsburg. Und sie standen dort in Zusammenhang mit dem Wirken des bislang völlig unbekannten Oboisten und Flötisten des historischen Augsburger Stadttheaters – Konrad Reichardt –, der auf diese Werke ein Auge hatte oder – wenn er schlau genug war (und das war er) – sich Abschriften davon angefertigt haben könnte! Und wer beide Werke nach Augsburg brachte, wo sie gespielt wurden und wie sie beim Publikum ankamen. Konrad Reichardt war nämlich der Schüler einer ganz, ganz großen musikalischen Wiener Ikone der Zeit: Ernest Krähmer. „Beethovens & Mozarts verschollenes Oboenkonzert – Spur in Augsburg“ weiterlesen

Musikfeminismus: Namensgeheimnis um S. Jessel gelöst! +++Update+++

+++Update 15. März 2024+++
Um Missverständnisse zu klären: Das Namensgeheimnis zu Sara Jessel wurde bereits gelöst, und zwar von Kristina Krämer, recherchiert und veröffentlicht in Musik und Musiker am Mittelrhein 2. Dieser wurde mir vor der Recherche bzw. Veröffentlichung zu diesem Blogartikel in der Websuche nicht angezeigt bzw. fand ich keine Treffer für Sara Jessel, wovon ich dann ausging, dass ich hier neu in der Recherche anfangen muss, woraus sich untenstehender Bloginhalt ergeben hat bzw.  eine Parallel- bzw. Nachrecherche. Es war nicht meine Intention, bereits Bestehendes absichtlich zu übergehen.

Nun dokumentiert mein Blogbeitrag aber, wie Forschung funktioniert und welche Gedankengänge und Fragen dahinterstehen. Immerhin ließe sich noch einiges in den bereits bestehenden Artikel ergänzen. Der bereits bestehende Artikel zu Sara Jessel wurde laut Aussage eines befreundeten Bibliothekars nicht gut genug indexiert (ist auch nicht gesichert im Netz als http unterwegs) und wird folglich nicht richtig und nicht von allen Suchmaschinen erkannt oder nur indirekt angezeigt, was suggeriert, dass noch nichts dazu existiert.

Aus diesem Grund kontaktierte mich auch eine Bibliothekarin des Frankfurter Senckenberg-Archivs zu Sara Jessel um Lebensdaten und andere Informationen, weil selbst sie nichts zu Sara Jessel finden konnte. Weil ich dann nachrecherchierte, konnte ich ihr diese Daten liefern. Mit weiteren Funden kam mit dann die Idee, gleich einen Blogbeitrag dazu zu schreiben. Nach meiner Blogartikelveröffentlichung am 8. März kontaktierte mich dann Kristina Krämer und zeigte auf, dass es dazu bereits einen Lexikoneintrag gibt, was ich umgehend hier als auch in allen Plattformen, auf denen ich etwas dazu gepostet hatte, aufzeigte.

Nichtsdestotrotz lasse ich meinen untenstehenden originalen Blogeintrag unverändert, da er aufzeigt, wie in einem Fall einer noch unbekannten Person gedacht werden muss, um Einzelheiten zu ihrem Leben und Wirken wiederzufinden.
Auch manche MUGI–Personenartikel zum Beispiel werden von der Suche nicht erkannt, was möglicherweise damit zusammenhängen kann, dass sich in ihren URL kein Personenname befindet, sondern nur eine Nummer, die die Suchmaschine oft nicht in Zusammenhang bringen kann. Jedenfalls interessante Phänomene, die dabei helfen können, insgesamt Forschungssituationen und Technik zu verbessern. Daran können wir alle nur lernen ♥

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Gewidmet Eva Rieger

S. Jessel – bislang unbekannte Person, deren geistreicher Vortrag zum Thema vergessene Komponistinnen vielfach in wissenschaftlicher Literatur der Frauenmusikforschung zitiert wurde. Ihre Worte – gehalten in einer flammenden Rede bei einem Treffen der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins am 25. April 1898[1] in Frankfurt am Main – lesen sich teils noch immer hochaktuell:

“Warum giebt es so wenige Componistinnen? Ich möchte den Versuch wagen, einen Nachweis zu liefern, warum die Zahl der komponierenden Frauen eine so geringe ist”, erstmals wiederveröffentlicht von Eva Rieger im Jahr 1980, ganz am Beginn der Frauenmusikgeschichtsforschung. Was für eine tolle Arbeit, solche lange verborgenen Texte wiederzufinden und zusammenzutragen, lange bevor es Google & Co. gab.[2]

Pionierinnen

Heute sind wir dank der Arbeit dieser hartnäckigen Pionierinnen weiter, denn wir fragen uns nicht mehr, warum es so wenige Komponistinnen gibt, sondern: Warum kennt man diese Abertausenden heute bekannten Komponistinnen kaum? Die Suche nach ihnen ist die eine Baustelle, die Verbreitung des Wissens und die Bewusstmachung um sie eine andere. Und auch ein anderer Erzählstrang, daher wieder zurück zu S. Jessel.

S. Jessel: Wer steckt hinter dieser rätselhaften Namensabkürzung?

Diese Woche erreichte mich eine E-Mail einer Bibliothekarin der Musikabteilung Frankfurter Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg – Brigitte Klein (die mir neulich dabei half, einen Brief der jüdischen Clara-Schumann-Schülerin Emilie Goldberger (1858–1942) einsehen zu können) –, die vor einem Problem stand: Sie habe da eine Doublette in der GND (Gemeinsame Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek), darin unklare Namensangabe, es scheine sich aber um eine Komponistin zu handeln und ob ich dabei helfen könne, dieses Rätsel zu lösen.

Klar, denn mit diesem Problem habe ich mich nebenbei bereits befasst, weil mir diese Person der S. Jessel auch immer wieder mal über den Weg lief. Der erste Weg der Recherche führt ins Internet. Wenn Google nichts hergibt, dann schaut man als nächstes in puncto historischer Literatur in die Google Books. Pronto! Auf Anhieb gefunden, und mit der ersten Spur gings leichter von der Hand.

Eine Komponistin!

S. Jessel war tatsächlich eine Komponistin. Sogar eine “Vocalcomponistin”[3]. Mit vollem Namen hieß sie Sara Frommaid Jessel, geboren 1855 in Hamburg, gestorben 1900 in Frankfurt am Main. Ihre Eltern waren der Rentier Sigmund Jessel und Sara Jessel geb. von Hirsch.[4] Waren ihre Eltern jüdisch? Die Vornamen Sara und Frommaid lassen durch Namensvergleiche darauf schließen. Sara Jessels Vater Siegmund lässt sich in ein paar Hamburger Zeitungen nachweisen: 1864 half er einem Israel Isaac, ein Testament des verstorbenen Isaac Israel aufzusetzen, das 1865 publiziert wurde.[5] Siegmund Jessel arbeitete als Immobilienmakler und hatte zusammen mit einem Partner seinen Geschäftssitz in Große Bleichen Nr. 45.[6] Siegmund Jessel starb früh: Im Jahr 1872 bereits im Alter von nur 38 Jahren.[7]

Einigen spärlichen Zeitungsfunden nach erlebte Sara Jessel beruflichen Erfolg und Anerkennung durch diese größere Kreise gezogene Rede. Wie aktiv war sie in der Frauenbewegung? Welche Rolle hatte sie im Speziellen in der Frankfurter Ortsgruppe? Nach ihrer fulminanten Rede wurde auch die englischsprachige Presse auf sie aufmerksam und bewarb “a trio in B minor and some solo pieces for violin and violoncello” mit der Bemerkung, dass “Fräulein Sarah [sic] Jessel” in Berlin wohne.[8]

Im Februar 1900 lässt sich Sara Jessel in Frauenleben nachweisen: “Componistin Sarah Jessel aus Frankfurt a. M. hat im „Bechstein=Saal zu Berlin“ ein Concert veranstaltet, in welchem nur Compositionen von ihr aufgeführt wurden, und das fast von der gesammten Berliner Kritik mit lebhafter Anerkennung besprochen wird. Man erkennt allgemein die Begabung der Komponistin an und rühmt besonders ein Clavier=Trio H=moll, welches sich durch reichen Gedankeninhalt und anmuthige Form auszeichnet. Auch einzelne ihrer Lieder legen von dem reichen Talent der Componistin Zeugnis ab.”[9]

Im Feuilleton

Wohl zu diesem Konzert schrieb das Feuilleton der Frankfurter Zeitung mit Bericht vom 7. Januar 1900 aus Berlin: “Die verflossene Woche stellte in der That die Autoren in den Vordergrund gegenüber dem überwuchernden Virtuosenthum. […] Eine Komponistin, eine, die wirklich den Namen verdient, lernte ich in Frl. Sara Jessel = Frankfurt kennen. Ein Klavier=Trio zeigt manchen schönen Gedanken und tüchtige Kenntnisse. Das Thema des ersten Satzes und das Triothema mit seinem graziös geschnörkelten Ornament sind reizend in der Erfindung. In den Schlußsatz schleichen sich manche Trivialitäten ein, die den guten Eindruck etwas abschwächen.”[10]

Nun wissen wir bereits um eine Handvoll ihrer Werke – Klaviertrios schienen es ihr angetan zu haben.

Hat sich im Bechstein-Archiv gegebenenfalls noch ein Programmzettel erhalten? Hier müsste man auch in historischen Berliner Blättern weitersuchen, die wahrscheinlich noch ausführlicher berichteten und noch mehr Werke genau benannten: Wer hat diese Werke einstudiert und gespielt? Je mehr Namen, desto leichter lassen sich Netzwerke nachzeichnen. Wen kannte sie dort? Wie kam sie nach Berlin? Wo lebte sie dort? Wurde sie dorthin eingeladen? War sie auch dort um ihre Rede begehrt in feministisch-musikalischen Kreisen? Wer befand sich darin? Wo finden sich ihre Werke für eine Wiederaufführung heute?

Nachbarin von Clara Schumann?

Wohnort von Sara Jessel, Myliusstraße 50, Frankfurt/Main © Karsten Ratzke (wikimedia.commons CC0)
Wohnort von Sara Jessel, Myliusstraße 50, Frankfurt/Main © Karsten Ratzke (wikimedia.commons CC0)

Aus Sara Jessels Totenschein geht noch hervor, dass sie in Frankfurt in der Myliusstraße 50 gewohnt hat und am 7. Oktober 1900 vormittags um 11 Uhr in ihrer Wohnung gestorben ist. Ihren Tod machte dem Frankfurter Standesamt ein Sargfabrikant namens Carl/Karl Gevers am 8. Oktober bekannt. In welchem Verhältnis stand er zu ihr? Von Sara Jessels Tod sei er “nach eigener Wissenschaft unterrichtet”, wie man sich damals etwas feierlich-umständlich ausdrückte. Hatte er sie tot aufgefunden? War er bei ihr, als sie – ledig geblieben – starb?[11] Woran starb sie und warum so jung? Den Triumph, nach hartnäckigem Kampf 1919 das Frauenwahlrecht zu erhalten, hat sie nicht mehr erleben können.

Beim Stichwort Myliusstraße klingelt etwas. Genau! In der Myliusstraße 32 lebte nämlich Clara Schumann zusammen mit ihrem todkranken Sohn Felix (1854–1879) und ihren Töchtern Marie (1841–1929) und Eugenie (1851–1938) – Letztere war lesbisch, lernte in den 1870er Jahre ihre Lebensgefährtin Marie Fillunger (1850–1930) kennen, lebte bis 1889 in einem Zimmer der Myliusstraße 32 und zog 1891 nach einer Auseinandersetzung ohne “Fillu” nach England (es gab aber ein Happy End).[12] Die bedeutendste und legendärste Pianistin (und Komponistin) des 19. Jahrhunderts hatte das Haus mit der Nummer 32 im Oktober 1878 bezogen, 1882 gekauft und starb darin am 20. Mai 1896.[13]

Sofort ploppen weitere Fragen auf: Lebte Sara Jessel zu ihren Lebzeiten in unmittelbarer Nachbarschaft Clara Schumanns? Kannte sie sie und ihre Töchter persönlich? Ein Blick in digitalisierte Adressverzeichnisse der Stadt Frankfurt hilft weiter: 1892 taucht Sara Jessel erstmals eigenständig im Frankfurter Adressverzeichnis auf, wohnend bis 1895 in der Schönen Aussicht Nr. 42 in Bockenheim (heute Adalbert-  bzw. Nassauer Straße).[14]

1896 lebte Sara Jessel dann als “Private” oder “Privatière” in der Königstraße 11/1[15] (heute Gräfstraße, Originalhaus nicht mehr erhalten), ebenso noch 1899.[16]

Das Haus in der Myliusstraße 50 gibt es noch. Es liegt gleich um die Ecke des wunderschönen Palmenhauses. Als Sara Jessel also 1899 oder 1900 in die Myliusstraße zog (oder umgezogen wurde?), gehörte Clara Schumanns Haus zu diesem Zeitpunkt bereits jemand anderem, nämlich dem Mäzenaten-Ehepaar Ernst und Gertrud Flersheim.[17] Ergo: Sara Jessel war keine Clara-Schumann-Nachbarin, lebte aber doch in sehr interessantem Umfeld!

Privatière

Privatière bedeutete, dass man sich ins Private zurückgezogen hatte, also keinen Beruf mehr ausübte. Diese Bezeichnung war auch gleichzeitig Statussymbol: Sie sagte aus, dass jemand nicht vom Staat abhängig und finanziell so gut aufgestellt war, dass man auch nicht mehr zwangsweise arbeiten musste. Da bereits ihr Vater als Privatier genannt ist, kann man daraus schließen, dass Sara Jessel gut versorgt ihren Kompositionen nachgehen und vom Geld ihres Vaters leben konnte. Deshalb war sie wohl auch nicht gezwungen, heiraten zu müssen, um durch das Gehalt eines Mannes versorgt und dadurch komplett abhängig zu sein. Als “höhere Tochter” hatte sie vermutlich obligatorisch auch das Klavierspielen gelernt.

Weitere Wege

Interessant in Sara Jessels Totenschein ist noch die Angabe, dass sie eine “freie” Religion habe. Lebte sie religionsfrei? Hatte sie sich von einem jüdischen Glauben losgesagt oder war sie gar nicht gläubig erzogen worden? Aufgrund dieser “freien” Angabe könnte sie eventuell Mitglied der Frankfurter Unitarischen Freien Religionsgemeinde gewesen sein.

War Sara Jessel über einen längeren Zeitraum tödlich erkrankt oder ist sie schnell verstorben? Wollte sie deshalb gegebenenfalls in die Nähe von Clara Schumanns ehemaligem Space ziehen, die ihr vielleicht Idol, Vorbild und Trost war? In den Reihen der Clara-Schumann-Schülerinnen wird sie in deren erster Zeit an Dr. Hoch’s Konservatorium nicht geführt. War Sara Jessel ein Naturtalent? Von wem oder womit hat sie das Komponieren gelernt? Viele neue Fragen also, die derzeit noch offen bleiben müssen, aber in interessante Richtungen weisen.

Was hier niedergeschrieben steht, habe ich innerhalb weniger Stunden in meiner Freizeit zusammengetragen. Weitere Recherchen darüber hinaus brauchen Finanzierung. Wenn Ihnen meine Arbeit und dieser Artikel gefallen, freue ich mich über eine Spende via PayPal (Knopf oben rechts). Danke.

Einzelnachweise
[1] Vgl. CRL Library Catalog, Center for Research Libraries Global Resources Network, in: https://catalog.crl.edu/Record/1fbe38ae-3660-5209-b501-5efc227845ef (Stand: 07.03.2024).
[2] Vgl. Eva Rieger (Hg.): Frühe Texte. Frau und Musik. Die Frau in der Gesellschaft. Frankfurt (S. Fischer) 1980, S. 153ff. Dieses Buch ist für kleines Geld antiquarisch erhältlich.
[3] Vgl. Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde. Leipzig, am 25. October 1900, Nr. 44, S. 587, in: https://books.google.de/books?id=R5UPAAAAYAAJ&pg=PA587&dq=Sara+Jessel&hl=de&newbks=1&newbks_redir=0&sa=X&ved=2ahUKEwjAoP2z7uKEAxUicfEDHb9pCTAQ6AF6BAgsEAI#v=onepage&q=Sara%20Jessel&f=false (Stand: 07.03.2024). “Todtenliste. […] Sarah Jessel, Vocalcomponistin in Frankfurt a. M., † daselbst am 7. Oct.“
[4] Vgl. ancestry.de, Sammlung Hessen, Deutschland, ausgewählte Sterberegister 1851–1958, Urkunde Nr.  3347, in: https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/600823933:61119 (Stand: 07.03.2024). Hier falsch als “männlich” und “Fermmaid” eingetragen.
[5] Vgl. Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Montag, den 15. Mai 1865, Nr. 114, S. 1, in: https://zeitungen.sub.uni-hamburg.de/recherche-zeitungen/detail-zeitungen?tx_dlf%5Bdouble%5D=0&tx_dlf%5Bhighlight_word%5D=siegmund%3Bjessel&tx_dlf%5Bid%5D=252309&tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bpagegrid%5D=0&cHash=6fd18222807ee44b49f3e6f9685fa858 (Stand: 08.03.2024), mit Dank an Bernd-Christoph Kämper für die Auffindung.
[6] Vgl. Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Montag, den 18. Februar 1861, Nr. 42, S. 1, in: https://zeitungen.sub.uni-hamburg.de/recherche-zeitungen/detail-zeitungen?tx_dlf%5Bdouble%5D=0&tx_dlf%5Bhighlight_word%5D=siegmund%3Bjessel&tx_dlf%5Bid%5D=298952&tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf%5Bpagegrid%5D=0&cHash=86971c6dacb78e04b3b42206f4b1becd (Stand: 08.03.2024), mit Dank an Bernd-Christoph Kämper für die Auffindung.
[7] Vgl. Hamburgischer Correspondent. Mittwoch, den 14. August 1872, S. 10, in: https://zeitungen.sub.uni-hamburg.de/recherche-zeitungen/detail-zeitungen?tx_dlf%5Bdouble%5D=0&tx_dlf%5Bid%5D=277024&tx_dlf%5Bpage%5D=10&tx_dlf%5Bpagegrid%5D=0&tx_dlf_navigation%5Bcontroller%5D=Navigation&cHash=3be65ce0b9ad77add141a117f96b5550 (Stand: 08.03.2024), mit Dank an Bernd-Christoph Kämper für die Auffindung.
[8] Vgl. The Violin Times: A Journal for Professional and Amateur Violinists and Quartet Players, vol. 7 (1899), S. 133, in: https://books.google.de/books?id=W6I5AAAAIAAJ&q=Sara+Jessel&dq=Sara+Jessel&hl=de&newbks=1&newbks_redir=0&sa=X&ved=2ahUKEwjAoP2z7uKEAxUicfEDHb9pCTAQ6AF6BAgZEAI (Stand: 07.03.2024).
[9] Vgl. Frauenleben. Blätter zur Vertretung der Frauen=Interessen. Organ des Oesterreichischen Hilfsvereins für Beamtinnen in Wien und des Deutschen Vereines zur Förderung des Wohles und der Bildung der Frauen in Prag (Frauen=Fortschritt). XII.  Jahrgang. Wien, den 1. Februar 1900. Nr. 2, S. 7f., in: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=flb&datum=19000201&seite=7&zoom=56 (Stand: 07.03.2024).
[10] Vgl. Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 44. Jahrgang, Nr. 9 (zweites Morgenblatt), Mittwoch 10. Januar 1900, S. 1, in: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/zoom/13356285 (Stand: 07.03.2024).
[11] Vgl. Einzelnachweis 4.
[12] Vgl. Eva Rieger: Art. Marie Fillunger, in: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/marie-fillunger/ (Stand: 07.03.2024).
[13] Vgl. https://www.schumann-portal.de/clara-schumanns-frankfurter-wohnhaus.html (Stand: 07.03.2024).
[14] Vgl. https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/pageview/8673691?query=Jessel (Stand: 07.03.2024).
[15] Vgl. https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/pageview/8677537?query=Jessel (Stand: 07.03.2024).
[16] Vgl. https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/pageview/8679953?query=Jessel (Stand: 07.03.2024).
[17] Vgl. Miriam Olivia Merz: Provenienzforschung: Der Fall Flersheim. WISSEN & FORSCHUNG. Blogbeitrag 16. Juli 2020, in: https://museum-wiesbaden.de/blogbeitrag-16072020 (Stand: 08.03.2024), mit Dank an Bernd-Christoph Kämper für den Hinweis.

“So entsteht eine Legende!” – Digitalisierung des mfm-Bestands

Fanny Hensel, gezeichnet von Wilhelm Hensel © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Fanny Hensel, gezeichnet von Wilhelm Hensel © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Anfang letzten Jahres hatte ich die Ehre, wieder einen Beitrag für das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) zu verfassen. Im Jahr davor war durch Mary Ellen Kitchens – im Vorstand des Archivs Frau und Musik in Frankfurt/Main – angestoßen worden, die Programmhefte des seit 1988 agierenden Vereins musica femina münchen (mfm) zu digitalisieren, der etliche Erst- und Uraufführungen für sich verbuchen kann einschließlich der UA von Fanny Hensels Klavierquartett As-Dur 1989.

Bedeutende Komponistinnen-Sammlung

Seit wenigen Jahren befindet sich die Sammlung von mfm bzw. das Komponistinnen-Archiv München (KAM) im Archiv Frau und Musik, wo es für Forschungszwecke und Auswertungen eingesehen werden kann.

Die liebevoll von Hand und handschriftlich gestalteten Programmhefte zeugen von einer unglaublichen Spiel- und Aufführungsfreude, diese zu lange negierten Leistungen von Komponistinnen wieder sicht- und hörbar zu machen. Auslöser dazu war ein Frauenmusikfest 1987 in München, das vor allem der Rockmusik galt. Ein Testkonzert im Gasteig, ob sich auch klassische Werke von Frauen lohnen, sprengte mit rund 400 verkauften Tickets begeistert den zuvor argwöhnisch beäugten Rahmen.

“So entsteht eine Legende!”

Für seine weitere Pionierinnen-Arbeit wurde mfm mit dem Anita-Augspurg-Preis für das Jahr 1998 ausgezeichnet. Ein Logbuch – ein Konzerttagebuch – ist das Highlight der mfm-Sammlung: Darin hielt die erste mfm-Generation ihre Gedanken zu Aufführungen, zu Konzertbesprechungen, zu Kritik, zum Celibidache-Skandal und einigen weiteren Ereignissen einschließlich dem vom ersten mfm-Konzert beflügelten Ausspruch “So entsteht eine Legende!” fest.

Lesen Sie hier den neuen DDF-Blogbeitrag zur Programmgeschichte von mfm einschließlich einiger vorgestellter digitalisierter Exponate, um mehr über dieses bedeutende Wirken dieses kleinen Vereins in München zu lesen, der sehr dazu beiträgt, dass – gemäß den Marketing-Slogans Münchens – die Stadt leuchtet und bunt bleibt.

Weitere von mir verfasste und im DDF erschienene Blogbeiträge:

♣ Susanne Wosnitzka: “So entsteht eine Legende!“ – Digitalisierung der Programmbestände von musica femina münchen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2024.
♣ Anne-Marie Bernhard/Susanne Wosnitzka: Akteurinnen: Elke Mascha Blankenburg, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2021.
♣ Anne-Maire Bernhard/Martina Bick/Susanne Wosnitzka: Packend wie ein Ringkanon: Das Netzwerk Frau, Musik und Gender, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2020.
♣ Anne-Marie Bernhard/Martina Bick/Susanne Wosnitzka: “Shout, shout, up with your song!” Formen der Vernetzung von Frauen in der Musikkultur, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2020.
♣ Anne-Marie Bernhard/Julian Fischer/Elisabeth Treydte/Susanne Wosnitzka: VivaVoce: Vom Vereinsrundbrief zur Fachzeitschrift, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2019.
♣ Martina Bick/Susanne Wosnitzka: Und sie spielten, sangen, komponierten und dirigierten doch: DIe lange verschwiegenen Frauen in der Musik!, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv 2019.

WAB, G, BWV, L, B, HWV, D, HWV & HLV – HEGDL!

WAB, G, BWV, L, B, HMV, D, HWV und HLV – HEGDL*! Neusprech, Sprachunfälle oder Geheimcodes? Letzteres! Falls Ihnen diese Buchstaben-Abfolgen schon mal irgendwo aufgefallen sind, Sie sich aber keinen Reim drauf machen konnten. Es sind Abkürzungen von Werkverzeichnissen in der Musik!

WAB = Werkverzeichnis Anton Bruckner, G = Luigi Boccherini, L = Claude Debussy, B = Frédéric Chopin, HWV = Georg Friedrich Händel, D = Franz Schubert, HWV = Fanny Hensel Werkverzeichnis, HLV = Fanny Hensel Liedverzeichnis.

Köchel-Verzeichnis Deckblatt © wikimedia.commons CC BY-SA Mateus2019
Köchel-Verzeichnis Deckblatt © wikimedia.commons CC BY-SA Mateus2019

Wir kaufen ein D

What? Warum soll D für Franz Schubert stehen? Da ist doch gar kein D in seinem Namen drinne?! Manche Werkverzeichnisse wie bei BWV sind auf den Komponisten gemünzt, damit es sofort klar ist, um was es geht. Es war eine immens nerdige Aufgabe, solch Werkverzeichnisse überhaupt zusammenzutragen. Das kam im Zuge des sogenannten Geniekults auf, der kurz nach Mozarts Tod einsetzte und ein neues Feld in der Musikwissenschaft ansetzte, auch mit dem Ehrgeiz verbunden, herauszubekommen, was das erste und was das letzte Werk eines Komponisten war.

Ich schreibe hier zunächst im Maskulinum, weil das alles einst nur auf die Werke von Männern ausgerichtet war, weil man in diesen frühen Zeiten noch glaubte, dass nur Männer zu solchen Geniestreichen fähig gewesen wären. Für die Werke von Frauen hat man sich deshalb nicht interessiert. Frauen waren für diese Art Forschung aber immens wichtig: Ohne sie wäre nämlich das Zusammenhalten der Werke oft gar nicht möglich gewesen. So hat zum Beispiel Clara Schumann auch die Werke ihres Mannes Robert zusammengehalten und herausgegeben. Ohne ihre Arbeit und Aufführungen würden wir die meisten seiner Werke gar nicht kennen.

Frauen in der ersten Reihe

Constanze Mozart hat die Werke ihres Mannes zunächst zusammengehalten und erst um 1800 aus Geldmangel verkauft – an den Musikverleger André, der damit 1841 ein Werkverzeichnis mit dem Vorhandenen erstellte. Ludwig von Köchel hat sich aber noch akribischer damit befasst und 1862 ein neues Verzeichnis erstellt, das fortan seinen Namen trug als Ehre für diese immens wichtige Arbeit. Im Lauf der Forschung kamen dann durch weitere Auffindungen Einschübe hinzu:

So gibt es ein KV 206 (Marsch in D-Dur), KV 207 (Violinkonzert) und ein KV 206a (Cellokonzert). Bei Letzterem fand man heraus, dass es nach dem bereits bestehenden KV 206 und vor dem bereits bestehenden KV 207 entstanden ist. Daher dann diese Ausweichlösung mit dem ‘a’. Es gibt diverse Restaurants mit Musikbezug, die ihre Speisekarte ‘Köchelverzeichnis’ nennen. Da freut man sich dann immer beim Essen.

Ein vollständiges BWV zu erstellen war nur möglich, weil in Berlin ein Johann Sebastian Bach’scher Superfan saß, nämlich Anna Amalia von Preußen, Schwester des ‘Alten Fritz’ und selbst Komponistin. Sie sammelte alles, was sie zu Johann Sebastian Bach in die Finger bekommen konnte und wies in Berliner Dialekt Widmungen von Werken moderner Komponisten wie Christoph Willibald Gluck als ‘neumodischen Scheiß’ zurück.

Nr. 1 ≠ Nr. 1

Nicht immer muss ein Opus 1 auch die allererste Komposition sein, denn in alter Zeit war es üblich, dass mit Opus 1 das allererste gedruckte Werk gemeint war. Beethoven hat seine handgeschriebenen Sachen nach Druck nicht mehr beachtet. Für ihn war das dann Makulatur und Altpapier ohne Wert. Fans haben sich dann daraus bedient, und vielleicht wurde erst dadurch ermöglicht, dass sein verschollenes Oboenkonzert gegen widriges Wissen auf Reisen gehen konnte und unter anderem in Augsburg gespielt wurde, was ich vor 2 Jahren auf teils verbotenen Wegen herausfinden konnte. Der Schlüssel, um das Original oder Abschriften wiederzufinden?

Von Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy haben sich rund 450 Kompositionen erhalten, die über viele Jahrzehnte niemanden interessiert haben. Eva Rieger fand sie Anfang der 1980er Jahre in der Mendelssohn-Sammlung in Berlin achtlos auf einem Stuhl aufgeschichtet, ohne jeglichen Schutz. Barbara Heller, Elke Mascha Blankenburg – Mitgründerinnen des Archivs Frau und Musik – haben sich dann daran gemacht, auch ihr Werk zu untersuchen, einzuordnen, zu drucken und wiederaufzuführen. Eine unglaubliche Pionierinnen-Arbeit!

Erst im Jahr 2000 konnte Renate Hellwig-Unruh durch diese Vorarbeit das erste Fanny-Hensel-Verzeichnis herausgeben. Kurze Zeit später hat man eines zu Clara Schumann zusammengetragen; es hat allerdings bis heute keinen ‘richtigen’ Namen oder keine Abkürzung CSWV würde ich hier vorschlagen. In diesem Portal findet sich Clara als junges Mädchen ganz rechts im Headerbild.

Nachhaltigkeit benötigt

Sie sehen: Zu Komponistinnen gibt es erst seit rund 50 Jahren fundierte Forschung; es gibt also jede Menge aufzuholen. In Tübingen wurden beim diesjährigen Komponistinnen-Festival (29. September bis 8. Oktober 2023) mehrere Lieder Josephine Langs aus der Zeit um 1850 ur(!)aufgeführt. Sie hat noch gar kein fixes Werkverzeichnis. Arbeit ohne Ende, die sich lohnt. Arbeit, die diese Arbeit von verstorbenen Frauen ehrt. Weil es nicht einfach Werke von Frauen sind, sondern weil sie es wesentlich schwerer hatten, ihre Werke überhaupt zu schreiben und zu veröffentlichen. Und: Weil es genauso GUTE MUSIK ist!

P.S.: Eine Liste mit Werkverzeichnissen (unvollständig) finden Sie hier. Dort können Sie herausfinden, wofür das D bei Franz Schubert steht.

* HEGDL hingegen ist eine Abkürzung aus der Jugendsprache und bedeutet Hab Euch Ganz Doll Lieb

Emilie Goldberger, unbekannte jüdische Clara-Schumann-Schülerin wiederentdeckt

Goldberger-Autograph © Susanne Wosnitzka
Goldberger-Autograph © Susanne Wosnitzka

Clara Schumann kennt man als bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts – eine Ikone, weltweit verehrt und geschätzt, zu der man bisweilen auch heimlich wie die legendäre Ethel Smyth ins Konzert schlich. Eine Emilie Goldberger (1858–1944) – deren Klavierspiel im Vielvölkerstaat Österreich, Deutschland und Frankreich ebenfalls zu Beifallsstürmen hingerissen hat und die bei Wiens bedeutendster Salonière Berta Zuckerkandl ein und aus ging – kennt heute niemand mehr. Sie war eine, die zu Clara Schumann von Wien nach Frankfurt pilgerte, um – mit glänzendsten Noten das Wiener Konservatorium abgeschlossen und bereits als aufstrebende Pianistin begehrt – ihr Spiel bei dieser großen Meisterin noch zu vervollkommnen.

Bei Clara Schumann in Frankfurt/Main

Über Emilie Goldberger als Schülerin Clara Schumanns war bis jetzt nichts bekannt. Ich fand sie, als ich historische Augsburger Tageszeitungen auf Musiknachrichten untersuchte. Aus einer kleinen Konzertanzeige entwickelte sich eine berührende Aufblätterung einer verschütt gegangenen Biografie einer faszinierenden Persönlichkeit des Wiener Fin de Siècle und darüber hinaus.

Von Frankfurt aus reiste Emilie Goldberger für rund vier Jahre durch Europa mit besonderem Aufenthalt in Paris. Wen konnte sie dort kennenlernen? Wer hörte ihr dort zu? Einiges kam wieder ans Tageslicht bis in höchste Kreise der Stadt an der Seine, doch leider ist noch sehr, sehr viel zu ihrem Leben und Wirken unbekannt.

Und so glänzend Emilie Goldbergers Karriere begann und aufblühte, so jäh und brutal endete ihr Leben qualvoll als 83-Jährige im Ghetto Theresienstadt. Eine von rund 50.000 aus Österreich, Wien und Umgebung, die vom Wiener Aspang-Bahnhof in den Tod gefahren wurde, eine von über 6.000.000 jüdischen Menschen, die man im Nationalsozialismus gewollt, kalkuliert und organisiert zu Tode gebracht hat.

Webpräsenz für Emilie Goldberger

Normalerweise blogge ich über meine Funde. Zu Emilie Goldberger war das Aufgefundene aber trotz dieser erst kurzen Forschungsspanne (in meiner Freizeit noch dazu) so umfangreich, dass ein einzelner Blogartikel nicht mehr ausreichte. Daher erstellte ich eine von meiner Webseite ausgekoppelte Webpräsenz, in der Sie über Emilie Goldberger erfahren können, eine Timeline mit ihren bislang bekannten Lebens- und Schaffensstationen und Netzwerken sowie ihr Parade- und Konzertrepertoire finden können.

Derzeit (Oktober 2023) ist ein Aufsatz zu ihr fertig, der Ende dieses Jahres in einem renommierten Forschungsinstitut zur Musikgeschichte des Ghettos Theresienstadt erscheinen wird. Eine gedruckte Veröffentlichung auf Englisch in den USA ist angedacht. Die Goldberger-Webpräsenz wird je nach Fundlage laufend aktualisiert.

P.S.: Nicht nur mit Emilie Goldberger konnte ich jüdische Kultur- und Musikgeschichte wieder sichtbar machen. Ins Jüdische Kulturmuseum Augsburg habe ich mittlerweile zwei Privatbände zu jüdischer Geschichte aus historischen Augsburger Tageszeitungen der Jahre 1746 bis 1858 zur Auswertung eingebracht. Ein dritter Band, der bis zum Jahr 1885 reichen wird, ist in Arbeit. Eine offizielle kommentierte Publikation aller drei Bände mit ihren O-Tönen für weitere Grundlagenarbeit wäre wünschenswert.

Hiding Lesbianism. Zu “Ottilie von Goethe – Mut zum Chaos”

Eine Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum, 23. Juni bis 3. September 2023

Betritt man das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt (dessen Haupteingang wie der Seiteneingang einer Tiefgarage anmutet, während man kurz überlegt, wo denn der richtige Eingang sei), schlägt einem dunkle und bei diesem heißen Sommerwetter angenehme Kühle entgegen. Verkündet an der Außenfassade ein großes Plakat vom Vorhandensein eines temporären Juwels (und die allerallermeisten Ausstellungen über Frauengeschichte sind solche Juwelen in einer noch immer nicht paritätisch ausgelegten Geschichtslehre) der Sonderausstellung Ottilie von Goethe – Mut zum Chaos, muss man sich im Inneren dazu durchfragen, weil es dafür in den Keller geht und man im Foyer leider keine weitere Hinleitung zur Ausstellung findet. Ein selbiges Plakat oder ein Aufsteller hätten am Zu- bzw. Abgang noch besser gewirkt. Begibt man sich über die Treppen nach unten, wird man rechts an der Wand von einem Zitat Johanna Schopenhauers (1766–1838) in Großlettern empfangen: „Ottilie […] liebenswürdig, unerträglich, verrückt, geistreich – wie Sie’s kennen.“

Lebensstationen veranschaulicht

Ottilie von Goethe als Soldatin © Susanne Wosnitzka
Ottilie von Goethe als Soldatin © Susanne Wosnitzka

Und wie man sie dann am Schluss des Rundgangs durch die Ausstellung als heute lebender Mensch ebenfalls endlich kennen wird. Zu Anfang eine Station mit auf großes Format aufgezogenen Selbstporträts Ottilie von Goethes (1796–1872), die aus den einzelnen Buchstaben ihres Namens dazu passende Temperamente auswählte und sich selbst als diese verkleidet vom Soldaten bis hin zu einem ausgefallenen Regenbogenkostüm buntfarbig gezeichnet und ausgemalt hat. Von dort wird man weiter zu einzelnen Lebensstationen bzw. Lebenstätigkeitsbereichen geleitet: Zu einzelnen Säulen (gleichsam tragendenden Lebenssäulen oder Meilensteinen), die mit Devotionalien, Briefen, Bildern und Porträts ausstaffiert sind. Die Wände ringsum wurden für weitere riesenhafte meist Briefzitate genutzt, um nicht nur Ottilies enormen Verdienst besonders zur Frauenemanzipation treffend-sicher zu unterstreichen. Vor allem auch ihre herausragenden Leistungen als Übersetzerin und Betreiberin der Zeitschrift Chaos. „Hiding Lesbianism. Zu “Ottilie von Goethe – Mut zum Chaos”“ weiterlesen

Femmes – neue Doppel-CD von Raphaela Gromes

Vorab-Release von Raphaela Gromes’ neuer Doppel-CD Femmes: Vorbestellungen ab sofort möglich!

Vor wenigen Wochen schrieb mir Raphaela Gromes’ gute Bekannte Mary Ellen Kitchens, ob ich mir vorstellen könnte, einen Booklet-Text für die weltbekannte junge Cellistin für eine neue CD zu schreiben. Ich hatte noch eine große Veranstaltung abzuwickeln und es würde verdammt wenig Zeit dafür bleiben, aber wer sagt schon einer Größe wie Raphaela Gromes ab?

Vom Hören zum Schreiben: Femmes!

Es stellte sich heraus: Raphaela hatte in ihrem Lieblingspodcast – in einer Folge von Die Podcastin von Dr. Regula Stämpfli und Dr. Isabel Rohner – von mir gehört, die in höchsten Tönen von meiner Arbeit zu Komponistinnen erzählten. Raphaela wurde neugierig, stöberte auf meiner Webseite und war auf der Stelle überzeugt, dass ich für sie schreiben sollte. Und so geschah es. In einer bestimmten Anzahl an Wörtern oder Zeichen, mit einer pressanten Deadline. Es galt, fünf noch leere Seiten elektronisches Papier zu befüllen. Aber wo anfangen bei 23 Komponistinnen? Was hatten sie gemeinsam außer der Liebe zur Musik? Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts? Auf jeden Fall!

So erinnerte ich mich daran, was der Musikkritiker Marc Blitzstein schockiert schrieb, als er erst 1960 zum ersten Mal ein Werk der früh verstorbenen Komponistin Lili Boulanger (1893–1918) auf Schallplatte gehört hatte – Musik, die von Lilis Schwester Nadia auch zum ersten Mal überhaupt herausgegeben wurde: “Was haben wir all die Jahre an guter Musik verpasst?”

Aufgeholt!

Der perfekte Beginn, um einen roten Faden zu haben. Und dann flossen die Wörter nur so. Und zwar so gut, dass – noch ein bisschen zwischen Raphaela und ihrem Klavierpartner Julian Riem hin und her – SONY Classics überhaupt keine Änderungswünsche hatte. Auch Raphaela war erstaunt – so etwas war bei ihren bisherigen Produktionen noch nicht dagewesen!

Und heute nun eröffnete ihr Publikationspartner jpc den Vorverkauf und gab das Cover der Doppel-CD Femmes preis:

CD-Cover "Femmes" von Raphaela Gromes © Sony Classics
CD-Cover “Femmes” von Raphaela Gromes © Sony Classics

Raphaela Gromes auf Instagram (3. November 2022):
Mit mir gemeinsam musiziert mein Lieblingsorchester Festival Strings Lucerne und deren künstlerischen Leiter Daniel Dodds und natürlich mein Duopartner Julian Riem, die Traum-Zusammenarbeit wird noch ergänzt durch meine Lieblings-Tonmeisterin Marie-Josefin Melchior und die unglaubliche Susanne Wosnitzka, die einen mitreißenden Booklettext verfasst hat! Danke an euch alle, es war und ist ein unglaublich beglückendes Projekt für mich und ich freue mich auf alles, was folgt!”

Release – save the date!

Es folgt der offizielle CD-Release am 3. Februar 2023 und das Release-Konzert mit dem gesamten Orchester am 5. Februar 2023 im Münchener Prinzregententheater, für das nur noch wenige Plätze frei sind. Ich freue mich sehr, ein Teil dieses herausragenden CD-Projekts zu sein und auf weitere Veranstaltungen im neuen Jahr!

Das Haus Malfatti in Innsbruck – Haus des Grauens?

Für den Oktober 2022 habe ich für Twitter eine Reihe mit Gruselgeschichten aus alter Zeit aus historischen Augsburger Tageszeitungen kreiert, die ich für die Jahre 1746 bis 1878 besonders auf kulturelle Nachrichten untersucht habe: Auffindbar unter dem Hashtag #Spooktober wie bereits im letzten Jahr mit den gruseligsten und erschütterndsten Berichten über Mord, Suizid, Femizid, Scheintoden und Geistererscheinungen bis hin zu Missbrauch in verschiedenen Einrichtungen.

Eine davon, die mich sprachlos machte, fand ich zur Geschichte der Stadt Innsbruck. Sie macht deshalb sprachlos, weil sie offenbar bis heute entweder nicht mehr bekannt ist oder nach wie vor verschwiegen wird. Erstmals publiziert am 26. Oktober 2022 auf Twitter – eingebettet hier – breite ich sie unten nochmals mit Einzelnachweisen und weiteren Überlegungen auf.

„Das Haus Malfatti in Innsbruck – Haus des Grauens?“ weiterlesen

Historischer Femizid in Augsburger Zeitungen

Auch zum diesjährigen #Spooktober veröffentlichte ich auf Twitter täglich einen Thread mit grauenvollen Nachrichten aus alter Zeit – nun bereits im dritten Jahr – und dieses Jahr mit Schwerpunkt auf historischem Femizid:

Dieses Jahr aus den Jahren 1876 bis 1878, gefunden in historischen Augsburger Tageszeitungen dieser Zeit, die ich im Rahmen meiner musikgeschichtlichen Forschungen bislang für die Jahre 1746 bis nun 1878 auf interessante Nachrichten aller Art abgetippt habe:

Augsburg um 1835. Stahlstich von F. Höfer © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Augsburg um 1835. Stahlstich von F. Höfer © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

„Historischer Femizid in Augsburger Zeitungen“ weiterlesen

Alte Augsburger Zeitungen in der Zeitung | Interview

Augsburger Zeitungen in der Zeitung? Vor ein paar Wochen besuchte ich das Konzert der Augsburger Pianistin Stephanie Knauer im Schaezlerpalais. Sie glänzte mit einem Strauß an historischen Komponistinnen wie Maria Teresa d’Agnesi Pinottini (1720–1795), Helene Riese (1795–1869), Cecilia Maria Barthélemon (ca. 1768 – nach 1827), Juliane Reichardt (1752–1783), Josepha (Josephine) Barbara von Auernhammer (1758–1820) sowie der Uraufführung eines Werks von Dorothea Hofmann in ihrer Hommage an die Blaugestrumpften. Darin spielte sie auf dem Neupert-Nachbau des historischen Flügels von Johann Andreas Stein, der original im Mozart-Haus steht. Auch ein Werk Ignaz von Beeckes (1733–1803) war dabei, der Johann Andreas Steins Tochter Nannette Klavierunterricht gab – wovon Wolfgang Amadé Mozart überhaupt nicht begeistert war, weil Beecke wohl kein guter Lehrer war.

Fruchtbare Kooperation

Das Interesse an Augsburger Geschichte und Komponistinnen verbindet mich uns Stephanie also – daher schlug Stephanie vor, zu mir und meinen Funden in historischen Augsburger Zeitungen ein Interview zu machen. Darin erzählte ich zu einer von mir aufgefundenen heißen Spur zu Beethovens und Mozart verschollenen Oboen-Konzerten, die aber hier in Augsburg aus Originalmanuskript von Ernst Krähmer im Stadttheater aufgeführt wurden. Oder wie Clara Schumann zu ihren Konzerten in Augsburg kam, wo sie möglicherweise übernachtete (und wo definitiv nicht), wer ihre Konzerte organisiert und wessen Flügel sie spielte. Ebenso mit Unbekanntem zu Franz Liszt, der nicht nur als Kind in der Lechstadt konzertierte. Also ganz aufregende Sachen, die aufhorchen ließen!

Stephanie Knauer: "Hier spielte die Musik im 18. und 19. Jahrhundert", in: Augsburger Allgemeine, Mittwoch 14. September 2022, Nr. 212, S. 29.
Stephanie Knauer: “Hier spielte die Musik im 18. und 19. Jahrhundert”, in: Augsburger Allgemeine, Mittwoch 14. September 2022, Nr. 212, S. 29.

Und so erschien dieser Artikel in Großformat auf halber Seite gestern am 14. September 2022 in der Augsburger Allgemeinen, zu dem bereits ein Echo vorliegt und zu neuen Ideen für Konzerte und Vorträge in Augsburg zu völlig unbekannter musikalisch-gesellschaftlich-sozialer Geschichte führen kann. Bleiben Sie also dran!

Diesen Artikel gibt es auch online als AZ-Plus-Artikel.

Interview – Was Augsburger Zeitungen erzählen | Podcast

Im Frühling 2022 wurde ich von Philipp Janssen (Historiker) zu meinen Funden in historischen Augsburger Tageszeitungen in einem Interview befragt – jetzt wurde es veröffentlicht!

Philipp bietet auf seiner Webseite Anno PunktPunktPunkt eine ganze Reihe von mittlerweile über 80 Podcast-Folgen zu aktueller Forschung aus der Geschichtswissenschaft. In jeder Folge spricht er mit einem Gast über ihr/sein aktuelles Forschungsprojekt. Dabei wird nicht nur ein Projekt an sich besprochen, sondern es wird auch darüber geredet, wie man überhaupt dazu gekommen ist, welche Quellen man nutzt und welchen Forschungsstand man vorgefunden hat. Ziel ist es einerseits dem Projekt und dem Menschen dahinter eine Öffentlichkeit zu bieten, andererseits geht es darum der Hörer:innenschaft dieses Projekt zu vermitteln.

Blick auf Augsburg 1846 © gemeinfrei/Susanne Wosnitzka
Blick auf Augsburg 1846 © gemeinfrei/Susanne Wosnitzka

In der 84. Folge mit mir geht es um Augsburg zwischen dem Mittelalter und dem 19. Jahrhundert. Um eine Gaststätte, die heute vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Die aber zu dieser Zeit den wohl weltweit größten Konzertsaal hatte. Über mich als Forschende, die weit über diese Spielstätte hinaus Geschichten und Ereignisse verschiedenster Art in historischen Zeitungen gefunden hat und viel darüber berichten kann. Und besonders zur Augsburger Frauengeschichte!

Einiges davon finden Sie in meiner Sparte blog@augsburg.de, zum Beispiel zu einem Teil der Seuchengeschichte Augsburgs oder zu Clara Schumanns und Franz Liszts Konzerten. Oder zu einem Missing Link zu einer möglicherweise neuen heißen Spur zu Mozarts und Beethovens verschollenen Oboenkonzerten. Dass beide Manuskripte fehlen, ist nämlich kein Zufall.

Unter diesem Link gehts direkt zum Podcast-Interview: https://anno-punktpunktpunkt.de/084-aus-augsburger-zeitungen

Die Präsenz der Unterrepräsentierten | Gastblog Ludwigsburger Schlossfestspiele

Seit wenigen Tagen ist mein Gastblog-Beitrag Die Präsenz der Unterrepräsentierten. Über Komponistinnen für die Ludwigsburger Schlossfestspiele online, den Sie hier über diesen Link dort abrufen können. Für die Zukunft sichere ich ihn aber auch hier zum Nachlesen:

Screenshot @ Ludwigsburger Schlossfestspiele
Screenshot @ Ludwigsburger Schlossfestspiele

»In vielen Branchen sind Frauen auch heute noch unterrepräsentiert. Für die Musik gilt diese Tatsache eigentlich nicht. Denn zu keiner Zeit in der Geschichte fehlte es an Musikschöpfungen oder kulturellem Handeln des weiblichen Geschlechts. Trotzdem gibt es eine ganze Welt an unterschlagener Musikgeschichte, die sich in der dürftigen Bekanntheit von Virtuosinnen widerspiegelt. Dabei kommt man auf der Suche nach großartigen Komponistinnen z. B. an Emilie Mayer nicht vorbei. Doch wie kommt es, dass eine zu Lebzeiten so arrivierte Musikerin schon kurz nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten ist, viele ihrer männlichen Kollegen aber nicht? Und wie ist es möglich, dass ihre Werke innerhalb kürzester Zeit aus dem Konzertbetrieb verschwanden und erst im 21. Jahrhundert wiederauftauchen? Von diesen Fragen bewegt, positioniert das ensemble reflektor Mayer genau da, wo sie hingehört: in eine Reihe mit ihren großartigen Kollegen.« 

So der Teaser zum eclipse-Programm des ensemble reflektor, das am 1. Juli auch im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele gegeben wurde. Emilie Mayer (1812–1833) passt in diesem Programm hervorragend zu Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) und Henry Purcell (~1659–1695). Und der Großartigkeit ihrer Werke nach in viele, viele andere Programme. Es passt auch deshalb zum großen Felix Mendelssohn Bartholdy, weil dieser eine durch die feministische Musikwissenschaft mittlerweile sehr gut erforschte Schwester – Fanny (1805–1847) – hatte, die ihn durch ihr Genie, ihr technisches Niveau und ihre Brillanz auf seiner Reise durch England und Schottland zu Tränen rührte: In dem Erkennen, dass es wohl doch die reinste Verschwendung und ein Fehler war, ihre Werke der Öffentlichkeit vorzuenthalten. „Die Präsenz der Unterrepräsentierten | Gastblog Ludwigsburger Schlossfestspiele“ weiterlesen

Fanny Hensels 175. Todestag | Interview

Fanny Hensel, gezeichnet von Wilhelm Hensel © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Fanny Hensel, gezeichnet von Wilhelm Hensel © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Zum heutigen Todestag der Komponistin Fanny Hensel wurde ich vor ein paar Tagen vom Bayerischen Rundfunk interviewt. Dabei herausgekommen ist ein schön verfasster Beitrag von Svenja Wisser als kurzes Portrait, hier zum Nachlesen.

Das Interview wurde heute morgen in der BR-Sendung Piazza ausgestrahlt, die man hier nachhören kann. Mit Ende des Interviews wünschte ich mir Fanny Hensels zauberschönes Gondellied (bei Uhrzeit 09:38), das sie aus ihren Eindrücken in Venedig zu Papier brachte.

In dieser Sendung wurden 23 Musikwerke gesendet. Hätte ich mir das Gondellied nicht gewünscht, wäre kein einziges Werk einer Frau im Programm der Sendung gewesen. 22:1 – das geht heutzutage dank mittlerweile vorhandenem Wissen zu Komponistinnen und vorhandenen eingespielten Werken von Frauen doch besser.

Franz Gremsers Altar aus Elfenbein – historische Sensation in Augsburg

Elfenbein. Der heute im Neuzustand aus Tier- und Artenschutzgründen verbotene Werkstoff war in den vergangenen Jahrhunderten besonders für Kunstanfertigungen kostbarstes exotisches Arbeitsmaterial. Die ältesten bislang bekannten Kunstwerke aus Elfenbein sind die sog. Venus vom Hohlefels und der sog. Löwenmensch (allerdings ohne Mähne), die rund 40.000 Jahre alt sind und die man im Tal der Ur-Donau bei Schelklingen gefunden hatte. Nicht weit davon befindet sich das kleine ehemalige Reichsstädtchen Blaubeuren mit seinem bekannten Blautopf, der auch durch die Erzählung von Eduard Mörike (1804–1875) der darin aus Sexismus heraus verbannten Schönen Lau berühmt wurde, und das ehemalige Kloster, in dem auch Friedrich Hölderlin (1770–1843) sein Abitur ablegte.

Augsburg als Elfenbeinzentrum

Dieses ehemalige Benediktinerkloster ist nicht nur berühmt wegen seiner ehemaligen Bewohner, sondern für seinen 1494 fertiggestellten Hochaltar, deren Figuren in der Werkstatt des Ulmers Michel Erhart (um 1440/45–nach 1522) und wahrscheinlich auch von dessen Sohn Gregor (um 1465–1540) geschaffen wurden. Letzterer war später Bildschnitzer und Steinbildhauer in Augsburg, und Augsburg hatte – neben München und Florenz – einen legendären Ruf als Schöpferin von Elfenbein-Intarsien und ganzer Truhen aus Elfenbein.

Eine der Augsburger Sensationen des 19. Jahrhunderts, die bis zum Erscheinen dieses Blogtexts offenbar komplett vergessen ist, war ein aus Elfenbein gefertigter Altar: Ein Nachbau des berühmten Blaubeurer Hochaltars. Doch wo befindet sich dieser heute? Eine forensisch-geschichtliche Spurensuche beginnt.
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Schwedisches Damenquartett in Augsburg 1874 – das erste seiner Art?

Das erste singende und reisende Damenquartett der Neuzeit* kam aus Schweden, das aus den Fräulein Hilda Wideberg (1841–1927), Amy Åberg (1845–?), Maria Pettersson (?–?) und Wilhelmine Söderlund (1845–1908) bestand. Sie tourten unter der Ägide ihres Impresarios Hofmann** 1874 auf Durchreise in Augsburg in der Goldenen Traube[1], von da über Stuttgart bis nach St. Petersburg und von dort offenbar in die USA, das begeistert so angekündigt wurde:

Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka
Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka

“Ein nicht alltäglicher Kunstgenuß steht dem Musik liebenden und Musik verständigen Publikum demnächst durch das Auftreten von vier jungen schwedischen Damen im Saale der goldenen Traube bevor. In Leipzig, wo bekanntlich Gesang und Musik in hervorragender Weise gepflegt wird und das Publikum nur gediegenen Leistungen eine Beachtung zollt, fand das Quartett in den prachtvollen und großen Räumlichkeiten des Schützenhauses eine nahezu enthusiastische Aufnahme. Referent berichtet nicht nach ihm gewordenen Mittheilungen, sondern es ward ihm während der Ostermesse bei dem großen Buchhändler=Bankette dieser köstliche Ohrenschmaus selbst zu Theil. Reihen wir an das vokale Programm der Damen noch das musikalische der gleichfalls rühmlichst bekannten Virtuosen, der Herren L[eopold]. Grützenmacher [Grützmacher] (ein Cellist ersten Ranges), L[ouis]. Maas (Pianist) und P[aul]. Klengel (Violin=Virtuos), so dürfen wir also einem wirklichen Künstler=Concerte entgegen sehen.”[2]
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Erste Feuerbestattung in Breslau, nicht in Dresden?

Offiziell fand die erste Feuerbestattung in Dresden statt. Aber eigentlich in Breslau. Wie das? Wie eine kleine Zeitungsnachricht zu etwas Großem wird. Gestern veröffentlichte ich auf Twitter wieder ein Geschichtsquiz, das von den 89 Teilnehmenden erstaunlicherweise richtig erraten wurde, die tatsächlich auf Breslau tippten:

Hier blättere ich den Thread für besseres Auffinden und Nachlesen noch einmal auf:

Offiziell geschah die erste moderne Verbrennung in einem eigens dafür gefertigten gasbetriebenen Ofen 1874 in Dresden. Dies hatte sich Lady Katherine Dilke für ihre Leiche ausdrücklich auch testamentarisch so gewünscht. Sie starb am 20. September 1874 im Alter von nur 26 Jahren, zwei Tage nach einer Entbindung. Die Einäscherung ihrer Leiche erfolgte am 9. Oktober 1874.[1] So steht es auch im Wikipedia-Artikel zu Feuerbestattung (abgerufen am 21. April 2022).

Reclam in Breslau

Allerdings war dies nicht die erste Verbrennung dieser Art, denn die wirklich allererste fand kurze Zeit vorher offenbar bereits in Breslau statt, wie eine Zeitungsmeldung der Augsburger Neuesten Nachrichten vom 27. September 1874 belegt. Und zwar unter Leitung von Prof. Dr. Karl Heinrich Reclam (1821–1887), der Pionier für diese Bestattungsart war, besonders hinsichtlich wegen besserer Bestattungs- u. Friedhofshygiene in Seuchenzeiten, da 1874 die Cholera besonders stark wieder in München wütete und ca. 1300 Menschen innerhalb weniger Zeit dahinraffte: „Erste Feuerbestattung in Breslau, nicht in Dresden?“ weiterlesen

Tantiemen für Caroline van Beethoven

Ludwig van Beethoven und das liebe Geld. Zeitlebens musste er dafür kämpfen, für seine Kompositionen anständig bezahlt zu werden. Tantiemen, die pro Aufführung/Druck einen Anteil gewährten, gab es damals noch nicht. Und doch bekam Beethoven Tantiemen. DIE Beethoven! Eine Frau? Ja!

Nämlich Caroline van Beethoven (1808–1891), die Frau seines Neffen Karl (1806–1858). Zwar ist bekannt, dass man für die sehr verarmte Frau in Wien Spenden durch Benefizkonzerte sammelte, wohl aber noch nicht, dass sie von München aus sogar Tantiemen erhielt für jede Aufführung von Ludwig van Beethovens Fidelio im Münchner Hoftheater: Fünf Prozent der Einnahmen auf die Dauer von zwei Jahren. „Tantiemen für Caroline van Beethoven“ weiterlesen

Die Löwinnen von Paris | Radio Lora zum Nachhören

Titelcover zu "Die Löwinnen von Paris" © Anita Raphaela Klaiber
Titelcover zu “Die Löwinnen von Paris” © Anita Raphaela Klaiber

Anfang Februar war ich zu Gast im Kofra e. V. in München mit meinem Vortrag zur unbekannten Hosenträgerin Emilie Lehmann, die Revolutions- und Emanzipationslieder verfasste, und zu den Löwinnen von Paris im Mittelpunkt, einer großen ebenfalls noch kaum bekannten Frauenbewegung in Paris, deretwegen noch im 18. Jahrhundert neue Hosenverbots-Gesetze eingeführt wurden, die – lange vergessen – offiziell bis 2013 galten.

Journalistin Elke Amberg hat mich zu meiner Forschungsarbeit interviewt, vor wenigen Tagen im Radio Lora München im Rahmen des Internationalen Frauentags ausgestrahlt wurde.

Jetzt kann man dieses Interview dort auch nachhören oder über YouTube:

Wenn Sie dieses Video ansehen, erklären Sie sich einverstanden mit den Datenschutzrichtlinen von Youtube.

Zeitgleich ist mein Aufsatz dazu auch als gedruckte Publikation erschienen:
OutSisters – InSisters – Lesben. Lesbisch-feministisches Begehren um Autonomie. Reader zum Lesbenfrühlingstreffen 2021 Bremen: «Lesbenfrühling – rising to the roots», herausgegeben von Barbara Guth und Susanne Bischoff, ISBN/EAN 978-3-347-54788-9, Preis 24.90 €/28.00 CHF. Ein dickes Buch von Gewicht: 715 Gramm, 386 Seiten, Format 24 × 17 cm, reich bebildert:

“In den umfangreichen Kapiteln «Auszüge erforschter Frauenliebe», «Feministische Perspektiven frauenliebender Frauen», «FrauenLesbenWirklichkeiten» präsentieren sodann feministische Autorinnen aus verschiedenen Ländern Ausschnitte ihrer Arbeiten für historische, kulturelle, künstlerische, körper-, gesundheits- und gesellschaftspolitische Sichtweisen lesbischer Frauen und laden zum Stöbern, Diskutieren und Forschen ein.”

Ich wünsche damit viel Freude und schöne Entdeckungen!

Klassik verstehen live | Jetzt zum Nachschauen

Der Abend (nicht nur) über Filmmusik mit Gabriel Yoran und mir

Wenn ihr letzten Freitag nicht live dabei wart, könnt ihr unseren Abend im Rahmen des 100jährigen Jubiläums der Musikbibliothek der Stadtbibliothek Köln am 18 . März hier nachschauen. Es geht um Wege zur Klassik und insbesondere um Filmmusik. Viele der fast 80 Personen im Videocall wünschten sich eine Fortsetzung. Vielleicht geht ja nochmal etwas zusammen.

“Es war noch nie so aufregend, einfach und billig einen Einstieg in die Welt der klassischen Musik zu finden.” Ob das stimmt, finden wir heraus! Gabriel Yoran liest Passagen aus seinem Buch und hört mit uns gemeinsam in Beispiele rein, die er dann zusammen mit Musikwissenschaftlerin Susanne Wosnitzka bespricht. Hier kann man die Ankündigung der Stadt Köln zu diesem Event nochmal nachlesen.

Gute Unterhaltung derweil!

Wenn Sie dieses Video ansehen, erklären Sie sich einverstanden mit den Datenschutzrichtlinen von Youtube.

Zum 8. März | Das Vorbild der Ulmerin Barbara Kluntz (1661–1730)

Am 8. März 2022, dem Internationalen Frauentag bzw. Feministischen Kampftag, veröffentlichte ich auf Twitter als @Donauschwalbe einen Thread zur Ulmer Komponistin Barbara Kluntz (1661–1730), aber nicht nur zu ihr, sondern deshalb, weil sie ein Vorbild hatte. Das haben zwar viele, aber von historischen Persönlichkeiten sind nicht so viele auch manifestierte und nachgewiesene Vorbilder bekannt.

Miniatur in einer Pariser Handschrift der Cité des Dames © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Miniatur in einer Pariser Handschrift der Cité des Dames © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Barbara Kluntz‘ Vorbild war die französische Schriftstellerin, Dichterin, wohl Musikerin und wahrscheinlich sogar auch Komponistin: Georgette de Montenay (1540–1606/07). Diese ist relativ nah an einer anderen, noch wesentlich älteren/früheren Schriftstellerin, Christine de Pizan (1364–nach 1429), die ein wunderbares Buch von der Stadt der Frauen verfasste. Darin sieht man in noch wunderbareren Bildern, wie Frauen an ihrer eigenen Stadt bauen, richtig mit Steinen und Kellen in der Hand. Für Christine de Pizan war jeder Stein eine Frauenpersönlichkeit aus der Geschichte selbst: Auf Frauen konnte sie verlässlich bauen, eine Stadt aus und für Frauen war stabil und für die Zukunft. Eine für die damalige Zeit unglaublich moderne Ansicht. Barbara Kluntz befindet sich also selbst in dieser Kette.

Hier erzähle ich den Twitter-Thread noch einmal nach: „Zum 8. März | Das Vorbild der Ulmerin Barbara Kluntz (1661–1730)“ weiterlesen

Frauen von damals trifft … Susanne Wosnitzka | Podcast-Interview

Die wunderbare Kollegin Bianca Walther, die nicht nur das Reisetagebuch von Anna Pappritz (1861–1939) wiederentdeckt und veröffentlicht hat, hat einen eigenen Podcast, die Frauen von damals rund um historische FrauenLesbenQueerGeschichte. Jeden ersten Freitag im Monat gibts ein Interview mit einer Person, die sich für die Sichtbarmachung solcher Geschichte einsetzt. Für Folge 19 wurde ich auserkoren.

Seit ca. zwei Jahren folgen wir uns gegenseitig mit großer Wonne auf Twitter als @frauenvondamals und als @Donauschwalbe und stützen uns auch gegenseitig in einem ganz wunderbaren Netzwerk weiterer Forscherinnen, Autorinnen und Kulturschaffenden.

In diesem einstündigen Interview geht es nicht nur um die von mir wiederentdeckte große Frauenbewegung der Löwinnen von Paris, um Komponistinnen und besonders Ethel Smyth (1858–1944), die mit dem The March of the Women 1910/11 eine – DIE – Hymne für die britische Suffragettenbewegung geschrieben hat, sondern vor allem darum, wie damals mein bisheriger Weg ging, sowas alles überhaupt finden und damit arbeiten und forschen zu können.

Ich wünsche viel Vergnügen!

Folge 19: Frauen von damals trifft … Susanne Wosnitzka

O-Töne aus der Hörer:innenschaft
“Ein herrliches Gespräch zwischen Bianca Walther und Susanne Wosnitzka, Musikwissenschaftlerin, schwäbisches Original und wohl eine der besten Kennerinnen der Augsburger Geschichte im 19. Jahrhundert. Danke!” – Prof. Dr. Hedwig Richter, Historikerin (Twitter)

“Hörempfehlung für alle, die sich für Musik, Geschichte, Frauenmusikgeschichte, die Geschichte frauenliebender Frauen, musikliebender Frauen oder musik- und frauenliebender Frauen interessieren. Oder die einfach gerne gute Podcasts hören.” – Prof. Dr. Ulrike Gerdiken, Erwachsenenbildnerin und Sozialpädagogin (Twitter)

Mit viel Spaß und großem Interesse das Gespräch zwischen @simultorian und @Donauschwalbe (wer kennt nicht ihre Threads zur Augsburger Geschichte des 19. Jahrhunderts) gehört. Habe fast atemlos Deinem leidenschaftlichen Erzählen gelauscht.” – FrauenLesen (Twitter)

Mit Mozart in die Augsburger Straßenbahn – keine gute Idee

Wolfgang Amadé Mozart, erste Seite der 12 Variationen über das Lied "Ah! vous-diraj je, Maman"
Wolfgang Amadé Mozart, erste Seite der 12 Variationen über das Lied “Ah! vous-diraj je, Maman”

Immer wieder höre ich, ich solle doch diese eine halsbrecherische Geschichte erzählen oder zumindest mal aufschreiben, und dabei fangen die Leute schon an zu Glucksen vor Wonne, weil es mich wirklich bei Eintreten eines bestimmten Falles wohl den beruflichen Hals gekostet hätte – und das hatte mit einer gewissen Originalhandschrift von niemand Geringerem als Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791) zu tun. Da muss ich wohl nicht mehr erklären, wer das ist. Also los:

Im Jahr 2010 wurde mir die Mitvorstandschaft in der damals noch existierenden Augsburger Mozartgemeinde angetragen als Nachfolgerin des legendären Helmut Haug. Diese habe ich angenommen. Die Deutsche Mozartgesellschaft existiert bis heute in Augsburg und ist die Mutterorganisation aller deutscher Mozartgemeinden, wie das mancherorts noch etwas altertümlich heißt. Beide Vereine arbeiteten mit dem gleichen Ziel, nämlich das Wissen rund um den Namen Mozart in der einzigen ‘echten’ deutschen Mozartstadt (weil da die Mozarts in echt gelebt haben und Leopold Mozart – Wolfgang Amadés Vater – in Augsburg aufgewachsen ist) aufrecht zu erhalten und zum Beispiel entsprechendes Kulturangebot in Kooperation mit anderen Kultureinrichtungen lokal, national und international bereit zu stellen. „Mit Mozart in die Augsburger Straßenbahn – keine gute Idee“ weiterlesen

Augsburg und die Pocken im Kriegsjahr 1871

Alphonse de Neuville: Kämpfe am 18. August 1870 auf dem Friedhof von Saint-Privat © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Alphonse de Neuville: Kämpfe am 18. August 1870 auf dem Friedhof von Saint-Privat © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Vorab: Dieser Blogtext ist mittlerweile lang, stellt aber gleichzeitig eine Quellenpublikation zu den damaligen Epidemiegeschehnissen in der Stadt Augsburg dar. Aktuell (Stand: 17. Februar 2022) habe ich dieses Seuchenjahr noch nicht abgeschlossen, daher werden weitere Funde untenstehend als Update ergänzt.

Durch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 fand eine unglaublich starke Truppenbewegung in Europa statt. Die Eisenbahn brachte die Soldaten samt Equipment und Versorgung teils über sehr weite Strecken zu den Kriegsschauplätzen und – als Verwundete und/oder Kriegsgefangene – auch wieder zurück. In den Lagern grassierten durch Massenansammlungen und furchtbare hygienische Zustände vor allem über den Winter in den im Matsch stehenden Zeltstädten ansteckende Krankheiten, besonders Typhus, Augenentzündungen und – alte Bekannte – die Pocken, in dieser Zeit auch noch Blattern [Wikipedia-Artikel, doch VORSICHT: graphic content!] genannt. Durch schnelle Ortswechsel konnten sich die Pockenviren auch schnell verbreiten. Auch der Abriss von Verteidigungsanlagen und der Wegfall von Kontrollmechanismen durch Abschaffung von Eingangskontrollen in den Städten in den 1860er Jahren führten zu lokalen teils sehr heftigen Ausbrüchen. „Augsburg und die Pocken im Kriegsjahr 1871“ weiterlesen

Vilma von Webenau – verwehte Spuren?

Konzertplakat in Wien © Susanne Wosnitzka
Konzertplakat in Wien © Susanne Wosnitzka

Ein Forschungseinblick von Susanne Wosnitzka

Text erstmals veröffentlicht am 30. Juni 2019 unter https://www.jourfixe-muenchen-ev.com/vilma-von-webenau-verwehte-spuren-finden/ als Gastbeitrag für jourfixe München (ursprüngliche Webseite allerdings nicht mehr vorhanden, daher hier noch einmal wiedergegeben)

Die Lebensspuren einer äußerst bescheidenen Frau wiederzufinden ist nicht einfach.[1] Ab 1898 studierte Wilhelmine Eveline Maria von Webenau (1875–1953) – genannt Vilma – beim damals 24-jährigen Arnold Schönberg (1874–1951) als dessen erste bekannte Privatschülerin. Auf seine Einladung folgte sie ihm um 1900 nach Berlin, gab Konzerte in London, lebte zeitweise in München und dann in Wien, wo sie später in drückender Armut starb. Von Schönberg als Komponistin ihrer Zeit geschätzt, ist ihr Name heute in keiner einzigen Schönberg-Biografie als Schülerin/Studentin zu finden. Puzzlestück für Puzzlestück zusammengetragen ergibt sich nun ein Bild mit Potenzial zu Großem: Mehr als 100 Werke Vilma von Webenaus harren in Wien noch ihrer Entdeckung!

Vilma Webenau im Jahr 1927, Fotografie, für den 50. Geburtstag von Arnold Schönberg, © gemeinfrei, Schönberg Center Wien
Vilma Webenau im Jahr 1927, Fotografie, für den 50. Geburtstag von Arnold Schönberg, © gemeinfrei, Schönberg Center Wien

Mit vier daraus ausgesuchten Werken Webenaus begann musica femina münchen e. V. (mfm), diesen unglaublichen und nahezu völlig vergessenen Schatz zu heben – sie erklangen am 3. Dezember 2014 im Rahmenprogramm der Ausstellung Ab nach München! Künstlerinnen um 1900 im Münchner Stadtmuseum als wohl deutsche Erst- oder vielleicht auch als Uraufführungen. Dieses Event, meine Forschungen und Veröffentlichungen stellten den Auftakt dar zu einer daraufhin einsetzenden Nachfrage nach Wissen zu Vilma von Webenaus Leben und Werk. Dieser Blogtext stellt keinen wissenschaftlichen Artikel dar, sondern soll einen Einblick in einen Teil meiner Arbeit geben. „Vilma von Webenau – verwehte Spuren?“ weiterlesen

Advent in Fem-Dur | Adventskalender ab 1. Dezember

Historische Weihnachtspostkarte um 1900 © gemeinfrei
Historische Weihnachtspostkarte um 1900 © gemeinfrei

Unter dem Hashtag #AdventInFemDur finden Sie auch dieses Jahr wieder einen musikalischen Adventskalender auf Twitter. Vom 1. Dezember 2021 an bis einschließlich 27. Dezember in meinem dortigen Profil jeden Morgen um 7 Uhr ein neues virtuelles Türchen (Tweet) zu einer hörenswerten Komponistin, quer durch die Jahrhunderte, Nationen und Religionen.

Da man bei Twitter nur einzelne Tweets und keine Threads (mit mehreren Tweets untereinander) timen kann, werde ich die einzelnen ‘Türchen’ im Advent chronologisch noch unter den Start-Tweet setzen, damit alle ‘Türchen’ beieinander sind:


Wenn Sie mir auf Twitter folgen, können Sie sich diesen Tweet auch als Lesezeichen einrichten, das sich dann automatisch vervollständigt.

Den kompletten virtuellen Komponistinnen-Adventskalender aus dem Jahr 2020 können Sie sich hier auf Twitter anschauen/anhören.

Viel Freude damit und Ihnen einen trotz aller Corona-Schrecknisse einen eingermaßen angenehmen Advent

Susanne Wosnitzka

“Ooooh, wie schön, das hat mir letztes Jahr schon so gut gefallen!” – Lisa, Twitter
“War letztes Jahr so toll und hat mir über eine schwierige Zeit weggeholfen. Ich freu mich schon, danke fürs Zusammenstellen.” – Ulrike, Twitter
“Wie schön! Ich freu mich drauf” – Marie und Sabine, Twitter

Pocken – wie die Impfung nach Augsburg kam

Ludwig XVI., gezeichnet von Joseph Ducreux 1793 © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Ludwig XVI., gezeichnet von Joseph Ducreux 1793 © wikimedia.commons (gemeinfrei)

König Ludwig XVI. von Frankreich (1754–1793) war überzeugter Impffreund gegen die Pocken, und das bereits 1786, als es noch keine regulär weitflächig eingesetzte Impfung gegen die Seuche gab und solche noch nicht über das Stadium lokaler Versuche durch zum Beispiel Edward Jenner (1749–1823, erste Kinderimpfung als Experiment 1796) hinausgekommen war. Woher wusste der König also so ausgeprägt davon, dass er auch ganz klar erkannte, dass Schulen Hotspots zur Verbreitung der Krankheit waren? Eine Nachricht, die ich dazu in einer hist. Augsburger Tageszeitung gefunden habe, liest sich so weitdenkend, dass man kaum glauben mag, dass sie aus einer so frühen Zeit der Entwicklung von Impfungen stammt:

“Paris, den 19. März. 1786. […] Der König, von den Vortheilen der Blattern=Einimpfung überzeugt und Willens, das Ansteckende dieser Krankheit zu verhindern, welches sich besonders in denjenigen Häusern zeigt, wo viele Kinder vereinigt sind, hat befohlen, daß inskünftige kein Knabe mehr unter seine und der Königin Leibwagen und in die Militärschule, so wie kein Mädchen in das Haus von Saint=Cyr aufgenommen werden solle, bevor dieselben entweder die natürlichen oder eingeimpften Kinderpocken gehabt hätten, als worüber die Aeltern derselben schriftliche Zeugniße vom dem Arzt und Wundarzt des Orts ihres Aufenthalts, welcher von der Obrigkeit legalisirt seyn müssen, beyzubringen hätten.”[1] „Pocken – wie die Impfung nach Augsburg kam“ weiterlesen

Richard Wagner – Kissen-Eklat in Augsburg 1864

Richard Wagner (1813–1883) war öfters in Augsburg. Auf Durchreise. In einer Zeit, in der sein Erscheinen in München bereits Augenrollen verursachte. Auf einer dieser Durchreisen mit Kurzaufenthalt ereignete sich im Augsburger Bahnhof ein Eklat, der vor Gericht endete – ebenfalls in Augsburg.

Damals war Augsburg eine extrem wichtige Umsteigestelle, denn die Züge fuhren noch nicht überall und noch nicht durch. So musste zum Beispiel auch die königliche Familie – wenn sie mit dem Zug nach Hohenschwangau wollte – von München aus kommend in Augsburg umsteigen, um sich dann wieder gen Süden zu bewegen. Im Augsburger Bahnhof befand sich für hohe Herrschaften die gehobene Restauration von Maximilian Seethaler, und darin besondere Räumlichkeiten, in denen diese auch speisen konnten, um sich zu erfrischen, während Züge umgekoppelt oder neu/anders beladen wurden. Zu solchen Gelegenheiten sang die Liedertafel gerne ein Ständchen oder spielte eines der Blasmusikregimenter.

Noble Herrschaften

Augsburger Bahnhof um 1900 © gemeinfrei
Augsburger Bahnhof um 1900 © gemeinfrei

Die Besuche von Königs und Kaisers lassen sich durch entsprechende Hinweise in sieben Augsburger Tageszeitungen, die ich für meine Forschungen zur Stadtgeschichte vom Zeitraum 1746 bis (jetzt) 1884 auf musikalisch-kulturelle Nachrichten untersucht habe, ziemlich lückenlos belegen.

„Richard Wagner – Kissen-Eklat in Augsburg 1864“ weiterlesen

Caroline von Staudt – Augsburger Claviervirtuosin mit seltener Bravour

Wie entdeckt man eine unbekannte, verschollen gegangene Pianistin des 19. Jahrhunderts – Caroline von Staudt? Indem man nicht gezielt danach sucht. Sie kennen das: Man stöbert vielleicht jahrelang nach der großen Liebe in irgendwelchen Paar-Foren und Handy-Apps und zeigt sich da von seiner geschlecktesten Seite, findet dann seine große Liebe aber an der Supermarktkasse im Jogginganzug.

So ähnlich finde ich meine ‚Liebschaften‘: Meist im gemütlichen Outfit am Schreibtisch und im Scrollen durch historische Zeitungen. So auch in diesem Fall. In diesem Fall fanden sich aber zusätzlich klavierspielende und komponierende (!) Nachfahrinnen, die bislang nichts von ihrer musikalischen Vorfahrin wussten. Also alles wahnsinnig aufregend und für die heutige Familie von Staudt spektakulär! Und so kam es dazu: „Caroline von Staudt – Augsburger Claviervirtuosin mit seltener Bravour“ weiterlesen

Assingmilieren in Florenz | Neufund zu Ludmilla Assing

Jemand in Florenz grade im Urlaub? Kunst- und kulturinteressiert? Auch an Frauengeschichte? Zu Ludmilla Assing? Ja? Dann macht doch im berühmten Boboli-Garten bitte der Länge nach ein philosophisches Lieg-In im Rasen. Warum? Als Gedenken!

Sich einfach so in einen Garten zu legen, um über das Leben zu philosophieren, die Schönheit drumherum zu genießen und an Ort und Stelle wahrscheinlich auch niederzuschreiben brachte wohl Ludmilla Assing (1821–1880), Wächterin und teils Herausgeberin der faszinierenden Varnhagen’schen Sammlung, in Italien in Mode. Was offenbar so spektakulär war, dass 1862 darüber im Augsburger Tagblatt berichtet wurde. „Assingmilieren in Florenz | Neufund zu Ludmilla Assing“ weiterlesen

Elegie auf den Abriss des Gögginger Tors | Neufund

Elegie auf einen Abriss. Viele Augsburger:innen warteten im 19. Jahrhundert freudig darauf, ihre Stadt in die Zukunft geführt zu sehen. Nicht nur Augsburg wurde erleuchtet durch die Genialität von Ludwig August Riedinger (1809–1879), sondern auch buchstäblich mindestens halb Europa durch seine Technik der Gasbeleuchtung. Wiederkehrende Weltausstellungen in München, Paris und London erweiterten den Horizont technischer Art immens und auch die Vorstellungskraft, was noch alles kommen möge in der Zukunft. Man wollte Helle, Weite, Luft und Raum zum Atmen. Das sah man vielerorts durch Stadtmauern begrenzt, die dann um 1850 auch nicht mehr die großen Seuchen wie die Cholera abhielten, auch in Augsburg[1] – im Gegensatz zur Zeit um 1832 – tödlich zu wirken.

Todbringende Technik

Zur Todbringerin war auch die technische Errungenschaft der Eisenbahn geworden, die nicht nur die Menschen, sondern auch Keime schnell von Stadt zu Stadt brachten. Die Entscheidung, den Bahnhof vom Platz vor dem Roten Tor zum heutigen Ort zu verlegen, brachte auch eine neue Straße mit sich: Das war nicht die heutige bekannte Bahnhofstraße, sondern zunächst die heutige Prinzregentenstraße, die als erste dazu genutzt wurde, die Menschenmengen (die in den Augsburger Zeitungen dazu publizierten Zahlen und Baugeschichte habe ich festgehalten) in die Stadt zu bringen. Diese stauten sich allerdings stets an den Toren, da dort strenge Einreisekontrollen stattfanden. So durfte man zum Beispiel kein außerhalb gekauftes Brot oder Fleischwaren in die Stadt bringen (Letzteres auch wegen Seuchengefahr und vor allem, damit das Geld in der Stadt blieb). Immer lauter wurden die Stimmen, die alten Tore abzureißen und die Stadt für einen modernen Verkehr zu öffnen. Die heutige Bahnhofstraße wurde neu dann angelegt, und mit ihr war der Zustrom der Leute kaum mehr zu bewältigen – abgesehen von den vielen Unfällen mit in/an den Toren durch Kutschen zerdrückten Menschen. „Elegie auf den Abriss des Gögginger Tors | Neufund“ weiterlesen

Feministische Podcasts | Eine Linksammlung

Seit Langem höre ich als Histobloggerin und Feministin Podcasts aller Art: Von Crime und Mysteriösem bis hin zu Geschichte, besonders aber zu Feminismus und Herstory. Ein wahrer Quell an Inspiration findet sich auf Twitter. Täglich findet sich dort Neues in der Timeline, hereingespült durch einfaches Folgen, Teilen und Likes von anderen Menschen, und manchmal entwickeln sich daraus ganz wunderbare Gespräche, anregende Diskussionen, neue Bubbles und persönliche Begegnungen.

Allerdings passiert es auch hin und wieder, dass Leute (einschließlich ich selbst) völlig verblüfft sind, warum ihnen bestimmte Podcasts im Netz noch nicht aufgefallen sind und geflasht darauf aufmerksam machen.

Vereinzelt existieren auf Webseiten eher kurze Listen zu einzelnen Podcasts, aber für Umfänglicheres muss man ausführlicher im Netz suchen und sich die verschiedenen Podcasts zusammenklauben. Um sich das zu sparen, habe ich die Podcasts, die mir online regelmäßig über den Weg laufen, hier aufgelistet und durch Netzfunde ergänzt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber wem noch was einfällt, dann bitte gerne unten als Kommentar eintragen.

Ich habe darauf geachtet, auf die originalen Webseiten der Podcast-Angebote zu verlinken. Wo keine vorhanden sind, greife ich auf Audio-Streaming-Dienste zurück.

Viel Freude beim Entdecken! „Feministische Podcasts | Eine Linksammlung“ weiterlesen

Nannette Streicher: Star des Moselmusikfestivals 2021 | Podcastvideo

Nannette Streicher. Tuschezeichnung von Ludwig Krones, 1836. © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Nannette Streicher. Tuschezeichnung von Ludwig Krones, 1836. © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Nannette Streicher (1769–1833) – die bedeutendste Klavierbauerin aller Zeiten. Und Sängerin war sie auch noch und Pianistin und Komponistin und Übersetzerin und – da kann man schon mal ins Schwärmen kommen – was wäre Beethoven ohne sie gewesen und wie konnte die Stadt Augsburg ihren 250. Geburtstag nur so schändlich vergessen! Hach! Jetzt aber ist sie wieder voll da!

Im Frühling 2021 wurde ich vom Moselmusikfestival Trier angeschrieben, das ein Programm zu Nannette Streicher plane, weil in der Nähe – in Traben-Trarbach – ein originaler und zudem wunderschöner Konzertflügel von Nannette Streicher steht, der es wert ist, gehört zu werden. Und durch etwas Recherche sind Intendant Tobias Scharfenberger und Ideengeberin/Koordinatorin/Sängerin Charlotte Jarosch von Schweder dann schnell auf mich gekommen; wir fanden schnell heraus, dass wir in dieser Hinsicht ganz gut zusammenpassen, da ich bereits zu Nannette Streicher geforscht und publiziert habe, und so reiste ich Ende Juni zu Dreharbeiten nach Trier. „Nannette Streicher: Star des Moselmusikfestivals 2021 | Podcastvideo“ weiterlesen

Daniel Fenner von Fenneberg – Augsburgs Anti-Anti-Revolutionär

Daniel Fenner von Fenneberg (1818–1863) war einst eine literarische als auch politische große Nummer in Augsburg. Eine beinahe zu große für die Stadt in der Zeit der 1848er/1849er Jahre. Allerdings eine Nummer, die heute nicht mehr bekannt ist und wovon dieser Artikel erstmals erzählt – durch meine Recherchen an historischen Tageszeitungen wieder ans Licht gekommen. Und dieses Licht scheint beispielhaft für die Entwicklung der Demokratie in Augsburg.

Die Geschichte der Geschichte

Gibt es für die Märzrevolution einen Startschuss? Ein Tag, der das zuvor schon gärende Fass zum Explodieren brachte? Im Vormärz vielleicht? Vor dem März kommt der Februar. Einen dieser Tage kann man festmachen: Den 9. Februar 1848. Nach Handgreiflichkeiten zwischen seiner Geliebten Lola Montez (1821–1861) und Teilen der Münchner Bevölkerung, schloss König Ludwig I. (1786–1868) an diesem Tag kurzerhand die Münchner Universität und befahl allen Studenten, die Stadt binnen drei Tagen zu verlassen, was zu heftigem Protest und schließlich zur Ausweisung von Lola Montez aus Bayern bzw. Deutschland und der Abdankung von König Ludwig I. führte[1] – was auch in Augsburg großes und nahezu bleiernes Thema war: Eine quasi dahergelaufene ‘falsche Spanierin’ und ein Mann königlichen Geblütes. Zwei unterschiedliche Klassen. „Daniel Fenner von Fenneberg – Augsburgs Anti-Anti-Revolutionär“ weiterlesen

Augsburger Theatergeschichte neu erlebbar

Die Theatergeschichte Augsburgs ist zwar eine lange – allerdings existiert bislang so gut wie keine moderne Forschung bzw. Publikation dazu. Der Wikipedia-Artikel zum Augsburger Stadttheater bzw. nun Staatstheater liefert zwei historische Publikationen als Grundlage: Einen sehr umfassenden Versuch zur Geschichte der theatralischen Vorstellungen in Augsburg, geschrieben von Friedrich August Witz (1806–1880) und im Druck erschienen 1876[1] zum 100. Jubiläum der Eröffnung des neuen Schauspielhauses (1776) sowie ein paar wenige Seiten in einer Ausgabe des Augsburger Adressbuchs[2] (1971). Hie und da mögen noch einzelne weitere Artikel zu bestimmten Menschen und Ereignissen am/im Theater erschienen sein, aber diese reichen nicht aus, um diesen Teil der Augsburger Stadtgeschichte und der Theatergeschichte auch hinsichtlich der Aufführungen, des internen und externen Personals, der großen Stars, der Umbauten, der Modernisierungen, der Stadtgespräche, der Bewilligungen und Nichtbewilligungen, zu Kosten, Löhnen und Gehältern annähernd zu vervollkommnen. Zumindest so nah wie möglich an die Theatergeschichte heranzukommen, denn die Arbeit mit und an der Geschichte ist – wie Friedrich August Witz erkannt hat – nur ein Versuch, den Ereignissen in der Vergangenheit auf die Spur und damit näher zu kommen.

Theatergeschichte nicht ohne Konzertgeschichte

Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka
Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka

Letzteres ist nun möglich: Seit Beginn meiner Dissertation zur Musikgeschichte der Goldenen Traube, einer historischen und nicht mehr existenten Gaststätte im Herzen Augsburgs, die drei (!) Konzertsäle besaß, habe ich mich mit historischen Augsburger Tageszeitungen beschäftigt, in denen sich Informationen zu reisenden Musiker:innen, Komponist:innen und Künstler:innen befinden sowie Konzerte und Theaterspiele angekündigt und rezensiert werden. Nebenbei finden sich darin Diskussionen zum Augsburger Kulturleben, Auswirkungen politischer Angelegenheiten auf das Kulturleben sowie zur Theatergeschichte in abhängiger Vernetzung der großen Musikkulturzentren Theater, Goldener Traube, teils auch (aber selten) Kirchen und anderen Gaststätten und Zunfthäuser, die über einen größeren Saal verfügten. „Augsburger Theatergeschichte neu erlebbar“ weiterlesen

Swedish Association of Women Composers | Im Beirat von KVAST

Swedish Association of Women Composers © KVAST
Swedish Association of Women Composers © KVAST

Jetzt ist es offiziell – ich bin nun im wissenschaftlichen Beirat von KVAST, der Swedish Association of Women Composers!

2015 moderierte ich einen Talk mit internationalen Komponist:innen im Rahmen des Specs-On-Festivals in Berlin unter Kuration des schwedischen Bassisten Emil Roijer im meCollectors Room der Stiftung Olbrich.

2019 war ich erstmals in Stockholm, um für Den Andra Operan und deren Aufführung von Talestri, regina delle amazzoni (Maria Antonia Walpurgis von Sachsen, UA 1760/1763 München) fürs Programmheft zu schreiben und um an einer Kooperation mit musica femina münchen zu arbeiten, damit dieses sehr faszinierende Werk in diesem modernen Arrangement in München erstmals wieder am Ort seiner Uraufführung in Schloss Nymphenburg erlebt werden kann.

Wegbereitung

Und Ende 2019 war eine vertiefende Wegbereitung auf einem kleinen Komponistinnen-Fest in der schwedischen Botschaft in Berlin. Gäste waren außer mir nach vorangegangener elektroakustischer Musik (von Savannah Agger, Claire Renard, Lucie Prod’homme, Sophie Lacaze und Christine Groult) Astrid Pernille Hartmann (damals Präsidentin KVAST) auf dem Panel mit Fredrik Andersson (Programmdirektor Royal Stockholm Philharmonic Orchestra/Stockholm Concerthouse), Bettina Wackernagel (Artistic director Heroines of Sound Festival), Julia Gerlach (Secretary of the music section, Akademie der Künste), Claire Renard (Komponistin, Vize-Präsidentin Plurielles34) und Lucie Prod’homme (Komponistin).

Et voilà – ich freue mich sehr auf eine künftige Zusammenarbeit, auch für weiteres internationales Netzwerken!

Mit großem Dank besonders an Astrid Pernille Hartmann, Guldkvasten-Preisträgerin und Präsidentin von KVAST, Swedish Association of Women Composers 2016 bis 2021, die von meiner Arbeit so begeistert war/ist, dass sie mich zu diesem Sitz im Beirat von KVAST eingeladen hat.

nexTus-Festival online – auch ein Komponistinnen-Fest

Logo nexTus-Festival © nexTus-Festival
Logo nexTus-Festival © nexTus-Festival

Seit dem 17. April läuft bereits das nexTus-Festival – und das noch online bis 9. Mai 2021.

Was ist das nexTus-Festival? Das ist “ein neues Kollektiv von inspirierten Musiker:innen und Unternehmern, die sich durch die BYOM Academy Community zusammengeschlossen haben, um eine neue Art und Weise zu schaffen, musikalisches Handwerk der Welt zu präsentieren. Wir haben uns verpflichtet, unser Talent und unsere Kreativität mit unserem Publikum zu teilen, uns über alle aktuellen Hindernisse zu erheben und sie in unsere Stärken zu verwandeln.

Als Ergebnis sind wir stolz darauf, unser erstes Musikfestival – das nexTus-Festival – online zu präsentieren. Der Titel setzt sich gleichzeitig aus dem Wort Nexus, das Verbindung oder Zentrum bedeutet, und der Phrase Next Us zusammen, denn wir blicken in die Zukunft und auf die bestmögliche Version von uns selbst und der Welt der klassischen Musik.

Unser neues Festival ist stark von unserer ‘Lovemark’ geprägt – drei Worte, die die BYOM-Community als Ganzes zusammenfassen:
Verbindung – Inspiration – Innovation.”

Leider habe ich es zeitlich nicht geschafft, in alle Programmpunkte zu schauen; mit im Orga-Team des nexTus UND als Künstlerin wirkt aber Violinistin Susanne Hehenberger, die in Salzburg auch im Vorstand der Maria-Anna-Mozart-Gesellschaft arbeitet. Sie kenne ich aus dem Team persönlich, auch über meine eigene Mitvorstandsschaft bei musica femina münchen. Schwestern-Netzwerke, die tragen! Susanne Hehenberger spielt auch in Wilhelm – A Silent Opera (basierend auf der Novelle Spiel im Morgengrauen von Arthur Schnitzler) am 1. Mai:

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Eine andere gute alte Bekannte, die im nexTus-Festival wirkt, ist meine Kollegin Heike Matthiesen, professionelle Gitarristin, die am 8. Mai – dem Ladies’ Day – ihr Programm Ladies who Guitar vorstellt. Ghenadie Rotari spielt Werke von Komponistinnen auf dem Akkordeon, Natalia Hurst begibt sich in eine multimediale Performance einer Frau in Quarantäne, und Antonija Pacek schreibt und spielt gegen eine Verschmutzung der Ozeane mit ihrem Programm Save the Sea.

Besonders beeindruckt bin ich vom Schaffen von Rosalyn Aninyei (Violinistin) als Gastrednerin, Gründerin/CEO der Vesta Orchestra and Opera Foundation, die den vielen talentierten Künstler:innen in Nigeria eine Bühne auf Weltniveau bieten möchte. Nachdem sie über ein Jahrzehnt in Wien gelebt hatte, wurde sie von der Musikkultur der Stadt so inspiriert, dass sie in Lagos/Nigeria das African Classical Project ins Leben rief, um Musik von hauptsächlich afrikanischen klassischen Komponist:innen in Auftrag zu geben, zu kuratieren und aufzuführen – mit dem ultimativen Ziel eines Opernhauses in Lagos, in dem diese Werke neben bemerkenswerten europäischen Opern präsentiert werden. Rosalyn Aninyei hat ein Team von kompetenten und erfahrenen Akteur:innen zusammengestellt, um das Lagos Opera House zu gründen.

Schaut also un-be-dingt in das noch weitere Programm dieses tollen Festivals!

1 Online Classical Music Festival
4 Weekends
24 Social and Special Events
34 Concerts
60 Artists
28 Nationalities
24 Cities

250 Trees (Green Mission)

Der Zopfabschneider – Crime oder Frauenbewegung?

Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Von ‚Karl the Ripper‘, dem Mädchenschneider von Augsburg, der in den 1830er Jahren für extreme Ängste unter Frauen sorgte, zum Zopfabschneider. In einem Zeitraum von ca. 20 Jahren erlebte Augsburg ganze Serien an Verbrechen, die sich wie im Fall des sog. Mädchenschneiders über viele Jahre hinzogen und bis zur Aufklärung für Panik in der Stadt sorgten – inklusive einem falsch beschuldigten und in den Tod getriebenen Mann.
Ein Fall, der sich allerdings nicht wirklich klären ließ, war der des geheimnisvollen Zopfabschneiders. Die dazu in historischen Tageszeitungen erhaltenen Pressemeldungen lassen ein großes Fragezeichen zurück: War der Mädchenschneider eine reale Person oder steckt doch etwas ganz anderes dahinter? Etwa eine Inszenierung, ein bemäntelter Protest gegen vorherrschende Unterdrückungssysteme? „Der Zopfabschneider – Crime oder Frauenbewegung?“ weiterlesen

network the networks | Panel “Komponistinnen in der Klassik” | 21. April 2021

Augsburger jüdische Geschichte | Quellenerschließung

Grafik aus "Augsburg, wie es ist" (1846, gemeinfrei)
Grafik aus “Augsburg, wie es ist” (1846, gemeinfrei)

Seit Jahren befasse ich mich mit historischen Augsburger Tageszeitungen: dem Augspurgischen Intelligenz=Zettel/Intelligenz=Blatt (AIZ, Stadtarchiv Augsburg, nicht digitalisiert) und dessen Nachfolgeblatt, dem Augsburgischen Intelligenz=Blatt (AIB, Stadtarchiv Augsburg, nicht digitalisiert), der Augspurgischen Ordinari Postzeitung (AOP, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, digitalisiert), der Augspurgischen Ordinären Zeitung (AOZ, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, nicht digitalisiert), die parallel zur AOP nur von 1792–1797 existierte, im Augsburger Buchdruck und Verlagswesen (Hg. Helmut Gier/Johannes Janota) irrtümlich als Nachfolgeblatt der AOP angeben.
Dann weiter mit der Neuen Augsburger Zeitung (NOZ), die nur 1830/31 existierte (UB Augsburg, digitalisiert) und der Augsburger Postzeitung (AP, ab 1833 Nachfolgeblatt der AOP, UB Augsburg). Zum Zeitpunkt meiner Niederschrift hier war sie aber nur bis 1848 digitalisiert. Daher enden meine Abschriften in dieser Sammlung auch vorläufig mit diesem Jahr. „Augsburger jüdische Geschichte | Quellenerschließung“ weiterlesen

Geschichte mit Zukunft – der Grüffelo-Deal im Zug

Wenn man in Zeiten von Corona ans Reisen denkt, bleibt es allermeist bei sehnsuchtsvollen Rückblicken – oder eifrig-trotzigen künftigen Reiseplänen. 2015 erlebte ich auf einer Dienstreise eine der zauberhaftesten Bahngeschichten überhaupt: Den Grüffelo-Deal mit Zukunft!

Chaos pur in Frankfurt am Main: Züge verspätet, ausgefallen oder verkürzt. Dazu war es brüllend heiß, was den Pisseammoniakgeruch im Durchgangstunnel zum Gleis noch verstärkte. Die Züge waren teils so geschrumpft, dass Passagiere, die Plätze reserviert hatten, in den Zug bzw. in die Röhre schauten, weil einfach ihre Waggons abgekoppelt worden waren. Freie Plätze gab es somit direkt nur noch an der Tür. Wenigstens kann man dort die Beine vernünftig ausstrecken, hat Frischluft, nur einen Schritt zum Klo und man kann Menschen von unten betrachten.

Der Grüffelo muss mit!

Der Grüffelo © Saffron Blaze (http://www.mackenzie.co)
Der Grüffelo © Saffron Blaze (http://www.mackenzie.co)

Neben mir kam ein kleines Menschlein zum Sitzen. Die kleine Luca (5 oder 6) mit ihrer Mama. Luca machte es sich auf der Verpackung eines aufblasbaren Schwimmbads bequem, zog aus ihrem kleinen rosafarbenen Walt-Disney-Märchenschloss-Rucksack einen DVD-Player und zog sich seelenruhig den Grüffelo rein. Nebenbei erzählte Luca Folgendes:

Luca war sehr tapfer gewesen, denn man hatte ihr vor ein paar Tagen einen Zahn ziehen müssen. Sie zeigte mir ganz stolz die vernähte Lücke, während ihre Mama die Augen nach oben verdrehte. Ich fands obercool, wie cool Luca war. Nach einer Weile wollte sie Multitasking und zog eine rosafarbene Blechbüchse heraus, in der sich trendy Gummibänder befanden, die man zu Ketten häkeln konnte. Die Gummibänder waren in Weiß-Pink und Orange-Pink.

Amusement par excellence

Ich guckte ein bisschen mit ihr den Grüffelo und amüsierte mich. Ein junger Mann (Typ Jungmanager) kam gegenüber auf seinem Koffer zu sitzen und gaffte. Luca hatte aber keine Zeit zum Zurückgaffen, denn sie strickte mir gerade aus den weiß-pink-farbenen Gummibändern einen Ring. Immer wieder testete sie, ob die Größe schon passte. Endlich war er fertig und sogar relativ bequem. Ich versprach ihr, dass wenn ich den Ring ablege, ihn stattdessen an meinem Schlüsselbund tragen würde. Luca strahlte.

Der Jungmanager beobachtete die Szenerie. Luca guckte ihn an und sagte: “Ich mach dir ein Armband!” Er war interessiert und meinte: “Prima, lass dir Zeit, ich bin jetzt zwei Stunden lang hier im Zug”. Luca fasste das als Arbeitsauftrag auf und legte los. Sie brachte das Armband fertig und lieferte es beim Jungmanager ab, der sie mit 5 € entlohnte. Während Luca laut überlegte, was sie mit dem Geld machen wolle (Eis kaufen), gab ihr der Jungmanager einen heißen Tipp: “Kauf dir kein Eis, sondern kauf dir von dem Geld neues Material und mach weiter mit deinem Geschäft.” Luca strahlte.

Panik statt Genussfahrt

An der nächsten Station (Aschaffenburg) stieg eine junge Frau ein, die nach Schweinfurt musste. Affen und Schweine. Perfekt. Allerdings fuhr der Zug nicht nach Schweinfurt, sondern nach Nürnberg, weil auf der Abfahrtstafel was Falsches angegeben war. Was sie in Tränen auflösen ließ, weil ihr Liebster verzweifelt am Bahnhof in Schweinfurt stünde. Beflügelt von seinem neuen Armband (in Weiß-Pink – passend zum anthrazitfarbenen Anzug) gab der Jungmanager auch dieser einen heißen Tipp: “Pass auf, wenn dir die Schaffner für die Rückfahrt was berechnen wollen, dann machst du das Chaos des Tages für die Unpässlichkeit verantwortlich und zahlst gar nix. Und wenn die was dagegen haben, dann red ich mal mit denen.” Karmaaaaaa!

Luca zog dann mit ihrer Mutter in Nürnberg von dannen. Der DVD-Player hatte pünktlich zur Zugeinfahrt den Geist aufgegeben. Ich selbst stieg in München aus, der Jungmanager ebenfalls.

Später sah ich ihn zufällig nochmal in der Stadt wieder. Er trug noch immer das weiß-pink-farbene Superpower-Gummiband.

Ring mit Grüffelo-Deal © Susanne Wosnitzka
Ring mit Grüffelo-Deal © Susanne Wosnitzka

So weit diese Geschichte. Und wenn ihr denkt, ich hätte meinen Superpowerring längst vergessen – nein! Er ist zwar nicht mehr am Finger und auch nicht am Schlüsselbund, sondern als Erinnerung an diese wunderschöne Begegnung in meinem Schmuckkästchen. Und vielleicht kann sich Luca (heute 10 oder 11) auch noch in Freude an diese Geschichte erinnern.

Ein paar weitere/heitere Zuggeschichten kann man hier nachlesen, auch wenn einem meist eher weniger zum Lachen ist bei Verhindernissen aller Art auf der Strecke.
Lustige Bahnansagen gibts bei Twitter.

Beethoven und ich – Die Erinnerung der Langsamkeit

Jetzt. Ich tippe konzentriert interessante historische Zeitungsmeldungen ab. Um meine geräuschfreie Ruhe zu haben, habe ich zuvor meine Hörgeräte herausgenommen und meine Kopfhörer aufgesetzt. Meistens höre ich neben dieser Recherche- und Forschungsarbeit eine Geschichtsdokumentation, ein Hörspiel oder – seltener – Musik.

Musik ist für mich meist dann furchtbar ablenkend, wenn ich über Musik nachdenke. Das ist dann in etwa so störend, wie Besteckschieben über Porzellan, obwohl Musikhören und Musikdenken an und für sich schön sind. Eigentlich wollte ich heute nur Samuel Barbers Agnus dei nebenbei haben, das auf die vielen zauberhaften, aber teils auch schrecklichen Meldungen historischer Zeiten im stetigen Wechsel so gut passt. Und das je nach Stimmung im Dauer-Repeat. Heute sollte es also Dauer-Repeat sein.

Aber heute ist daran etwas anders. Statt Dauer-Repeat läuft aus Versehen ein Mix mit aufeinanderfolgenden YouTube-Musikvideos. Deshalb folgt auf dieses Agnus dei der zweite Satz aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 5, und zwar mit dem London Festival Orchestra und Sylvia Čápová-Vizváry am Flügel.

Weil ich gerade höchst konzentriert am Abtippen bin, lasse ich diese Musik trotzdem weiterlaufen. Und denke nach dem Orchesterintro nach der ersten Abwärtsbewegung der darauf einsetzenden Klaviertöne genervt: „Uff, schlaf halt ein beim Spielen“. Eine der langsamsten Interpretationen dieses Werks, die ich je gehört habe. „Beethoven und ich – Die Erinnerung der Langsamkeit“ weiterlesen

Die größten Schweizerinnen 1858

Wer waren die größten Schweizerinnen der 1850er Jahre? Da gab es zum Beispiel Wilhelmine von Hillern (1836–1916) – Tochter der höchst erfolgreichen Dramatikerin und (zugereisten) Züricher Theaterdirektorin Charlotte Birch-Pfeiffer (1800–1868) –, die zuerst als Schauspielerin agierte, sich aber nach ihrer Hochzeit von der Bühne verabschiedete (oder verabschieden musste) und der Schriftstellerei zuwandte. Deren heute bekanntestes Werk ist die vielfach verfilmte und legendäre Geier-Wally.

Groß, größer, am größten

Anna Susanna Fries, Szene aus "Romeo und Julia" © Amber Tree, flickr.com
Anna Susanna Fries, Szene aus “Romeo und Julia” © Amber Tree, flickr.com

Oder auch Anna Susanna Fries (1827–1901, kein Link, da leider noch kaum Informationen im Netz) aus Zürich, die sich trotz des Widerstandes ihres Vaters der Kunst widmete und an den Kunstschulen in München und Paris und dann bei einzelnen Malern in Zürich studierte. Mitte der 1850er Jahre ließ sie sich als Porträtistin in ihrer Heimatstadt nieder und malte u. a. die weltbekannte Schriftstellerin Johanna Spyri (Heidi, 1827–1901) – auch diese eine der größten Schweizerinnen. Durch den Auftrag, die niederländische Königin und deren Hof zu porträtieren, arbeitete Anna Susanna Fries für zwei Jahre in Holland. In Florenz gründete sie Anfang der 1870er Jahre eine Kunstschule für Frauen, in der sie zwölf bis zwanzig Schülerinnen hatte. Nach einer Reise in den Orient malte sie besonders auch Landschaften und Figuren. Ihre eigentliche Stärke aber war die Porträtmalerei.[1]

Seltene Angaben

So weit, so groß. Aber wer waren denn nun die wirklich größten Schweizerinnen der 1850er Jahre? In ganz, ganz seltenen Fällen kann man das nämlich auch auf die pure Körpergröße anwenden, sofern sich Angaben zu Körpergrößen von Menschen aus dieser Zeit überhaupt erhalten haben.

Einer dieser Fälle kam heute während meiner Recherchen in einer historischen Augsburger Tageszeitung zu Tage. Darin wurden zwei Schweizer Schwestern als wandelnde Riesensensation angekündigt mit folgenden Worten: „Die größten Schweizerinnen 1858“ weiterlesen

Die Geschichte von der ‚unzüchtigen‘ Schmaraggel in Augsburg

Wer viel in Büchern stöbert, um über längst vergangene Geschichte zu erfahren, findet oft nicht das Gesuchte (oder erst im hundersten von hundert mühsam gewälzten Büchern), aber viele andere Geschichten drumherum – wie die der Schmaraggel: Von einer Frau, die es geschafft hatte, ein florierendes Finanzgeschäft aufzubauen. Zwar nicht wirklich legal, aber so, dass sie ein gutes eigenes Auskommen hatte und nicht Hunger litt. Was dem Magistrat der Stadt nicht ganz geheuer war und sie wegen ‚Beschützen‘ nächtlicher Diebereien, eines ‚unzüchtigen Lebenswandels und anderer gar böser Dinge am 19. Mai 1721 mit dem Schwerd [sic] und blutiger Hand vom Leben zum Tode gebracht‘ wurde.

Auskommen mit dem Einkommen

Ein gutes eigenes Auskommen hatten nur die wenigsten Frauen, die dadurch in dieser Zeit finanziell unabhängig sein konnten. Über eigenes Geld und ein eigenes Konto verfügen durften Frauen erst seit 1962.[1] Frauen, die ‚unbequem‘ waren und sich den bestehenden Moralvorstellungen der Zeit nicht anpassen konnten oder in so verheerende Lebenssituationen gebracht wurden (die diese Moralvorstellungen verursachten und keine Schuld der Frau waren), dass sie zwangsweise zu Kriminellen wurden, wurden einfach aus der Stadt entfernt. Das waren zum Beispiel Frauen, die außerhalb einer Ehe schwanger wurden (ob gewollt oder ungewollt) und somit unehelich gebaren. Wer heiraten wollte, musste vorher die Gunst des Stadtmagistrats besitzen, um eine Bewilligung zur Heirat zu erhalten. Einreichen konnten so eine Bitte um Bewilligung nur Männer, die einen mustergültigen Lebenswandel pflegten und der Stadt von Nutzen waren, d. h. Geld hereinbrachten – durch Steuern oder entsprechendes Kapital. „Die Geschichte von der ‚unzüchtigen‘ Schmaraggel in Augsburg“ weiterlesen

Gioachino Rossini – Superstar mit Pelz in Weinheim/Bergstraße

Es war einmal ein Mann, der – in Pelz gehüllt – an einem Tag im Herbst des Jahres 1856 im kleinen Weinheim an der Bergstraße (zwischen Frankfurt/Main und Mannheim gelegen) für einen Straßenauflauf sorgte. Eigentlich sorgte nicht der Mann in Pelz für Furore (der niemand Geringeres als der berühmte Komponist Gioachino Rossini war), sondern womit er reiste: Mit der Extrapost, das heißt einer extra schnellen Kutsche mit vier Pferden für geballte Vorwärtskommkraft und mit zwei Postillonen auf dem Kutschbock, die nicht überall hielt.

Hoch auf dem gelben Wagen

Hermann Kauffmann, Extrapost im Schneesturm, ca. 1855 © darkclassics.blogspot.com
Hermann Kauffmann, Extrapost im Schneesturm, ca. 1855 © darkclassics.blogspot.com

In der Zeit der Romantik waren Postkutschen ein beliebtes Motiv von Maler:innen. Solche Kutschen scheinen um 1856 offenbar aber bereits eine Seltenheit gewesen zu sein; erst wenige Jahre zuvor hatten moderne Eisenbahnen damit begonnen, die althergebrachten Reise- und Postkutschen nach und nach zu verdrängen. Zumindest auf den Straßen, die auf den kürzesten Strecken zwischen A und B mit Schienen für das Dampfross versehen wurden. Mit dem Zug kam man schneller und bequemer voran als in einer Kutsche, deren Pferde zudem an den einzelnen Wegstationen ausgetauscht und/oder umgespannt werden mussten. Die Cholera kam dadurch auch schneller von A nach B, aber das ist eine andere Geschichte.

Rossini im Klangrausch?

„Gioachino Rossini – Superstar mit Pelz in Weinheim/Bergstraße“ weiterlesen

Léocadie de Beauvoir – Das aufmüpfige Geschlecht

Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen nichts“ – Simone de Beauvoir (1908–1986) ist als französische Schriftstellerin und Philosophin weltbekannt. Besonders mit ihrem Werk Das andere Geschlecht (1949) hat sie einen Meilenstein der feministischen Literatur geschaffen. Aber wer kennt Léocadie de Beauvoir (1823–1859), die ein freies und eigenständiges Publizieren nicht nur für – die mit ihr nicht verwandte – Simone de Beauvoir, sondern wohl für alle Schriftstellerinnen durch ihre Hartnäckigkeit erst ermöglicht hat?

Genau. So habe ich auch geschaut, als ich heute diese ganz besondere Nachricht im Augsburger Tagblatt entdeckt habe und dieser weiter nachgegangen bin im Rahmen der derzeitigen Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten.

Wer war Léocadie de Beauvoir

und was genau war dieser offensichtliche Meilenstein der Frauengeschichte und Frauenliteraturgeschichte, den sie da offenbar lange vor Simone de Beauvoir geschaffen hat? „Léocadie de Beauvoir – Das aufmüpfige Geschlecht“ weiterlesen

Ethel Smyth – Suffragette in München | #femaleheritage

Read this article in English here: Ethel Smyth – a  firecracker in Munich. Thanks to Gabriella Di Laccio to publish it on her website ‘donne – women in music’ (28, Juni 2021)

Ethel Smyth (1858–1944) war ein Kracher. Sie ließ so gut wie nichts anbrennen, war ihrer Zeit voraus, bewegte sich in höchsten und coolsten Kreisen, war musisch wie schriftstellerisch höchstbegabt, war unglaublich mutig, indem sie sich gegen gesellschaftliche Normen und Frauenhasser stellte und dadurch großartiges Neues schuf, darunter ihr The March of the Women, den sie 1910 für die Treffen und Demos der britischen Frauenwahlrechtskämpferinnen zusammen mit der Poetin Cicely Hamilton (1872–1952) verfasst hatte. Dieser Marsch ist in den letzten Jahren bekannter geworden und wird gerne – weil er so wunderbar eingängig ist – mittlerweile wieder besonders zu Veranstaltungen rund um den Internationalen Frauentag gesungen. Auch im Film Suffragette (2015) konnte man einen Teil davon bei einer nachgestellten Demo hören.

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Leipzig, ick hör dir trapsen

Ethel Smyth, aufgewachsen in einem Vorort von London in einer Familie der gehobenen Mittelschicht, hatte eine deutsche Nanny, die in Leipzig pianistisch ausgebildet worden war und Klein-Ethel Klavierunterricht gab. Es stellte sich schnell heraus, dass Ethel für Musik besonders begabt war. In ihr reifte die Idee, ebenfalls in Leipzig zu studieren. Aber nicht das Klavierspiel, um Interpretin zu werden, sondern um Komponistin zu werden! Das galt damals als ziemlich aussichtslos, da Frauen aufgrund ihres Geschlechts keine Chance hatten, als Kapellmeisterin einen Job zu bekommen. Was mit ein Grund ist, warum Großwerke von Frauen heute kaum bekannt sind – sie konnten ihre Werke eben nicht einfach mit einem Orchester, dem sie vorstanden, einüben und selbstverständlich aufführen.[1] Sie hätten dazu ein Orchester und einen Konzertsaal anmieten und hätten selbst für Werbung etc. sorgen müssen. Emilie Mayer (1812–1883), die als ‚weiblicher Beethoven‘ einst eine lebende Legende war, konnte das eine Zeit lang, weil sie über entsprechendes Privatgeld verfügt hatte – das dann irgendwann aufgebraucht war, sodass weitere Großwerke wohl deswegen zu Lebzeiten nie auf die Bühnen gebracht wurde. „Ethel Smyth – Suffragette in München | #femaleheritage“ weiterlesen

Anna Billmaier, die Schlächterin von Haidhausen | #femaleheritage

Historische Zeitungen sind nicht nur ein Quell der Freude an längst verschütt gegangenen Nachrichten zu Kunst und Kultur, sondern auch ein Hort der Dokumentation des Bösen wie im Fall der Anna Billmaier in München-Haidhausen 1848.

CN Gewaltverbrechen
Triggerwarnung!

Im Rahmen der Forschungen zu meiner musikwissenschaftlichen Dissertation anhand mehrerer historischer Augsburger Tageszeitungen der Jahre 1746 bis 1878, die national und international berichteten, kam auch eine Fülle an Gewaltverbrechen und vermeidbarer Tode hervor. Unter Ersteren auch eine Menge an – in heutigen Zeitungen gerne genannten – ‚Beziehungsdramen‘; Männer, die ihre Ehefrauen und/oder Kinder aus eigenem Lebensüberdruss umbrachten, aus Eifersucht, kleinem Ego und toxischen Männlichkeitsvorstellungen – die ganze Palette, die man noch heute in solchen Nachrichten findet. In historischen Zeitungen, die aus (pseudo)moralischen Gründen unschickliche Begriffe sonst vermieden, werden solche Morde sehr klar als solche bezeichnet. Das Wort ‚Beziehungsdrama‘ habe ich in keiner der vier von mir lückenlos untersuchten Magazine gelesen. „Anna Billmaier, die Schlächterin von Haidhausen | #femaleheritage“ weiterlesen

Adventskalender durch die Frauenmusikgeschichte

Liebe Leser:innen, liebe Interessierte,

im Jahr 2020 habe ich mir zu Weihnachten einen musikalischen Adventskalender durch die Frauenmusikgeschichte ausgedacht, der bis einschließlich 25. Dezember auf meinem Twitter-Profil @Donauschwalbe und unter dem Hashtag #AdventInFemDur täglich morgens ab 7 Uhr ein neues ‘Türchen’ mit Musik und Information bot:

Auch im Jahr 2021 gab es ab dem 1. Dezember auf Twitter eine Fortsetzung:

Für das Jahr 2022 ist unter demselben Hashtag #AdventInFemDur wieder etwas geplant. Lassen Sie sich überraschen!

Politisches Credo in Hosen mit Löwinnen | #femaleheritage

„Wenn wir jedoch verstehen wollen, warum Frauen, selbst wenn ihnen nicht der Mund verboten wird, noch immer einen sehr hohen Preis zahlen, um Gehör zu finden – und wenn wir daran etwas ändern möchten –, dann müssen wir einsehen, dass das Ganze komplizierter ist und eine lange Geschichte dahintersteht.“ – Mary Beard, mit Weitsicht

Sie hat recht. Es. Ist. Kompliziert. Und es ist mit einer langen Geschichte dahinter. Auch noch unbekannter Geschichte, die ich in diesem Blogtext mit einer neuen Theorie für die #femaleheritage-Blogparade der Monacensia München erstmals vorstellen möchte. Was es nicht weniger kompliziert macht. Das Bekannte sind einzelne Leuchtpunkte der Frauenbewegungsgeschichte, die aber offenbar ein ganzes Lichtermeer hinter sich gehabt haben in Form einer noch unbekannten Pariser Frauenbewegung, die über klare Erkennungsmerkmale verfügte, einen Namen hatte und die meinen Überlegungen nach wegweisend für die deutsche Frauenbewegung ab 1848/49 gewesen war.

Neue Wege

Seit Jahren beschäftige ich mich im Rahmen meiner musikwissenschaftlichen Dissertation mit mehreren historischen Augsburger Tageszeitungen, die ich für die Jahre 1746 bis 1878 hauptsächlich auf Musikkulturnachrichten in Gänze abgegrast habe. Das ergab ein unglaublich dichtes Netz an großteils unbekannten Informationen nicht nur zum Musik- und Kulturleben, das Hand in Hand ging, sondern auch zu allem, was die Menschen bewegt hat. Angefangen von seltsamen Wettererscheinungen und Naturkatastrophen (lückenlos dokumentiert) und neuen Erfindungen (und bekannte, die teils noch weiter zurückdatiert werden können), über unbekannte Episoden und Einzelschicksale aus der Französischen Revolution bis hin zu politischen Begebenheiten, die die Welt aus den Fugen gebracht haben. „Politisches Credo in Hosen mit Löwinnen | #femaleheritage“ weiterlesen

Clara Schumann hat null Bock | #femaleheritage

Clara Schumann hat null Bock. Sidekick: Unbekanntes zu Franz Liszt in Augsburg. Neues zur Konzertorganisation im 19. Jahrhundert in Augsburg und München

Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © wikimedia.commons (gemeinfrei)
Maximilianstraße Augsburg. I. Owen nach Robert Batty, ca. 1835 © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Blogtext gewidmet meiner Freundin Luise Kimm, Sängerin

This blogtext, written for the #femaleheritage blogparade of the Monacensia Munich, is now available in English! Thanks to Gabriella Di Laccio to publish it on her website Donne365!

Geht man ins Konzert, geht man in ein Konzerthaus, ins Theater oder in eine Kirche. Im 18. und 19. Jahrhundert ging man dazu in eine Gaststätte, in ein Hotel oder in eines der Zunfthäuser, die über einen großen Tanzsaal für Hochzeiten und andere Anlässe verfügten. Eigens als Konzertsaal angelegte Lokalitäten gab es erst relativ spät mit steigender (Massen)Nachfrage von Konzerten der Virtuosen-Superstars Niccolò Paganini (1782–1840) und Franz Liszt (1811–1886), der Schwestern Teresa (1827–1904) und Maria (1832–1848) Milanollo sowie ganzer Orchestertrupps wie dem von Johann Strauss sen. (1804–1849), die auf ihren Tourneen überall und von sehr vielen Menschen gehört werden wollten. Einer der ersten neugebauten richtigen Konzertsäle war das Münchner Odeon, erbaut 1826/28 von Leo von Klenze (1784–1864) für genau solche Zwecke.

Gaststätten im Zentrum

Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka
Apollo-Saal der Goldenen Traube. Postkarte um 1910 © Eigentum von Susanne Wosnitzka

In Augsburg hingegen gab es so etwas bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht. Dafür hatte man den großen Apollo-Saal der heute nur noch wenig bekannten Goldenen Traube, die im 18. und 19. Jahrhundert das Zentrum bürgerlicher Musikausübung war und Thema meiner sich in Arbeit befindenden Dissertation ist. Für diese durchforstete ich in den letzten Jahren neun Augsburger Tageszeitungen der Jahre 1746 bis (jetzt) 1878 (vorläufiges Ende der Digitalisierung mit Warten auf Nachschub) auf Musik- und Kulturnachrichten – über 100 Jahre dichteste Lokal- und Weltgeschichte mit zahlreichen anderen hochinteressanten Funden anderer Sparten, mit denen sich zum Beispiel auch die Geschichte der Ballonfahrt neu schreiben ließe oder die europäische Frauenbewegungsgeschichte, zu der ich einen eigenen unbekannten französischen Strang entdeckt habe, der zum Inhalt eines anderen Histoblogs der #femaleheritage-Blogparade der Monacensia München wird. An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich bei den Organisatorinnen für die persönliche Einladung, für diese Aktion mein Wissen in mehreren Blogtexten präsentieren zu können. Dieser hier ist der erste in der Reihe. „Clara Schumann hat null Bock | #femaleheritage“ weiterlesen

Die Podcastin | Die Rohnerin und laStaempfli über Komponistinnen

Seit gestern online findet man im Netz bzw. auf der gemeinsamen Website Die Podcastin der Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Dr. Isabel Rohner und der Historikerin und Politikwissenschaftlerin Dr. Regula Staempfli – kurz: die Rohnerin und laStaempfli – eine grandios-frische Folge der Podcastin über Komponistinnen. Da die Einbettung nicht funktioniert hat, bitte aufs eingefügte Bild klicken, und Sie gelangen direkt zur Podcastin:

Wie das alles zusammenhängt:

laStaempfli: “[Auf das Thema] bin ich gestoßen dank Susanne Wosnitzka, die ist großartig auf Twitter als @Donauschwalbe, die macht wahnsinnig viel, kümmert sich extrem um das Archiv Frau und Musik […] und weiß extrem viel über Komponistinnen und um die Mechanismen der Sichtbarmachung. Also sie bietet uns großartige Werkzeuge, um den Kanon [der festgefahrenen klassischen Musik] völlig zu verändern.”

Rohnerin: “Folgt ihr unbedingt auf Twitter, und – liebe Leute, die ihr bei den Medien arbeitet: schreibt sie an für Expertise, nehmt sie auf, interviewt sie. Das ist die Expertin für Komponistinnen.”

Vielen Dank für die Blumen, die ich an euch zurückgeben kann, weil auch ihr in euren Sparten und mit der Podcastin so hervorragende Arbeit leistet, auch beim Netzwerken! „Die Podcastin | Die Rohnerin und laStaempfli über Komponistinnen“ weiterlesen

Packend wie ein Ringkanon – Frauenmusiknetzwerke | Essay

Packend: Netzwerke © Susanne Wosnitzka
Packend: Netzwerke © Susanne Wosnitzka

Packend wie ein Ringkanon: In Deutschland wie Europa gibt es zahlreiche Institutionen und Initiativen zu Frauen und Gender-/Geschlechterfragen in der Musik. Das in den letzten Jahrzehnten entstandene Netzwerk wächst stetig weiter. Im Fokus steht neben Netzwerkarbeit auch die Quellenarbeit: Wo kann man etwas zu Komponistinnen finden? Wie kann ich mich als Musiker:in engagieren?Wo kann ich mich einklinken und zum Fortkommen dieser reichen Kulturlandschaft beitragen?

Ein neuer Überblick aus unter anderem meiner Feder zum Stöbern – über die GEDOK, das Archiv Frau und Musik/Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik (Frankfurt/Main), die Internationale Komponistinnen-Bibliothek Unna, musica femina münchen, Komponistinnen und ihr Werk (Kassel), das ForumMusikDiversität (Schweiz), das CID – Fraen an Gender (Luxemburg), das Sophie Drinker Institut (Bremen), MUGI (Hamburg), das Forschungszentrum Musik und Gender (HfMT Hannover), die Mariann Steegmann Foundation, den Furore- (Kassel) und den Certosa-Verlag (Klein-Winternheim). Wahre Schätze!

Packend: Einblick

1979 entstand das erste und bis heute umfangreichste internationale Archiv für Werke von Komponistinnen und andere Zeugnisse des kulturellen Handelns von Frauen in der Musik: das Archiv Frau und Musik. Dem vorangegangen war die Gründung des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik (IAK) auf Initiative der Dirigentin Elke Mascha Blankenburg. Zweck des Vereins laut Gründungsdokumenten ist es, „Kompositionen von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart ausfindig zu machen, zu sammeln und aufzuführen und sie damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.

Eine Fülle an Musikalien, bis dahin privat gesammelt, wurde nun zu einem öffentlichen Archiv. Zum Bestand zählen alle Arten von Materialien, die das Wirken von Frauen in der Musik dokumentieren, vor allem aber Noten, Publikationen, Handschriften, Fotografien sowie Archivalien und Instrumente. Er umfasst heute rund 26.000 Medieneinheiten.

Zum vollständigen Artikel gelangen Sie direkt hier unter diesem Link.

Recycling 1850 – aus Obstkisten werden Särge

In den 1830er/1840er Jahren setzte durch Trockenperioden eine starke Nahrungsmittel- und Holzteuerung ein (was zu organisiertem Abbau von Torf führte). In Augsburg kauften sozial eingestellte Kulturvereine große Holzlieferungen an, um diese an arme Menschen auszuteilen. Das dafür benötigte Geld wurde zum Beispiel durch Benefizkonzerte in der Goldenen Traube erspielt. In jener Zeit wurde verwertet, was zu verwerten war. Recycling spielte von jeher eine große Rolle zum Beispiel in der Verwertung von alter Kleidung, aus der Papier hergestellt wurde.[1]

Durch Seuchen wie die Cholera, “nervöses Fieber” unbekannter Art und Blattern, die in den 1830er und 1840er Jahren von St. Petersburg bis Paris besonders stark wüteten, hatte man für pietätvolle Bestattungen einen erhöhten Bedarf an Holz. Da dieses rar war, kam man in London auf eine findige Idee, diesem Mangel abzuhelfen: Man wies Händler im nahen Ausland an, ihre Warenkisten bereits in bestimmten Größen und Formen anfertigen zu lassen, die in London dann nur noch schwarz angestrichen werden mussten. Fertig war der Recycling-Sarg!

Recycling gruselhaft

Recycling: Obstkisten zu Särgen
Recycling: Obstkisten zu Särgen

Augsburger Tagblatt, No. 137. Montag 20. Mai 1850, S. 691: “In London hat man in der neuesten Zeit eine eigenthümliche Art ausfindig gemacht, England ohne große Unkosten mit Särgen zu versorgen: London bezieht Obst, Geflügel, Eier und andere Lebensbedürfnisse von Holland, Belgien und Frankreich; seit Monaten haben nun die Londoner Einkäufer ihren „Recycling 1850 – aus Obstkisten werden Särge“ weiterlesen

Corona und Cholera – wortgleich wiederholte Geschichte

Wiederholt sich Geschichte nur dann nicht, wenn man aus ihr gelernt hat? Geschichte wiederholt sich manchmal sehr, und manchmal sogar als ziemlich exakte Kopie, auch im Wortlaut zu Corona und Cholera, mit rund 170 Jahren an Überlegungszeit dazwischen. Das ist mir in meinen Forschungen, zu denen ich mehrere Augsburger Tageszeitungen der Jahre 1746 bis 1878 in Gänze (!) auf Musik-, Kultur- und andere hochinteressante Meldungen[1] abgraste,  in dieser Deutlichkeit so nur im folgenden historischen Bericht begegnet, den ich gestern auf Twitter analysiert habe. Da dieser Tweet dort viral ging, stelle ich die ganze Geschichte hier noch einmal etwas weiter ausgebaut zur Verfügung:

„Corona existiert nicht, es ist eine künstliche, von der Politik geschaffene Krankheit!“ – 2020 zigfach auf sog. Corona-Demos gehört. „Die Cholera existirt nicht, es ist eine künstliche, politische Krankheit!“ – O-Ton 1849. Frappierende Ähnlichkeit? Es gibt weitere!

Verschwörungstheorie von Corona und der Cholera im Wortlaut, Augsburger Tagblatt 1849
Verschwörungstheorie von Corona und der Cholera im Wortlaut, Augsburger Tagblatt 1849

Augsburger Tagblatt, No. 234. Montag 27. August 1849, S. 1209: „Paris, 22. Aug. In Rochefort ist es am 14. August zu traurigen Scenen gekommen. Die Cholera trat dort so furchtbar auf, daß sie verhältnißmäßig die große Zahl von 21 Opfern täglich forderte, und fast nur aus der untern Volksclasse.“

Ein Volk in der Gosse

Augsburg um 1835. Stahlstich von F. Höfer © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Augsburg um 1835. Stahlstich von F. Höfer © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Weil die „untere Volksclasse“ regelrecht in der Kloake lebte. Über Jahre wurde zum Beispiel in Augsburg darum gebeten, pestilenzialisch stinkende Kanäle zu reinigen und abzudecken (besonders betroffen: der Hunoldsgraben hinter dem Rathaus), den Kot, der auf Haufen in den Straßen gesammelt wurde, regelmäßiger wegzufahren. Die Stadt reagierte kaum darauf. Augsburg war noch einigermaßen gut dran, da das „Corona und Cholera – wortgleich wiederholte Geschichte“ weiterlesen

+Update+ “KOMPONISTINNEN” | Film-Doku

Premiere Komponistinnen im Babylon-Kino Berlin © Susanne Wosnitzka
Premiere Komponistinnen im Babylon-Kino Berlin © Susanne Wosnitzka

+++Update (Sept. 2020)+++
Komponistinnen war gleich in vier Kategorien für den OPUS-KLASSIK-PREIS 2020 nominiert und gewann in der Kategorie beste audiovisuelle Musikproduktion

+++Update (Feb. 2019)+++
“Musik steht in Claras [Clara Schumanns] ganzem Leben als  durchdringender Strom im Vordergrund, nicht Musik als faktische oder spekulative Funktionalisierung sozialen, ideologischen oder psychischer Teilbereiche. Das ist eine Stufe der Rezeption, die auch der hier in einer verkürzten Collage gezeigte Dokumentarfilm Komponistinnen (D 2018) von Tim van Beveren und Kyra Steckeweh einfordert und weitaus mehr bedeutet als die Würdigung von Komponistinnen unter politischen, emanzipatorischen oder anderen Implikationen: Deren Werke sollen mit der gleichen Selbstverständlichkeit rezipiert werden wie die Ouevres von Männern. Es geht nicht um Quoten, sondern um den Abbau des Legitimationsdrucks gegenüber dem Schaffen von Frauen generell. Dieser wird aber noch oft durch voreingenommene Wertungen verhindert.”
(nmz online, 10. Februar 2019) „+Update+ “KOMPONISTINNEN” | Film-Doku“ weiterlesen

Ohne Hefe kein Zwetschgendatschi – Datschipanik in Augsburg 1847

Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)
Augsburger Rathaus, Sitz des Magistrats, 1818 © Wikimedia.Commons (gemeinfrei)

Die Stadt Augsburg und ihr Zwetschgendatschi: Myriaden an Artikeln[1] wurden bereits dazu verfasst, seit wann man diesen köstlichen Kuchen hier bereits kennt, woher das Rezept dafür sei oder wie dieser früher ausgesehen haben mag. Ein Thema, das dazu geführt hat, dass Augsburg auch ihren Zweitnamen Datschiburg irgendwann erhalten hat. Wie kam es dazu?

Es gab zwar bereits schon früh Haushaltungsschulen für Mädchen und junge Frauen in Augsburg; die Koch- und Backtraditionen scheinen darin aber eher vor allem mündlich weitergegeben und antrainiert worden zu sein, damit diese Künste dann im Familienalltag aus dem FF und dem Gedächtnis umgesetzt werden konnten, um auch Zeit zu sparen. „Ohne Hefe kein Zwetschgendatschi – Datschipanik in Augsburg 1847“ weiterlesen

Die Cholera 1832 in Augsburg – nur ein ‚Gespenst‘?

Karikatur eines Mannes, der sich vor der Cholera schützen will © Wellcome Collection, Attribution (CC BY 4.0)
Karikatur eines Mannes, der sich vor der Cholera schützen will © Wellcome Collection, Attribution (CC BY 4.0)

„Im Jahr 1817 war die Cholera von englischen Ärzten in Ostindien als eine bis dahin kaum beachtete Krankheit beschrieben worden. 1830 kam die Cholera erstmals nach Europa, 1831 tauchte sie in Deutschland auf. […] 1832 erreichte die Cholera Augsburg und forderte Tote.“[1] 1854 brandete diese Krankheit erneut auf, an der dann Hunderte gestorben sind. Doch wie viele starben 1832? Darüber erfährt man aus dem Artikel der Augsburger Allgemeinen (AZ) leider nichts. Offenbar gibt es dazu noch keinerlei Forschungen bzw. Veröffentlichungen. Daher stellt dieser Blogtext einen Versuch der Rekonstruktion der Ereignisse dieser Jahre dar. Laut meinen Funden starben in Augsburg genau fünf Personen an der Cholera, allerdings erst 1836/37 und nicht 1832 – im Gegensatz zu München, wo es Hunderte Tote gab. Wie kam das?

Vorgeschichte

Einer der Reporter, der 1832 für die AZ aus anderen betroffenen Städten berichtete, war Heinrich Heine (1797/98–1856), der aus seinen Erlebnissen ein Buch[2] machte und das – sehr lesenswert! – verblüffende Ähnlichkeiten zur Corona-Epidemie 2019/2020 aufweist. Solche Berichte waren für die Menschen überlebenswichtig: Wie kann man dieser Krankheit begegnen, wie kann man ihr am besten ausweichen? Welche Heilmittel stehen zur Verfügung? Wie kann man Ausbreitung verhindern? Denn dass das Bakterium Vibrio cholerae dahintersteckt, wusste man damals noch nicht. Damals erfuhr man zwar permanent, dass hinter abscheulich stinkenden Pfützen und Kot-Abraumen in den Gassen, von Klosettanlagen oder ähnlich verwendeten Kanälen ein ‚pestilenziarischer‘ Gestank ausging (und man durch diese Wortwahl auch ahnen kann, dass damit irgendwie Zusammenhänge hergestellt wurden), aber konkret wusste man zur tatsächlichen Verbreitung, Aufnahme und zu Erkrankungszusammenhängen so gut wie nichts. „Die Cholera 1832 in Augsburg – nur ein ‚Gespenst‘?“ weiterlesen

Frauen, die den Ton angeben – zwischen Spitzenleistungen und Gender(pay)gaps

Damenblaskapelle um 1900 © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)
Damenblaskapelle um 1900 © Archiv Frau und Musik (gemeinfrei)

…lautet der neueste Artikel aus u. a. meiner Feder für das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) im Rahmen des Digitalisierungsprojekts #PARFUMO des Archivs Frau und Musik – ein Rückblick in die Geschichte der professionellen (oft verhinderten) Musikausübung von Frauen sowie ein Fokus auf die heutige Zeit: Was hat sich verändert, was sind die Zahlen/Daten/Fakten, wo gibt es noch Verbesserungsbedarf im klassischen Musikbusiness?

“In der Musikgeschichtsschreibung und in Schulbüchern finden sich in der Regel kaum komponierende Frauen. Dabei ist die Sichtbarkeit von Künstlerinnen so wichtig – nicht nur für ihr Werk und Wirken, sondern auch für den Nachwuchs, wie Geena Davis es mit ihrem Slogan „If she can see it, she can be it™“ auf den Punkt bringt. […] 2016 kam die Studie Frauen in Kultur und Medien des Deutschen Kulturrates zu dem Ergebnis, dass trotz hoher Frauenanteile bei den Kompositionsstudierenden der Anteil bei den freiberuflich tätigen Komponist:innen wie auch bei Hochschulprofessor:innen weit unter Parität liegt. […] Frauen-Musikorganisationen fordern darum Richtlinien für den Musikbetrieb, damit eine paritätische Repräsentanz der Musik von und mit Frauen in Konzerten, den Medien, bei Festivals, in den Hochschulen, in Schulmusikbüchern, bei Wettbewerben und Preisvergaben endlich Standard wird.”

Weitere Artikel aus u. a. meiner Feder für das DDF:

Aufsatz 1: Elke Mascha Blankenburg (1943–2013), Dirigentin und Gründerin des IAK (23. Januar 2019)
Aufsatz 2: Und sie spielten, sangen, komponierten und dirigierten doch: Die lange verschwiegenen Frauen in der Musik! (16. September 2019)
Aufsatz 3: „Shout, shout, up with your song!“ Formen der Vernetzung von Frauen in der Musikkultur (16. Januar 2020)
Aufsatz 4: VivaVoce: Vom Vereinsrundbrief zur Fachzeitschrift (20. August 2019)
Aufsatz 5: Frauen, die den Ton angeben – zwischen Spitzenleistungen und Gender(pay)gap (28. Mai 2020)

Grenzgänge – Wege zum historischen Stadttheater Augsburg

Wertachbrucker Tor © Susanne Wosnitzka
Wertachbrucker Tor © Susanne Wosnitzka

Auf der Trennlinie zwischen Stadt und Vorstadt lässt sich manches entdecken, das einem entlang der Hauptstraßen in die Stadt verborgen bleibt. In meiner Dissertation über die Musikgeschichte der Goldenen Traube spielt auch das historische alte Stadttheater am Lauterlech eine bedeutende Rolle, zu dem ich heute mit euch spazieren will.

Stadttheater und Goldene Traube

In der Goldenen Traube übernachteten die meisten Künstler:innen, die Auftritte im Stadttheater oder in der Goldenen Traube hatten: Letztere bot gleich drei Konzertsäle: Einen kleinen Saal, einen runden – den Rotunda-Saal – und den großen Apollo-Saal, in den bei Festlichkeiten über 1.000 Personen passten, während im Theater „nur“ Platz für rund 900 Personen war. Leider gibt es bis heute keine umfassende moderne Publikation zur Augsburger Theatergeschichte. Diese stückelt sich bislang aus Einzeldarstellungen und historischem Material. Eine hochinformative Quelle zu Anekdoten, Aufführungen, Besetzungen und der Theaterleitung sind Augsburger Tageszeitungen wie zum Beispiel das Intelligenz-Blatt und das Tagblatt, die ich für meine Recherchen der Jahre 1746 bis 1852 auf Musik- und Kulturnachrichten durchforstet habe. In Ersterem wird ersichtlich, welche Künstler:innen wo übernachtet hatten und wann sie angekommen sind; in den anderen Zeitungen gibt es Konzert- und Theaterankündigungen sowie Rezensionen und Rückschauen sowie vielfach Berichte, an denen man ablesen kann, wie sich die Augsburger Theater- und Orchesterlandschaft über Jahrzehnte geformt hat zu dem, was sie heute ist. Dazu später mehr. „Grenzgänge – Wege zum historischen Stadttheater Augsburg“ weiterlesen